Schlüsselwörter
Nierenversagen - Niereninsuffizienz - Hämodialyse - Peritonealdialyse - orale Trinknahrung
- enterale Ernährung - parenterale Ernährung - intradialytische Ernährung
Keywords
acute kidney injury - chronic kidney disease - end stage renal disease - hemodialysis
- peritoneal dialysis - oral nutritional supplements - enteral nutrition - parenteral
nutrition - intradialytic nutrition
Abkürzungen
A-C-NV:
Akut-auf-chronisches Nierenversagen
ANV:
Akutes Nierenversagen
AS:
Aminosäuren
CAPD:
chronisch ambulante Peritonealdialyse
C-DRM:
chronic disease-related malnutrition (chronische krankheitsspezifische Mangelernährung)
CNI:
Chronische Niereninsuffizienz
ESRD:
terminale Niereninsuffizienz (CNI-5b)
HD:
Hämodialysetherapie
IDEE:
Intradialytische enterale Ernährung
IDOE:
Intradialytische orale Ernährung
IDPE:
Intradialytische parenterale Ernährung
KG:
Körpergewicht
PEM:
Protein-Energie-Malnutrition
PD:
Peritonealdialyse
1 Einführung
Patienten mit Nierenversagen bilden eine heterogene Gruppe von Personen mit sehr unterschiedlichen
metabolischen Störungen und Bedarf an Nährstoffen. Zu diesen gehören
-
Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV, s. [Tab. 1]) oder die rasch zunehmende Zahl von Patienten mit akut-auf-chronischem Nierenversagen
(A-C-NV),
-
Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI, s. [Tab. 2]),
-
Patienten unter Nierenersatztherapie sowie
-
Personen, die sich einer Nierentransplantation unterzogen haben,
Tab. 1
Definition und Stadieneinteilung des akuten Nierenversagens.
Stadium/KDIGO Rifle
|
tradit. Bezeichnung
|
Kreatinin-Kriterium
|
Diurese-Kriterium
|
ANV I/R = risk
|
Nierenschädigung
|
1,5 – 2-mal AW oder Anstieg > 0,3 mg/dL
|
< 0,5 ml/kg/h über 6 – 12 h
|
ANV 2/I = injury
|
Niereninsuffizienz
|
2 – 3-mal AW
|
< 0,5 ml/kg/h über > 12 h
|
ANV 3/F = failure
|
Nierenversagen
|
3-mal AW oder Anstieg > 4 mg/dL oder Beginn Nierenersatztherapie
|
< 0,3 ml/kg/h über > 24 h oder Anurie > 12 h
|
nach KDIGO; Serumkreatinin in mg/dL, ANV = akutes Nierenversagen, AW = Ausgangswert
Tab. 2
Die Stadien der chronischen Niereninsuffizienz.
Stadium
|
trad. Bezeichnung
|
eGFR[*] ml/min
|
CNI 1
|
Nierenschädigung
|
≥ 90
|
CNI 2
|
Niereninsuffizienz
|
89 – 60
|
CNI 3a
|
kompensierte Retention
|
59 – 45
|
CNI 3b
|
kompensierte Retention
|
30 – 44
|
CNI 4
|
dekompensierte Retention
|
29 – 15
|
CNI 5
|
terminale Niereninsuffizienz mit oder ohne HD
|
< 15
|
* berechnete glomeruläre Filtrationsrate nach Standard-Formeln (z. B. Crockoft-Gault,
MDRD, CKD-EPI)
jeweils ohne oder mit begleitenden Akuterkrankungen.
Nierenfunktionsstörungen selbst gehen mit einem breiten Spektrum an spezifischen metabolischen
Störungen einher. Prinzipiell ist das Nierenversagen ein Syndrom, bei dem mehr oder
weniger alle physiologischen Funktionen, Stoffwechselwege und Organfunktionen beeinflusst
sind.
Eine Nierenfunktionsstörung führt jedoch auch zu grundsätzlichen Modifikationen anderer
Erkrankungen, insbesondere von Infektionen. Beispielsweise wird im Falle des ANV,
je nach auslösender Grundkrankheit, ein proinflammatorischer, prooxidativer und hyperkataboler
Zustand induziert, der einen unabhängigen Einfluss auf Krankheitsverlauf und Mortalität
ausübt.
