Z Gastroenterol 2015; 53(6): 549
DOI: 10.1055/s-0034-1397780
Historisches
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hermann Strauß und das Prokto-Sigmoidoskop

Contributor(s):
Harro Jenss
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Publication Date:
25 June 2015 (online)

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Das 1903 vorgestellte „Prokto-Sigmoidoskop“ von Hermann Strauß und Georg Wolf beeinflusste die Entwicklung der Endoskopie von Rectum und distalem Sigma entscheidend [1],[2],[3]. Es wurde Standardinstrument über mehr als sieben Jahrzehnte.

Das Endoskop mit Tubus, Obturator, Sichtfenster, Lichtquelle und Lichtleiter, verbunden mit der Möglichkeit einer dosierten Luftinsufflation, stellte eine deutliche Verbesserung der Geräte von William Bodenhamer, John R. Pennington und Howard A. Kelly aus den USA dar [4]. Zur gezielten Biopsie entwickelte Strauß eigens eine spezielle Zange. Früh erkannte er das Potential seiner Methode: die Abtragung von Polypen wurde ebenso möglich wie die lokale Therapie entzündlicher Schleimhautveränderungen und die frühzeitige Diagnose von Karzinomen [5]. Vor dem Hintergrund einer umfangreichen Befundauswertung publizierte Strauß 1922 die Monographie „Erkrankungen des Rectum und Sigmoideum“ [6].

Der aus Heilbronn stammende, äußerst kreative Hermann Strauß (1868–1944) bildete sich ambitioniert bei Carl Anton Ewald im Augustahospital in Berlin, bei Franz Riegel in Gießen und bei Hermann Senator an der III. Medizinischen Klinik der Charité zum Internisten aus [7]. Initial befasste er sich mit Fragen der Nierenfunktion, entwickelte die „Strauß-Kanüle“ zur einfachen venösen Blutentnahme sowie zur Infusion und führte die kochsalzarme Diät als therapeutisches Prinzip ein [8],[9].

Seit 1900 standen die Magen-Darm-Krankheiten im Zentrum seines Interesses, vor allem Erkrankungen des Dickdarms und das Magenulcus. 1901 etablierte Strauß die Laevuloseprobe als Leberfunktionstest, den er gemeinsam mit dem späteren Immunologen Hans Sachs erarbeitet hatte. In besonderer Weise widmete sich Strauß der Laienaufklärung, für die er Patientenbücher verfasste und verständliche Vorträge hielt.

Hermann Strauß wurde 1897 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin habilitiert und erhielt 1902 eine a. o. Professur. Von 1910 bis 1942 leitete er die Abteilung für Innere Medizin am Jüdischen Krankenhaus Berlin. Seine wissenschaftlichen Arbeiten spiegeln sich in 25 Monographien, in Beiträgen für Sammelwerke und in mehr als 400 Publikationen in Fachzeitschriften wider [10].

Als Jude war Strauß im April 1933 gezwungen, als designierter Präsident des XII. Kongresses der Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und als Vorsitzender der Gesellschaft zurückzutreten [11]. Er lehnte eine Emigration ab und arbeitete im Berliner Jüdischen Krankenhaus unter immer schwierigeren Bedingungen. Ende Juli 1942 wurden Hermann Strauß und seine Ehefrau in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort wurde der 74-jährige Strauß im Oktober 1942 Mitglied des Ältestenrates, war konsiliarisch ärztlich tätig, leitete den wissenschaftlichen Ausschuss des Ghettogesundheitswesens und setzte sich für die Altenfürsorge ein. Hermann Strauß überlebte das Ghetto nicht; er starb am 17. Oktober 1944 in Theresienstadt [12].

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Prokto-Sigmoidoskop von Strauß / Wolf [2].
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Portrait Hermann Strauß 1905 (mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt aus dem Familienarchiv Irene Hallmann-Strauß).