Z Orthop Unfall 2015; 153(2): 177-186
DOI: 10.1055/s-0034-1396260
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Prävention von Fahrradfahrerunfällen

Prevention of Bicycle Accidents
H. Zwipp
1   Klinik für Unfall- u. Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
,
P. Barthel
2   Polizeidirektion Dresden
,
J. Bönninger
3   FSD GmbH, Dresden
,
H. Bürkle
4   Unfallforschung, Daimler AG, Stuttgart
,
C. Hagemeister
5   Psychologie II, Diagnostik und Intervention, TU Dresden
,
L. Hannawald
6   VUFO (Verkehrsunfallforschung) an der TU Dresden GmbH
,
R. Huhn
7   Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), Bundesgeschäftsstelle Bremen
,
M. Kühn
8   Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Berlin
,
H. Liers
6   VUFO (Verkehrsunfallforschung) an der TU Dresden GmbH
,
R. Maier
9   Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr, Dresden
,
D. Otte
10   Verkehrsunfallforschung, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
,
G. Prokop
11   Fahrzeugtechnik, Technische Universität Dresden
,
A. Seeck
12   Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach
,
J. Sturm
13   Akademie der Unfallchirurgie GmbH, Berlin
,
T. Unger
14   Technik Zentrum, ADAC, Landsberg am Lech
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Publication History

Publication Date:
14 April 2015 (online)

Zusammenfassung

Für eine Istanalyse zum Unfallgeschehen auf deutschen Straßen erscheint es wichtig, eine gemeinsame Definition für die Begriffe „schwer verletzt“, „schwerstverletzt“ und „lebensbedrohlich verletzt“ zu haben. Bei einheitlicher Definition der Begriffe durch das Bundesamt für Statistik, die GIDAS-(German In-Depth Accident Study-)Datenbank und das bundesweite TraumaRegister QM DGU des deutschen TraumaNetzwerks DGU könnten so durch Verknüpfung der Daten sicherere Erkenntnisse zur Unfallschwere und daraus Möglichkeiten der Unfallprävention gewonnen werden. Während über 60-jährige Fahrradfahrer nur 10 % des Fahrradfahreranteils in unserem Land ausmachen, ist ihr Anteil an den Getöteten mit 50 % der größte. Durch Benutzung einer Fahrradtasche, statt Einkaufsbeutel am Lenkrad zu befestigen, durch Einschalten von Hörgeräten und die konsequente Beachtung aller Verkehrsregeln (z. B. Halt bei roter Ampel) könnten viele deletäre Unfälle älterer Fahrradfahrer vermieden werden. Die Zunahme von E-Bikes in den letzten Jahren (145 % mehr in 2012 gegenüber 2011 mit 600 000) haben sich neue Gefahrenmomente im Straßenverkehr ergeben. Eine gesetzliche Helmpflicht besteht derzeit nur für Fahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 20 km/h, die sowohl für die Pedelecs 25 (250 W/25 km/h) als auch Pedelecs 45 (500 W/45 km/h) gilt. Da 96 % aller verunfallten Fahrradfahrer mit Alkoholeinfluss im Jahr 2009 einen Blutalkoholwert von über 0,5 ‰, 86 % von über 1,1 ‰ und sogar 59 % einen Wert von über 1,7 ‰ (absolute Fahruntüchtigkeit bei 1,6 ‰ gegeben) aufwiesen, wird bei den sehr häufigen „Alleinunfällen“ mit relativ hoher Letalitätsrate (24,2 %) und auch zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) ein Gefahrengrenzwert von 1,1 ‰ für Fahrradfahrer gefordert. Integrierte, vorausschauende Umfeldsensoren im Pkw könnten beim Öffnungswinkel von 180° ca. 93 % der Fahrradfahrer erkennen und automatisiert den primären und/oder sekundären Aufprall vermeiden oder zumindest hinsichtlich der Schwere reduzieren, sodass ein hohes Avoidance- und Mitigationspotenzial erzielt würde. Verbesserungen der Infrastruktur von Verkehrsknotenpunkten mit Lichtsignalanlagen (Ampeln) können Fahrradunfälle besonders für Kinder um 35 % reduzieren. Maßnahmen zur Verkehrserziehung für Kinder und erneute Schulung älterer Fahrradfahrer mit Aktionen, wie von der polizeilichen Fahrradfahrerstaffel Dresden mit „Superfahrer“ für Schüler und „Sicheres Fahrrad“ für Senioren, können wesentlich zur Prävention von Fahrradunfällen beitragen. Da die Fahrradhelmtragequote in Deutschland mit nur 9 % (GIDAS-Daten 2011) extrem niedrig ist, der protektive Wert zur Vermeidung relevanter Schädel-Hirn-Verletzungen, insbesondere für den älteren Fahrradfahrer nachgewiesen ist, wird vonseiten der Unfallforschung eine Helmpflicht für Fahrradfahrer gefordert. Da diese vonseiten der Gesetzgebung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, erscheinen derzeit Werbekampagnen des Deutschen Verkehrssicherheitsrats wie z. B. „Helm tragen ist cool“ nötig. Zu fordern sind auch breit angelegte Medienkampagnen, wie früher für Pkw-Fahrer „Der 7. Sinn“ oder „Verkehrskompass“, jetzt mit oft lebensrettenden Hinweisen für den Fahrradfahrer wie: Das Tragen von Helmen, Signalwesten, das Einschalten von Licht in Dämmerung und Nacht, die Nutzung von reflektierenden Fahrradtaschen sowie das strikte Vermeiden des Linksfahrens.