Neben den metabolischen Störungen, die durch die Dysfunktion der Nieren verursacht
werden, sind auch die verschiedenen Nierenersatzverfahren mit ausgeprägten Änderungen
des Stoffwechsels und der Nährstoffbilanzen verbunden.
Zusätzlich wird der Stoffwechsel und der Nährstoffbedarf auch durch jene Erkrankung
beeinflusst, die zur Nierendysfunktion (beim ANV) bzw. zum Intensivaufenthalt geführt
hat. Zudem können gleichzeitig andere Organfunktionsstörungen und Komplikationen,
wie Infektionen, eintreten, die den Stoffwechsel modifizieren.
Daher muss beachtet werden, dass der Nährstoffbedarf und die Ernährungstherapie sich
grundsätzlich zwischen diesen sehr unterschiedlichen Patientengruppen unterscheiden,
sich jedoch auch bei einem Patienten selbst im Krankheitsverlauf ganz wesentlich ändern
können. Damit erfordern Patienten mit Nierenfunktionsstörungen noch viel mehr als
andere Patientengruppen eine sehr individualisierte Planung und Durchführung der Ernährungstherapie.
Durch die Störung der Nierenfunktion und die damit einhergehenden grundsätzlichen
Änderungen des Stoffwechsels besteht nicht nur eine eingeschränkte Toleranz gegenüber
Volumen und Elektrolyten, sondern auch gegenüber zahlreichen Nährstoffen, sodass das
Risiko der Ausbildung von Stoffwechselentgleisungen massiv erhöht ist. Daher erfordern
Patienten mit Nierenversagen eine wesentlich engere Überwachung („Monitoring“) der
Ernährungstherapie als andere Patientengruppen.
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz beinhalten die Ernährungsziele neben einer Reduktion
der urämischen Toxizität auch die Prävention der Progression der Nierenerkrankung.
Beim ANV ist eine Förderung der renalen Reparaturprozesse durch ernährungsmedizinische
Konzepte zumindest intendiert.
Bei Patienten mit Nierenversagen wurden nur sehr wenige systematische Studien zur
künstlichen Ernährung durchgeführt. Zudem sind einige von diesen Studien vor vielen
Jahren unter Bedingungen erfolgt, die nicht dem derzeitigen Stand des Wissens und
der Praxis der Ernährungstherapie entsprechen. Studien mit „harten“ Endpunkten, wie
Intensiv- oder Krankenhausaufenthaltsdauer, Komplikationshäufigkeit, Erholung der
Nierenfunktion oder Überleben, sind nur vereinzelt verfügbar. Moderne Untersuchungen
sind meist sekundäre Analysen von Subgruppen der Patienten mit ANV aus größeren Studien.
Mit dieser sehr „dünnen“ Datenlage können die meisten hier gemachten Aussagen und
Empfehlungen nicht auf qualitativ hochwertige, randomisierte, prospektive Untersuchungen
gestützt werden, sondern sind meist Expertenmeinungen; ein Umstand, den sich diese
Patientengruppen durchaus mit andern Indikationen der Ernährungstherapie bei akut-kranken
Patienten teilt [1].
Sicherlich ist die künstliche Ernährung der verschiedenen Gruppen von Patienten mit
Nierenfunktionsstörungen nicht grundsätzlich unterschiedlich von jener bei anderen
Krankheitszuständen. Jedoch muss in der Planung und Durchführung der Ernährungstherapie
dieses breite Spektrum an metabolischen Störungen und Änderung des Nährstoffbedarfs
berücksichtigt werden und eine Koordinierung mit der Nierenersatztherapie erfolgen.
In dieser Leitlinie sollen keine allgemeinen Aussagen zur künstlichen Ernährung gemacht
werden, sondern nur die spezifischen Aspekte der künstlichen Ernährung von Patienten
mit Nierenfunktionsstörungen zusammengefasst werden (Übersichten [2]
[3]
[4]).
