Aktuelle Urol 2014; 45(05): 345-346
DOI: 10.1055/s-0034-1393913
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chronisches Beckenschmerzsyndrom – Einfluss der Ernährung

Contributor(s):
Elke Ruchalla

Urology 2014;
82: 1376-1380
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 October 2014 (online)

 

Bei Frauen mit chronischer interstitieller Zystitis bzw. Painful Bladder Syndrome (IC / PBS) kann die Ernährung ein Rolle bei der Symptomatik und der Therapie spielen. Die chronische Prostatitis bzw. das chronische Beckenschmerzsyndrom von Männern zeigt klinische und pathophysiologische Überlappungen mit der interstitiellen Zystitis, aber zum Thema Ernährung ist dabei bislang wenig bekannt. Eine Gruppe von US-amerikanischen Medizinern hat sich nun des Themas angenommen.
Urology 2014; 82: 1376–1380

mit Kommentar

Viele Männer mit chronischer Prostatitis bzw. chronischem Beckenschmerzsyndrom (chronic prostatitis / chronic pelvic pain syndrome; CP / CPPS) reagieren empfindlich gegenüber bestimmten Lebensmitteln und Getränken. Diesen Schluss ziehen Amin Herati et al., die die Daten von 95 Männern ausgewertet haben.

Die Wissenschaftler hatten zunächst an 286 ambulante Patienten, die die CP / CPPS-Kriterien des National Institutes of Health (NIH) erfüllten, validierte Fragebögen zu ihrer Symptomatik, zum Einfluss der Symptome auf die Lebensqualität und zu den Wirkungen von insgesamt 176 Lebensmitteln und Getränken auf ihre Symptomatik verschickt. Die Nahrungsmittel umfassten 8 Gruppen:

  • Obst,

  • Gemüse,

  • Fleisch / Fisch / Geflügel,

  • Brot / Getreideprodukte,

  • Desserts / Snacks,

  • Getränke,

  • „exotische“ Lebensmittel und

  • Verschiedenes.

Die Probanden sollten auf einer 5-Punkte-Likert-Skala angeben, inwieweit ein Nahrungsmittel ihre Symptome verbesserte oder verschlechterte. Für Nahrungsmittel mit mindestens 25 Bewertungen wurde dann ein Mittelwert errechnet.

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Kaffee führt bei Männern mit chronischem Beckenschmerzsyndrom häufig zu einer Verstärkung der Symptome. (Bild: matka_Wariatka / Fotolia.com)

Insgesamt 95 Patienten beantworteten die Fragebögen. Für die Auswertung wurden die Männer in 2 Gruppen eingeteilt: diejenigen, die zusätzlich die IC / PBS-Kriterien der NIH erfüllten (n = 33), und diejenigen, bei denen das nicht der Fall war (n = 62).

Dabei gaben unter den 62 Männern mit reinem CP / CPPS 27 (43,5 %) an, dass bestimmte Nahrungsmittel ihre Beschwerden verschlechterten (Schmerzen, Harndrang, Miktionshäufigkeit), 21 gaben keinen Einfluss an, und 14 konnten keine Aussage dazu machen. Deutlich weniger Männer beschrieben eine Besserung ihrer Symptome durch bestimmte Lebensmittel (n = 14).

Lebensmittel, die am häufigsten zu einer Symptomverstärkung führten, umfassten stark gewürzte Speisen, Kaffee, Peperoni, alkoholische Getränke, Tee und Chili. Zu einer Besserung der Beschwerden führten am häufigsten verschieden Laxanzien (Docusat, Flohsamenpulver) und Wasser. Dabei zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zu den Männern, bei denen gleichzeitig ein IC / ICBS vorlag.

Insgesamt gaben Männer mit den meisten Beschwerden und der stärksten Beeinträchtigung der Lebensqualität durch die Beschwerden auch am häufigsten eine Symptomverstärkung durch bestimmte Lebensmittel an.

Fazit

Ein großer Anteil der Männer mit CP / CPPS leidet unter Überempfindlichkeiten gegen bestimmte Lebensmittel, fassen die Autoren zusammen. Daher sollte die Diagnostik auch eine genaue Befragung im Hinblick auf die Ernährung umfassen, deren Ergebnisse dann bei der Therapie berücksichtigt werden. Die Grundlagen dieser Überempfindlichkeiten müssten weiter untersucht werden – eine Möglichkeit wäre das vermehrte Vorkommen bestimmter Rezeptoren in der Blasenschleimhaut, wie es bei IC / PBS nachgewiesen wurde.

Kommentar

Ein putativer Baustein im Therapiekonzept?

Die adäquate Behandlung von Männern mit chronischer Prostatitis (CP) oder einem chronischen Beckenschmerzsyndrom (chronic pelvinc pain syndrome; CPPS) stellt mitunter eine Herausforderung für den behandelnden Urologen dar. Jedem Urologen, der solche Patienten behandelt, ist bewusst, dass die Behandlung häufig aufwendig, schwierig und nicht immer von Erfolg gekrönt ist.

Aus Studien zur Behandlung von Patienten mit interstitieller Zystitis (IC) ist bekannt, dass bei vielen Patienten eine Sensitivität auf bestimmte Nahrungsmittel besteht und sich die Symptome der IC durch Einnahme bzw. Vermeidung verschiedener Nahrungsmittel verbessern bzw. verschlechtern lassen. Da IC und CP / CPPS verschiedene Parallelen aufweisen [ 1 ], erscheint es grundsätzlich naheliegend, dass sich auch bei letztgenanntem Krankheitsbild eine Verbesserung bzw. Verschlechterung der Symptome durch entsprechende Modifikation der Ernährungsgewohnheiten erreichen lässt. Jedoch ist dies trotz der Häufigkeit der CP / CPPS bisher kaum in Studien getestet worden.

