intensiv 2014; 22(05): 234-235
DOI: 10.1055/s-0034-1389570
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine Berlinerin in München

Heidi Günther
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Publication Date:
08 September 2014 (online)

Jibt dir det Leben een Puff, denn weine keene Träne! Lach dir ’n Ast und setz dir druff und baumle mit de Beene.

(Heinrich Zille, 1858–1929)

I sag gar nix. Dös wird man doch noch sagen dürfen.

(Karl Valentin, 1882–1948)

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(Foto: Paavo Blåfield)

Vor ein paar Tagen rief ein Arzt einer anderen Abteilung auf unserer Station an und begrüßte mich mit den Worten: „Hallo Heidi, du oide Wursthaut!“

Bis dahin mochte ich, wie alle Schwestern unserer Station, diesen jungen Mann eigentlich sehr gern. Sogar zu unserer Weihnachtsfeier hatten wir ihn eingeladen. Und dann das. Ich habe kurz darüber nachdenken müssen, was in den letzten Tagen anders war als bisher.

Bei unserem darauffolgenden Zusammentreffen habe ich ihn (ziemlich rüde) angesprochen um mich zu erkundigen, warum er mich eigentlich „alte Wurst“ nennt. Große Heiterkeit brach unter den Bayern der Station aus. Ja, konnte ich denn wissen, dass das so viel wie eine kumpelhafte Begrüßung ist, im positivsten Sinne.

Vor mehr als 15 Jahren bin ich aus Berlin nach München gezogen. Ich war – und bin es immer noch – sehr gern Berlinerin. Dass es mir aber in den ganzen Jahren nur sehr begrenzt gelingt, mich mit der bayrischen Sprachkultur anzufreunden, hätte ich nicht gedacht. Das geht ja schon beim Bäcker los.

Bei uns in Berlin gibt es Schrippen, Knüppel, Schusterjungs. Hier kauft man Semmeln und Laiberl. Kuchen heißen hier oft Datschi, während man in Berlin beim Bäcker durchaus einen Liebesknochen oder Pfannkuchen kaufen kann. Eierkuchen wiederum sind hier Pfannkuchen. Und so könnte ich das noch eine ganze Weile weiterführen. Von Bulette oder Fleischpflanzl bis Klöße oder Knedl.

Schlimm ist es auch, wenn ich hier Termine machen möchte. Kaum ein Bayer versteht mich. Viertel acht in Berlin ist viertel nach sieben in München. Und hier geht man nicht runter, hoch oder rüber sondern obe, umme, aufe. Und auf eine Frage bekommt man schon mal ein „des bassd scho’“ zur Antwort. Hier ist alles außerhalb der Stadt „am Land“, in Berlin „jwd“ (janz weit draußen).

Berliner sind oft kurz und bündig. Komme ich zur Tür rein, genügt ein knappes „Tach“, während der Bayer mindestens ein „Griàs Gōd“ oder aber ein „Griàsaichgōdbeianand“ von sich gibt.

Wir Berliner haben es ja nicht so mit der Grammatik: „Ick geh ma kieken bei die Leute.“ Während es im Bayrischen offensichtlich Vokale im Überfluss gibt: „Oachkatzlschwoaf“ (ein Klassiker, um Nichtbayern zu verwirren, soll Eichhörnchenschweif heißen und kommt aber eigentlich aus dem österreichischen Sprachgebrauch) und das „E“ nicht gerade der Favorit ist.

Meine bayrischen Kolleginnen bemühen sich seit Jahren mich sprachlich zu integrieren, auch wenn ihre Erfolge spärlich sind. Hauptsache aber wir verstehen uns, können gut miteinander arbeiten, lachen und wenn nötig auch ernsthaft sein. Und es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie in meiner Gegenwart eine für mich, die „Zuagroaste“, eine verständliche Sprache finden – und das ist auch gut so, würde mein Bürgermeister sagen!

Nun sind die sprachlichen Hürden, die ich seinerzeit überwinden musste und ehrlich gesagt bezweifle, dass ich damit durch bin, ja nur ein kleines und sehr individuelles Problem von mir. Es hätte auch schlimmer kommen können und mich hätte es nach Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen oder an die Nordseeküste verschlagen können. Dennoch bin ich ganz froh, dass nur dieser eine große Umzug in meinem Leben anstand und dass das Bayerische sich nur in der Sprache niederschlägt, wie übrigens bei fast allen Dialekten und Mundarten. Die Schriftsprache findet zum Glück meist in dem auch mir verständlichen Hochdeutsch statt.

Aber in der heutigen Zeit, in der Europa immer mehr zusammenrückt und das Schengener Abkommen ein Europa fast ohne Grenzen möglich macht, gibt es gerade für unsere Berufsgruppe ungeahnte Möglichkeiten in anderen Ländern zu arbeiten oder eben aus einem anderen Land in Deutschland Arbeit zu finden. So erwarten wir auf unserer Station noch in diesem Jahr einen Krankenpfleger aus Italien und eine neue Kollegin aus Spanien. Beide haben hochwertige und in Deutschland anerkannte Ausbildungen und sich bei uns schon in Begleitung einer Dolmetscherin vorgestellt. Derzeit lernen sie, hoffentlich erfolgreich, in einem der diversen Sprachinstitute deutsch. Das ist auch sehr wichtig für die neuen Kollegen und für uns. Unsere spanischen oder italienischen Kenntnisse beschränken sich doch eher auf Urlaubsbedürfnisse und sind für eine gute Einarbeitung auf Station nur sehr begrenzt nützlich. Dennoch nehmen meine Kollegen und ich diese Herausforderung sehr gern an und sind schon gespannt, wie das so laufen wird. Bestenfalls können wir alle voneinander lernen. Besonders spannend wird es dann, wenn unsere neuen Kollegen auf Patienten aus dem tiefsten Bayerischen Wald treffen. Da muss selbst ich oft passen.

Wir wiederum müssen aufpassen, dass wir nicht in eine übertrieben deutliche, extrem langsame und vor allen Dingen sehr laute Aussprache verfallen. Schließlich wollen wir ja, dass sich unsere neuen Kollegen bei uns wohl fühlen und nach Möglichkeit sehr lange bei uns bleiben. Ich bin aber sehr optimistisch, dass es alles gut klappen wird.

In diesem Sinne, Tschüs und „Bfiàdaichgōd“, Adiós und Arrivederci!

Ihre
Heidi Günther