2 Methodik
Die vorliegende Leitlinie basiert auf den früheren Leitlinien der DGEM (2003, 2007)
[5]
[6], der ESPEN (2006, 2009) [2]
[7] bzw. auch der ISRNM (2008, 2013) [8]
[9]. Sie fasst die Aspekte zur enteralen Ernährung und parenteralen Ernährung in einer
Leitlinie zusammen und richtet sich an alle Berufsgruppen, die nephrologische Patienten
mit enteraler und/oder parenteraler Ernährung versorgen. Sie soll ihnen konkrete Handlungsempfehlungen
für den Einsatz und Umgang mit künstlicher Ernährung bei der heterogenen Patientengruppe
mit Nierenversagen geben.
Die verschiedenen Patientengruppen mit Nierenversagen: Personen mit Nierenversagen bilden eine sehr heterogene Gruppe von Patienten, bei
denen sich Stoffwechsel und Nährstoffbedarf grundsätzlich unterscheiden.
-
Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV) oder akut-auf-chronischem Nierenversagen
(A-C-NV)
-
Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ohne Notwendigkeit der Nierenersatztherapie
(CNI-Stadium 3 – 5)
-
akut kranke und chronisch kranke Patienten unter Nierenersatztherapie: Hämodialyse
(HD), kontinuierliche Nierenersatztherapie, verschiedene Formen der Peritonealdialyse
(PD)
-
Patienten nach Nierentransplantation (nicht besprochen in diesen Empfehlungen)
Aus einer metabolischen und ernährungstherapeutischen Sicht können folgende Patientengruppen
unterschieden werden, die metabolische und ernährungstherapeutische Gemeinsamkeiten
aufweisen und daher im Folgenden gemeinsam besprochen werden sollen. Vorangestellt
werden einige allgemeine Bemerkungen, die alle Gruppen von Patienten mit Nierenversagen
betreffen.
-
Akut-kranke Patienten mit ANV, mit A-C-NV oder mit chronischer Niereninsuffizienz
(CNI 3 – 5) und begleitende Akut-Erkrankungen
ohne
Notwendigkeit der Nierenersatztherapie
-
Stabile Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ohne begleitende Akut-Erkrankungen
(CNI 3 – 5) und
ohne
Notwendigkeit der Nierenersatztherapie
-
Akut-kranke Patienten mit ANV, mit A-CNV (AKIN-3) oder terminaler Niereninsuffizienz
(CNI-5; ESRD) unter Nierenersatztherapie (inklusive Intensivpatienten)
-
der chronische CNI-5 Patient mit chronischer
krankheitsspezifischer Mangelernährung unter Nierenersatztherapie (ESRD), mit oder
ohne interkurrente Begleiterkrankungen
Die Leitlinie wurde von einer Expertengruppe aus Internisten mit dem Schwerpunkt Nierenerkrankungen
erarbeitet. Zu Beginn der Leitlinienarbeit wurde eine Literatursuche über die Pubmed-Suchoberfläche
der National Library of Medicine durchgeführt. Folgende Schlüsselwörter wurden verwendet:
“enteral nutrition” OR “parenteral nutrition” OR “nutrition support” OR “metabolism”
OR “feeding tube”
in Verbindung mit folgenden krankheitsassoziierten Schlüsselbegriffen:
„intradialytic nutrition“ OR “acute kidney injury” OR “acute-on-chronic renal failure”
OR “chronic kidney disease” OR “renal replacement therapy” OR “hemodialysis therapy”
OR “peritoneal dialysis”
Es wurden Originalarbeiten, Leitlinien, Meta-Analysen, systematische Übersichtsarbeiten,
randomisiert-kontrollierte Studien und Beobachtungsstudien seit 1970 bis 31.7.2014
eingeschlossen. Berücksichtigt wurden ausschließlich themenrelevante englische oder
deutsche Publikationen sowie Publikationen, die im Volltext erhältlich waren.
Von den Arbeitsgruppen wurden die Empfehlungen anhand dieser Literatur erarbeitet,
diskutiert und gegebenenfalls modifiziert. Es wurde darauf geachtet, dass die Empfehlungen
spezifisch und eindeutig formuliert sind.
Die Empfehlungen wurden in der Arbeitsgruppe sowie im DGEM-Präsidium einstimmig verabschiedet.