Abstract

For a very precise analysis of all injured bicyclists in Germany it would be important to have definitions for “severely injured”, “seriously injured” and “critically injured”. By this, e.g., two-thirds of surgically treated bicyclists who are not registered by the police could become available for a general analysis. Elderly bicyclists (> 60 years) are a minority (10 %) but represent a majority (50 %) of all fatalities. They profit most by wearing a helmet and would be less injured by using special bicycle bags, switching on their hearing aids and following all traffic rules. E-bikes are used more and more (145 % more in 2012 vs. 2011) with 600,000 at the end of 2011 and are increasingly involved in accidents but still have a lack of legislation. So even for pedelecs 45 with 500 W and a possible speed of 45 km/h there is still no legislative demand for the use of a protecting helmet. 96 % of all injured cyclists in Germany had more than 0.5 ‰ alcohol in their blood, 86 % more than 1.1 ‰ and 59 % more than 1.7 ‰. Fatalities are seen in 24.2 % of cases without any collision partner. Therefore the ADFC calls for a limit of 1.1 ‰. Some virtual studies conclude that integrated sensors in bicycle helmets which would interact with sensors in cars could prevent collisions or reduce the severity of injury by stopping the cars automatically. Integrated sensors in cars with opening angles of 180° enable about 93 % of all bicyclists to be detected leading to a high rate of injury avoidance and/or mitigation. Hanging lamps reduce with 35 % significantly bicycle accidents for children, traffic education for children and special trainings for elderly bicyclists are also recommended as prevention tools. As long as helmet use for bicyclists in Germany rates only 9 % on average and legislative orders for using a helmet will not be in force in the near future, coming up campaigns seem to be necessary to be promoted by the Deutscher Verkehrssicherheitsrat as, e.g., “Helmets are cool”. Also, spots in TV should be broadcasted like “The 7th sense” or “Traffic compass”, which were warning car drivers many years ago of moments of danger but now they could be used to warn bicyclists of life-threatening situations in traffic.

 
  • Literatur

  • 1 Zwipp H, Ernstberger A, Groschupf V et al. Prävention von Verkehrsunfällen äußerer Verkehrsteilnehmer (Fußgänger und Fahrradfahrer) in Deutschland. Unfallchirurg 2012; 115: 554-565
  • 2 Attewell RG, Glase K, McFadden M. Bicycle helmet efficacy: a meta-analysis. Accid Anal Prev 2001; 33: 345-352
  • 3 Keezer MR, Rughani A, Carroll M et al. Head first: bicycle-helmet use and our childrenʼs safety. Can Fam Physician 2007; 53: 1131-1132 1136–1137
  • 4 Thompson DC, Rivara FP, Thompson R. Helmets for preventing head and facial injuries in bicyclists. Cochrane Database Syst Rev 2000; (2) CD001855
  • 5 Voukelatos A, Rissel C. The effects of bicycle helmet legislation on cycling-related injury: the ratio of head to arm injuries over time. [Accepted for publication in the Journal of the Australasian College of Road Safety, August 2010]