Urologie Scan 2015; 02(03): 199-212
DOI: 10.1055/s-0034-1392479
Fortbildung
Uroonkologie des Harntrakts
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Geschlechtsbezogene Unterschiede in der Prognose von Patienten mit invasivem Urothelkarzinom der Harnblase – Realität oder Mythos?

Matthias May
,
Ingmar Wolff
,
Christian Gilfrich
,
Sabine Brookman-May
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Publication Date:
26 August 2015 (online)

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Zusammenfassung

Ziel. Der Einfluss des Geschlechts auf die Prognose von Patienten mit einem invasiven Urothelkarzinom der Harnblase (invUCB) ist Thema kontroverser Diskussionen; die Datenlage diesbezüglich ist zudem widersprüchlich. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene potenzielle ursächliche Faktoren (anatomische Unterschiede, differenter Zeitraum bis zur Diagnosestellung, unterschiedliche Verteilung der Hormonrezeptoren, Differenzen in der Tumorbiologie) für die vermeintlich schlechtere Prognose weiblicher Patienten mit invUCB diskutiert. Der vorliegende Reviewartikel fasst die publizierten Arbeiten des Zeitraums 2012 – 2015 zu diesem Thema zusammen. Ergebnisse. Die methodische Qualität der aktuell vorliegenden Arbeiten zur Determinierung des geschlechtsspezifischen Einflusses auf die Prognose des invUCB ist limitiert. Vorwiegend handelt es sich um Studien mit retrospektivem Design und fehlender Standardisierung der untersuchten Parameter. Eine zeitliche Verzögerung der Diagnosestellung bei weiblichen Patienten mit invUCB scheint insgesamt wahrscheinlich, was sich durch die verspätete Überweisung von symptomatischen Patientinnen zum Urologen erklären lässt. Ein prognostischer Einfluss dieser Zeitverzögerung ist anzunehmen, jedoch bisher nicht bewiesen. Aktuelle Zystektomieserien zeigen mehrheitlich vergleichbare Tumorstadien in der definitiven Histologie. Die stärkste Deterioration der Prognose weiblicher Patienten wird in jüngerem Alter und bei Nachweis einer lymphovaskulären Invasion beschrieben. Studien mit rigoroser statistischer Methodik des Propensity-Score-Matchings fanden keinen Überlebensunterschied zwischen den Geschlechtern. Die Interpretation vorliegender Studien zum Einfluss der Hormonrezeptoren (hier stehen insbesondere Androgenrezeptor und Östrogenrezeptor-β im Fokus) auf die Prognose des invUCB ist eingeschränkt durch methodische Mängel und die fehlende Definition der nachfolgenden Signalwege. Zusammenfassung. Studien von populationsbezogenen Karzinomregistern weisen eine vergleichsweise höhere karzinombezogene Sterblichkeit für weibliche Patienten nach, wobei nicht eindeutig zu erkennen ist, worin sich diese Differenz begründet. Zukünftige Forschungsaktivitäten sollten die Untersuchung der verzögerten Diagnosestellung weiblicher Patienten, die Unterscheidungen einer geschlechtsspezifischen Tumorbiologie mittels molekularer Marker und die Analyse nachfolgender Signalwege aktivierter Hormonrezeptoren umfassen. Ein weiterer Ansatzpunkt stellt die Durchsetzung vergleichbar hoher Therapiestandards für das weibliche Geschlecht dar, da die geringere Durchführung einer kontinenten Harnableitung bei weiblichen Zystektomiepatienten als Surrogat/Proxy für die Therapiequalität angesehen werden kann. Die Wechselwirkung zwischen dem Geschlecht und dem Outcome von Patienten mit invUCB scheint multifaktoriell, wobei ein unabhängiger prognostischer Einfluss des Geschlechts anhand der aktuellen Studienlage nicht valide abgeleitet werden kann.

Kernaussagen
  • In Karzinomregisterstudien wird für das Harnblasenkarzinom eine höhere karzinomspezifische Mortalität (CSM) von Frauen im Vergleich zu männlichen Patienten beschrieben.

  • Die exakte Wechselwirkung zwischen dem Geschlecht und dem Outcome von Patienten mit invasivem Urothelkarzinom der Harnblase (invUCB) bleibt jedoch weiterhin unklar.

  • Bei Patientinnen mit tumorbedingter Symptomatik (Hämaturie, Dysurie) ist eine Verzögerung der Diagnosestellung eines Harnblasenkarzinoms durch Fehldeutung der Symptome wahrscheinlich.

  • Die derzeit vorliegenden Arbeiten zum geschlechtsspezifischen Einfluss der Hormonrezeptoren auf die Prognose des invUCB sind methodisch unzureichend und in ihren Ergebnissen widersprüchlich.

  • In Studien mit einheitlicher Therapie des invUCB liegen widersprüchliche Ergebnisse zum prognostischen Einfluss des Geschlechts vor, sodass derzeit unklar bleibt, ob die höhere CSM weiblicher Patienten in den Karzinomregisterstudien tatsächlich auf das Geschlecht zurückzuführen ist, oder ob das Geschlecht hier als Surrogat für andere nicht beschriebene wirksame Einflussgrößen herhält.

  • Anhand der aktuellen Datenlage kann kein aggressiveres Therapieregime für weibliche Patienten mit invUCB empfohlen werden.