Z Gastroenterol 2015; 53(8): 1041-1042
DOI: 10.1055/s-0034-1397891
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Rezept ausstellen – Das können wir, oder?

Franz-Josef Heil
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Publication Date:
26 August 2015 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Muster 16 – das Kassenrezept, unser wichtigstes Formular. Medikamente verschreiben, jeder von uns macht das zig-mal am Tag, jeder von uns kann das, oder auch nicht? Mir scheint, das wird immer komplizierter und man blickt allmählich nicht mehr durch. Dabei meine ich aber nicht die Kunst, die immer differenziertere medikamentösen Therapie, z. B. der Hepatitis C oder der CED sicher zu beherrschen. Nein, ich meine einfach nur das korrekte Ausfüllen des Rezeptes!

Als ich vor über 30 Jahren meine ärztliche Tätigkeit begann, da hat man einfach das Medikament mit dem Originalhandelsnamen (gab nur eins) auf das Rezept geschrieben, das war‘s: Lasix 40 mg, Op Nr. 100, fertig. Dann kamen die Generika. Jetzt musste man „Furosemid ratiohexal“ oder so hinschreiben, damit es billiger wurde. Lasix, was war das doch für ein schöner Name! Weg war er. Der Patient konnte sich zwar ab jetzt nicht mehr merken, welche „Wassertablette“ er nahm, aber die Kasse sparte Geld. Daran haben wir uns längst gewöhnt. Der Patient vielleicht nicht.

Dann kam das „aut idem“, also Austausch des verordneten Medikamentes gegen ein anderes zuzulassen. Seitdem sahen zwar die Tabletten und die Packung bei jeder Verordnung anders aus, aber angeblich waren Inhalt und Wirkung völlig gleich. Um allzu viel Durcheinander für den Patienten zu vermeiden, kam ein Ankreuzfeld aufs Rezept: Nur wenn man es ankreuzte, durfte oder musste der Apotheker ein billigeres Medikament abgeben. Das hat aber wohl nicht geklappt oder die Ärzte wollten das Feld nicht benutzen. Wie auch immer, der Gesetzgeber war nicht zufrieden, weshalb 2002 mit dem AABG (wer es nicht mehr im Kopf hat: „Arzneimittel-Ausgaben-Begrenzungsgesetz) die Bedeutung des Kreuzchens rasch mal umgedreht wurde, von „aut idem“ zu „non aut idem“.

Seitdem muss man das Kreuzchen machen, wenn der Patient wirklich genau das Medikament bekommen soll, was rezeptiert wurde. Die Patienten lieben das Kreuzchen, die Kassen nicht, und deshalb muss man damit, um nicht „unwirtschaftlich“ zu sein, sehr zurückhaltend sein. Den Kassen wäre es am allerliebsten, wir würden nur den Inhaltsstoff aufs Rezept schreiben. Dann weiß hinterher zwar keiner mehr, welches Medikament (Salze, Ester, Ether, Isomere, Mischungen von Isomeren, Komplexe und Derivate eines Wirkstoffs gelten als derselbe Wirkstoff) in welcher Form der Patient nun wirklich nimmt, aber was soll‘s!

Der nächste Schritt war dann die Erfindung der Rabattverträge, abgeschlossen jeweils zwischen einer Krankenkasse und einem Pharmaunternehmen. Was drin steht, ist geheim. Welche Kasse mit welchem Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen hat, steht angeblich im Internet. Ich oute mich hier mal und hoffe, dass kein Kassenvertreter mitliest: Ich mache keine Google-Anfrage vor jeder Verordnung. Wie viele solche Verträge es gibt, ist völlig undurchsichtig, wahrscheinlich weiß das auch keiner mehr. Die EDV der Apotheken kriegt es angeblich aber heraus.

Aus wirtschaftlichen Gründen sollen wir nun natürlich Präparate aus dem jeweiligen Rabattvertrag verordnen oder zumindest den Austausch des verordneten Medikamentes gegen eines aus dem Rabattvertrag zulassen. Der Patient wird damit belohnt, dass er dann keine Zuzahlung leisten muss. Das kann zu absurden Situationen führen: Um dem Patienten die Zahl der Tabletten und die Rezeptgebühren zu vermindern und wirtschaftlich zu handeln, verordne ich meinen Patienten z. B. gerne Azathioprin 100 mg Tabletten. Für den Patienten ist es – je nach Kasse – aber günstiger, wenn er die doppelte Anzahl an Tabletten, d. h. „Azathioprin-XYZ 50 mg“ einnimmt, weil es darüber einen Rabattvertrag gibt. Darauf weist ihn der aufmerksame Apotheker hin. Nun muss der Patient wieder zurück zum Arzt und beklagt sich, dass er ein falsches Rezept bekommen hat. Ich muss erklären, doppelt so oft Rezepte ausstellen, aber der Kasse winkt ein Rabatt!

Inzwischen geht es noch wilder: Bei manchen Medikamenten, z. B. L-Thyroxin, muss man seit September 2014 nun wieder den Hersteller angeben, denn hier darf auf keinen Fall substituiert werden. Irgendwie hat einer herausbekommen, dass doch nicht alle Tabletten gleich sind. Na so was. Die Patienten haben das übrigens immer schon gemerkt. Nun müssen wir uns diese neue Liste also auch noch merken. Derzeit stehen acht Substanzen drauf, aber sie wird sicher noch länger, denn der G-BA, diese neue Supermacht im System, wird darüber noch weiter beraten.

Rabattverträge gibt es übrigens auch schon für Medikamente, für die das AMNOG-Verfahren noch nicht abgeschlossen und offizielle Preisverhandlungen zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband noch gar nicht aufgenommen wurden. Das mag verstehen wer will. Entbindet es den Arzt aber wenigstens von der Verantwortung der wirtschaftlichen Verordnung? Leider kann man sich darauf nicht einfach verlassen.

Ein letztes, ganz aktuelles Beispiel, wie kompliziert die richtige Verordnung geworden ist: Wenn man eines der zwei neuen Infliximab-Biosimilars verordnet, die – warum auch immer – unterschiedliche Apothekenverkaufspreise haben, dann sollte man das non-aut-idem-Kreuzchen möglichst nicht setzen. Denn auch hier gibt es Rabattverträge, und je nach Kasse ist die Verordnung angeblich wirtschaftlicher, wenn man das teurere Präparat verschreibt.

Es gibt außerdem noch Festbeträge, „Off-Label“, Zielwerte für Leitsubstanzen, Verordnungsquoten, Richtgrößen und Wirtschaftlichkeitsprüfungen und sicher noch einiges, was ich vergessen habe. Auch das sollte man möglichst noch berücksichtigen. Wie stellt man also ein Kassenrezept richtig aus, unter Beachtung der Therapiezuverlässigkeit (immer die gleiche Wirkung), der Sicherheit (der Patient weiß, was er nehmen soll), der Schonung des Geldbeutels des Patienten (möglichst keine Zuzahlung) und der Wirtschaftlichkeit im Sinne des SGB V? Ich sagte ja schon zu Beginn: Das Ausstellen eines Kassenrezeptes ist ganz schön kompliziert – oder ist das einfach nur noch absurd?


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