Des Weiteren wurde die Leitlinie folgenden Fachgesellschaften zur Autorisierung vorgelegt:
-
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung (AKE)
-
Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz (GESKES)
-
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)
Die Leitlinie (AWMF-Registernummer: 073-009) ist gültig von Januar 2015 bis Januar
2020. Spätestens nach 5 Jahren wird die Leitlinie einer erneuten Revision unterzogen.
Neu erscheinende wissenschaftliche Erkenntnisse werden von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe
beobachtet. Falls notwendig, wird die DGEM eine Überarbeitung und Aktualisierung einzelner
Themenkomplexe vorzeitig vornehmen lassen. Aktualisierungen werden gesondert in Form
eines Addendums publiziert.
3 Grundsätzliche Gemeinsamkeiten der nephrologischen Patientengruppen
3 Grundsätzliche Gemeinsamkeiten der nephrologischen Patientengruppen
3.1 Übt eine Niereninsuffizienz einen Einfluss auf den Stoffwechsel aus, der in der
Planung der Ernährungstherapie berücksichtigt werden sollte?
Alle Formen der Niereninsuffizienz verursachen zusätzlich zu den Störungen des Volumen-,
Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts eine grundsätzliche Änderung des „milieu interieur“
mit spezifischen Auswirkungen auf den Protein- und Aminosäuren-, den Kohlenhydrat-
und Fettstoffwechsel und können je nach Art der akuten Begleiterkrankung eine proinflammatorische
Reaktion und Depletion des antioxidativen Systems verursachen.
Kommentar: Grundsätzlich führt jede Niereninsuffizienz zu einer Beeinträchtigung zahlreicher
physiologischer Reaktionen, Stoffwechselwege und endokriner Funktionen ([Tab. 3]). Die Proteinsynthese ist vermindert, der Proteinabbau stimuliert, die Glukoseutilisation
beeinträchtigt, der Fettabbau gehemmt. Zudem finden sich auch hochgradige Störungen
im Stoffwechsel von Vitaminen und Spurenelementen, das antioxidative Potenzial ist
massiv beeinträchtigt [10]
[11].
Tab. 3
Die wichtigsten spezifischen metabolischen Störungen, die durch eine Niereninsuffizienz
induziert werden.
-
periphere Insulinresistenz/gesteigerte hepatische Glukoneogenese
-
Hemmung der Lipolyse, Verzögerung der Fettklärung
-
metabolische Azidose
-
Aktivierung des Proteinkatabolismus
-
Depletion des antioxidativen Systems
-
gestörte Kaliumhomöostase
-
Induktion/Augmentierung einer proinflammatorischen Reaktion
-
Störung der Immunkompetenz
-
andere endokrine Störungen: Hyperparathyreoidismus, EPO-Resistenz, Resistenz gegenüber
Wachstumshormon etc.
|
Bei Patienten mit fortgeschrittener CNI kommt es durch die Triade von gesteigertem
Proteinabau, inadäquater Proteinsynthese und inadäquater spontaner oraler Aufnahme
von Proteinen und Energiesubstraten zu einem hohen Risiko der Ausbildung einer Protein-Energie-Malnutrition
(PEM- = protein engery malnutrition), die nach neuerer Terminologie „Chronische krankheitsspezifische
Mangelernährung“ (C-DRM = chronic disease-related malnutrition) genannt wird (s. Kapitel
CNI) [12].
Zusätzlich muss beachtet werden, dass der Stoffwechsel bei Patienten mit Niereninsuffizienz
häufig durch interkurrente Erkrankungen bzw. im Falle des ANV durch die zugrunde liegende
Erkrankung und im Krankheitsverlauf auftretende Komplikationen und zusätzliche Organversagen
beeinflusst werden kann [4].
Schließlich üben auch die verschiedenen Nierenersatzverfahren einen grundlegenden
Einfluss auf Stoffwechsel und Nährstoffbilanzen aus (s. [Tab. 6]).
3.2 Hat die Niereninsuffizienz einen relevanten Einfluss auf den Energiestoffwechsel
bzw. den Energiebedarf der Patienten?
Die Niereninsuffizienz selbst übt keinen wesentlichen Einfluss auf den Energiehaushalt
aus. Der Energiebedarf wird bei Niereninsuffizienz vorwiegend durch zugrunde liegende
Erkrankungen, begleitende Komplikationen oder auch durch das Ausmaß von Inflammation
und Komorbiditäten bestimmt.
