Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(04): 163
DOI: 10.1055/s-0034-1387753
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gastkommentar

Säuglingssterblichkeit in Deutschland (2008–2012) – niedriger im Osten?
Günther Heller
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Publication Date:
15 August 2014 (online)

In dem in dieser Ausgabe der ZGN abgedruckten Artikel führen Trotter et al. eine erneute Analyse der Kindersterblichkeit auf der Basis von Daten des statistischen Bundesamtes durch. Zuvor war, ebenfalls auf Basis von Daten des statistischen Bundesamtes, über eine erhöhte Kindersterblichkeit in den westlichen im Vergleich zu den östlichen Bundesländern berichtet worden. Aufgrund der Bedeutung des Themas ist eine wissenschaftlich fundierte Reanalyse also ausdrücklich zu begrüßen. Allerdings enthalten die vorgelegten Analysen relevante methodische Fehler, die dazu führen, dass den Schlussfolgerungen von Trotter et al. über weite Strecken nicht gefolgt werden kann.

Wenn vergleichende Mortalitätsanalysen durchgeführt werden, muss allgemein gefordert werden, a) dass diese adäquat risikoadjustiert sind, b) ihnen ein schlüssiges Analysekonzept zum Umgang mit fehlenden Werten zugrunde liegt und c) dass zufällige Ergebnisse von relevanten Ergebnissen unterschieden werden. Leider erfüllt die von Trotter et al. vorgelegte Analyse keine der unter a)–c) genannten Anforderungen.

Ad a) Zwar werden die Analysen getrennt nach Geburtsgewichts in 500g-Kategorien durchgeführt, vom Statistischen Bundesamt sind aber 100g-Kategorien angegeben, sodass von keiner ausreichend risikoadjustierten Analyse gesprochen werden kann. Ad b) Zwar wird darauf eingegangen, dass in unterschiedlichen Bundesländern mitunter sehr unterschiedliche Anteile mit fehlenden Angaben zu Geburtsgewichten existieren. Es wird aber keine angemessene statistische Analyse oder eine Analyse der zugrundeliegenden Dokumentationsprozesse durchgeführt. Dabei hat dies erhebliche Bedeutung: So steht bspw. Niedersachsen in eigenen Mortalitätsanalysen dieser Daten auf dem zweitbesten Platz, wenn Verstobene ohne Angabe des Geburtsgewichts nicht berücksichtigt werden, fällt aber auf den zweitschlechtesten Platz, wenn diese Kinder berücksichtigt werden. Ad c) Zwar werden statistische Tests durchgeführt. Allerdings werden Streuungen zwischen den Bundesländern ohne weitere Einschränkung inhaltlich interpretiert. Die richtige und zuerst zu stellende Frage wäre gewesen: „Welche Streuung hatte man eigentlich erwartet?“ bzw. „Wie groß ist der Anteil der erwarteten Streuung, der sich allein auf zufällige Schwankungen zurückführen lässt?“ Ohne vorherige Power-Analysen lässt sich dies nicht beantworten. In der Konsequenz werden die beobachteten Streuungen zwischen den Ländern zu weitgehend interpretiert.

Mit Blick auf die Ergebnisse wird gefordert, die Tot- und die Lebendgeborenen gemeinsam zu betrachten. Demgegenüber kann argumentiert werden, dass die Prävention von Totgeburten wohl nur zum geringeren Teil durch die Perinatalzentren erfolgt. Dementsprechend wären hier zunächst weitere Analysen der Versorgungs- und Dokumentationsprozesse nötig, bevor eine höhere Totgeborenenrate als Erklärung für eine niedrigere Lebendgeborenenrate dienen könnte. In einem Nebengleis des Artikels wird eine Analyse nach der Anzahl der Perinatalzentren pro versorgter Frühgeborener und deren Assoziation zu durchschnittlichen landesspezifischen Kindersterblichkeiten durchgeführt. Zu den o. g. methodischen Problemen kommt bei dieser Analyse hinzu, dass sie sich auf aggregierte Daten stützt (ökologische Studie). Dabei sollte allgemein bekannt sein, dass derartige Studien die analysierten ¬Zusammenhänge ggf. nicht oder mit erheblicher Verzerrung abbilden (ökologischer Fehlschluss). Dafür Deutschland mittlerweile zahlreiche Studien auf Fall- bzw. Patientenebene zur Thematik vorliegen, kann nur empfohlen werden, die diesbezüglich von Trotter et al. vorgelegten Analysen sehr kritisch zu hinterfragen.

Zusammenfassend muss man festhalten: Die vorgelegten Analysen sind aufgrund erheblicher methodischer Mängel überwiegend nicht interpretierbar. Dies gilt allerdings, soweit nachvollziehbar, auch für die in der Presse veröffentlichten Analysen zur Thematik. Den Autoren ist aus Sicht des Kommentierenden dennoch zu danken, als dass sie ihren Artikel einer im fachwissenschaftlichen Diskurs fest verankerten Zeitschrift zur Veröffentlichung vorgelegt und sich damit einer kritischen Diskussion gestellt haben. Der Gesamtaussage von Trotter et al., dass auf Grundlage der Daten des statistischen Bundesamtes keine erhöhte Kindersterblichkeit in den westlichen Bundesländern nachgewiesen werden kann, ist dennoch zuzustimmen. Dies liegt allerdings in den aufgelisteten methodischen Mängeln der bisherigen Analysen begründet und bedeutet nicht, dass keine relevanten regionalen Mortalitätsunterschiede in Deutschland bestehen.

PD Dr. med. Günther Heller
AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung
und Forschung im Gesundheitswesen GmbH
Göttingen