Hohe Relevanz

Insofern ist die vorliegende Studie von Herati und Mitarbeitern [ 2 ] bemerkenswert und klinisch relevant, da erstmalig eine Vielzahl von Speisen und Getränken auf ihren Effekt der Symptomveränderung bei Patienten mit CP / CPPS systematisch evaluiert wurden. Die Relevanz dieser Arbeit wird noch durch die Tatsache unterstrichen, dass in den aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Urologie (EAU) ein möglicher positiver Einfluss der Erkrankung durch Änderung der Ernährungsgewohnheiten nicht diskutiert und auch nicht als mögliche Therapiesäule genannt wird [ 3 ].

Was sollte bei der Interpretation der Arbeit berücksichtigt werden? Zum einen ist die Rücklaufquote mit gerade einmal 33 % vergleichsweise gering. Wie richtig von den Autoren angemerkt, wird somit die tatsächliche Prävalenz der Nahrungssensibilität, die in der hiesigen Arbeit mehr als 50 % beträgt, möglicherweise überschätzt, da häufig selbst betroffene Patienten eher motiviert sind, den Studienfragebogen zu beantworten, um somit aktiv die Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung voranzutreiben.

Interessant erscheint weiterhin, dass vielen Patienten (22 %) nicht bewusst ist, ob bei ihnen eine Sensitivität gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln besteht, was sicherlich auch mit darauf zurückzuführen ist, dass das Gebiet der Nahrungsmittelsensibilität bei der CP / CPPS nur unzureichend erforscht und entsprechend wenig mit den Patienten thematisiert wird.

Strategie: Vermeidung statt bewusste Exposition

Etwas erstaunlich erscheint, dass lediglich 11 % der Patienten bewusst Nahrungsmittel meiden, wohingegen fast die Hälfte der Patienten regelmäßig Nahrungsmittel zu sich nimmt, von denen ihnen bekannt ist, dass die Symptome der Erkrankung hierdurch verschlechtert werden. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, da aus der Studie nicht hervorgeht, ob dies Patienten sind, bei denen die Beschwerdesymptomatik eher mild und deren Nahrungsmittelsensitivität entsprechend nicht so stark ausgeprägt ist.

Da in der hiesigen Studie die bewusste Einnahme von spezifischen Nahrungsmitteln nur mit einer vergleichsweise geringen Verbesserung der Symptome assoziiert war, scheint die in diesem Kontext gegenwärtig eher erfolgversprechende Strategie Vermeidung als bewusste Exposition zu lauten – zumindest bis weitere Studien ein anderes Bild darstellen.

Startschuss für weitere prospektive Studien

Zusammenfassend wird durch die vorliegende Studie ein Zusammenhang zwischen bestimmten Nahrungsmitteln und Verschlechterung der Symptome von CP / CPPS Patienten klar dargestellt und somit eine neue Behandlungssäule für diese Patienten offeriert. Es ist wünschenswert, dass durch diese Arbeit der Startschuss für weitere prospektive Studien gesetzt wird, um genauer zu identifizieren, welche Patienten am ehesten von einer Modifizierung ihrer Ernährungsgewohnheiten profitieren und um welche Nahrungsmittel es sich hierbei genau handelt.

Dies ist nicht zuletzt deshalb interessant, da einige der identifizierten Nahrungsmittel weit verbreitete Genussmittel darstellen (Kaffee, Alkohol), deren Verzicht für viele Menschen sicherlich einen massiven Einschnitt in ihrer Lebensqualität mit sich bringen würde. Als operativ tätiger Urologe würde ich persönlich beispielsweise nur äußerst ungern auf meinen Morgenkaffee verzichten müssen.

PD Dr. Hendrik Isbarn, Wedel


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PD Dr. Hendrik Isbarn


ist Oberarzt in der Abteilung für Urologie des Regio Klinikums Wedel

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  • Literatur

  • 1 Forrest JB, Nickel JC, Moldwin RM. Chronic prostatitis / chronic pelvic pain syndrome and male interstitial cystitis: enigmas and opportunities. Urology 2007; 69: 60-63
  • 2 Herati AS, Shorter B, Srinivasan AK et al. Effects of foods and beverages on the symptoms of chronic prostatitis / chronic pelvic pain syndrome. Urology 2013; 82: 1376-1380
  • 3 Fall M, Baranowski AP, Elneil S et al. EAU guidelines on chronic pelvic pain. Eur Urol 2010; 57: 35-38

  • Literatur

  • 1 Forrest JB, Nickel JC, Moldwin RM. Chronic prostatitis / chronic pelvic pain syndrome and male interstitial cystitis: enigmas and opportunities. Urology 2007; 69: 60-63
  • 2 Herati AS, Shorter B, Srinivasan AK et al. Effects of foods and beverages on the symptoms of chronic prostatitis / chronic pelvic pain syndrome. Urology 2013; 82: 1376-1380
  • 3 Fall M, Baranowski AP, Elneil S et al. EAU guidelines on chronic pelvic pain. Eur Urol 2010; 57: 35-38

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Kaffee führt bei Männern mit chronischem Beckenschmerzsyndrom häufig zu einer Verstärkung der Symptome. (Bild: matka_Wariatka / Fotolia.com)