manuelletherapie 2014; 18(05): 200-201
DOI: 10.1055/s-0034-1396909
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief zu: Schomacher J, Egan Moog M. Schmerzgrafik. manuelletherapie 2014; 18: 144–145

Brigitte Tampin
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Publication Date:
15 December 2014 (online)

Mit Interesse habe ich die Schmerzgrafik unter der Rubrik „Fachwissen Schmerz“ gelesen [3]. Die Autoren Jochen Schomacher und Martina Egan Moog dokumentieren hier eine Schmerzgrafik, die detailliert die vielseitigen Prozesse der Schmerzwahrnehmung darstellt und dem Leser eine Hilfe zum Clinical Reasoning bietet. Das Bewusstsein und Verständnis dieser sehr komplexen Zusammenhänge ist wichtig für eine adäquate Therapieauswahl, und ich beglückwünsche die Autoren, dass sie diese Komplexität in einer Grafik zusammenstellten.

Ich möchte zu spezifischen Aussagen im Text und in der Grafik, die sich auf die Ursachen und Pathophysiologie für neuropathischen Schmerz beziehen, Stellung nehmen. Meiner Meinung nach sind diese Angaben nicht ganz sachgemäß und könnten von den Lesern eventuell falsch interpretiert werden.

Die Neuropathic Pain Special Interest Group, eine Arbeitsgruppe der International Association for the Study of Pain (IASP), erarbeitete 2008 eine neue Definition für Neuropathischen Schmerz [4], die 2011 von der IASP angenommen wurde [1]. Demnach tritt ein neuropathischer Schmerz „als direkte Konsequenz einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems“ auf [1], [4]. Dabei kann sich der primäre Auslöser – je nach Krankheitsbild – auf einer vom primär afferenten Neuron bis zum Kortex reichenden neuroanatomischen Achse des somatosensorischen Systems befinden.

Die Autoren führen das Beispiel einer Sprunggelenkdistorsion an [3]. Bei einer eventuellen Schädigung des N. peronaeus ist es sicherlich möglich, dass Axonmembranen verletzt werden könnten, eine Durchtrennung von Leitungsbahnen im Rückenmark als Folge einer Sprunggelenkdistorsion ist jedoch fraglich. Es sollte eventuell auch betont werden, dass es sich bei neuropathischen Schmerzen um die Läsion/Erkrankung des sensorischen Nervensystems und nicht des motorischen Systems handelt.

Als weitere Pathophysiologie für neuropathischen Schmerz nennen die Autoren „zu intensive und zu oft wiederholte nozizeptive Afferenzen“ [3]. Intensive und zu oft wiederholte nozizeptive Afferenzen sind auf eine Aktivierung des nozizeptiven Systems zurückzuführen, die auch in anderweitigen Schmerzsyndromen vorkommt, aber nicht mit einer Schädigung des nozizeptiven Systems gleichzusetzen ist. Die „alte“ Definition für neuropathischen Schmerz [2], nach der neuropathischer Schmerz „durch eine primäre Läsion oder Dysfunktion des Nervensystems“ bedingt sein kann, würde die oben genannte Darstellung der Autoren [3] zulassen. Diese Aussage ist aber irreführend und entspricht nicht dem aktuellen Stand der Wissenschaft/Medizin.

Möglicherweise habe ich die Aussagen der Autoren fehlinterpretiert und anderen Lesern geht es genauso. Vielleicht wäre es daher sinnvoll, die Schmerzgrafik zu überarbeiten, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

 
  • Literatur

  • 1 Jensen TS, Baron R, Haanpää M et al. A new definition of neuropathic pain. Pain 2011; 152: 2204-2205
  • 2 Merskey H, Bogduk N. Classification of chronic pain. Seattle: IASP Press; 1994
  • 3 Schomacher J, Egan Moog M. Fachwissen Schmerz: Schmerzgrafik. manuelletherapie 2014; 18: 144-145
  • 4 Treede R-D, Jensen TS, Campbell JN et al. Neuropathic pain. Redefinition and a grading system for clinical and research purposes Neurology 2008; 70: 1630-1635