Kommentar: Bei stoffwechselstabilem, therapeutisch gut kompensiertem Nierenversagen ohne Komplikationen
und Begleiterkrankungen ist der Energiestoffwechsel nur unwesentlich beeinflusst,
möglicherweise im Sinne eines „urämischen Hypometabolismus“ sogar vermindert [13].
Bei bettlägrigen akut-kranken Patienten entspricht die empfohlene Energiezufuhr jener
bei anderen Akuterkrankungen (s. DGEM-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“).
Bei mobilen Patienten mit CNI und hohem Risiko der Ausbildung einer PEM/C-DRM sollte
jedoch in Abhängigkeit von der körperlichen Aktivität eine höhere Zufuhr (35 kcal/kg
KG/Tag) angestrebt werden [2].
3.3 Ist die enterale Ernährung auch für Patienten mit Niereninsuffizienz die zu bevorzugende
Form der künstlichen Ernährung?
Die enterale Ernährung ist die bevorzugte Form der künstlichen Ernährung auch für
akut und chronisch kranke Patienten mit Niereninsuffizienz. Bereits kleine Mengen
enteral verabreichter Nährstoffe können die Schutzfunktion des Darmes unterstützen.
Kommentar: Obwohl aus einer historischen Perspektive die meisten Studien zur künstlichen Ernährung
bei Nierenversagen mit parenteraler Ernährung vorgenommen wurden, kann kein Zweifel
darüber bestehen, dass die enterale Ernährung auch bei niereninsuffizienten Patienten
die Methode der ersten Wahl der künstlichen Ernährung darstellt [14].
Generell sollte man parenterale und enterale Ernährung nicht als konkurrierende, sondern
sich gegenseitig ergänzende Methoden ansehen, da es gerade bei Patienten mit Niereninsuffizienz
oft unmöglich ist, eine bedarfsdeckende Ernährung auf enteralem Weg vorzunehmen. In
diesen Fällen kann eine ergänzende bzw. totale parenterale Ernährung notwendig werden.
Beim ANV könnte die enterale Ernährung zudem spezifische Vorteile aufweisen, indem
– wie zumindest im Tierexperiment gezeigt wurde – durch eine enterale Nahrungszufuhr
die renale Perfusion und auch die Funktion gesteigert werden [15]. Eine enterale Ernährung war zumindest in Kohortenstudien einer der Faktoren, der
mit einer verbesserten Prognose assoziiert war [16].
3.4 Welche Art von Sondennahrung soll bei Patienten mit Niereninsuffizienz verwendet
werden?
Im Allgemeinen sollten bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz (wie für
andere Akutpatienten) hochmolekulare Standard-Diäten für die enterale Ernährung verwendet
werden. Spezifische nierenadaptierte Präparate können in Einzelfällen bzw. bei langer
Therapiedauer die metabolische Führung erleichtern. Bei stabilen Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz können spezifische Präparate Vorteile aufweisen (s. Unterkapitel).
Kommentar: Für Patienten mit Niereninsuffizienz wurden 3 Gruppen von enteralen Ernährungspräparaten
entwickelt, für Patienten mit akutem Nierenversagen gibt es bislang keine speziellen
Präparate [4]
[17]:
-
Chemisch definierte Pulver-Diäten: Diese protein- und elektrolytreduzierten Präparate wurden im Sinne einer proteinreduzierten
Diät für Patienten mit CNI ohne Notwendigkeit der Nierenersatztherapie entwickelt
und sind z. T. noch auf dem Markt. Diese Präparate sind ernährungsphysiologisch unvollständig
und daher für die komplette enterale Ernährung heute obsolet.
-
Nährstoffdefinierte, hochmolekulare Flüssigdiäten (NDD) für Patienten mit CNI ohne
Nierenersatztherapie: Diese wurden als oral bilanzierte Diäten (OBD) entwickelt und können auch zur enteralen
Ernährung eingesetzt werden. Sie sind protein-, kalium- und phosphatreduziert. Manche
haben Zusätze, wie Carnitin oder Histidin.
-
Nährstoffdefinierte, hochmolekulare Flüssigdiäten für Patienten mit CNI unter Dialysetherapie: Diese wurden als oral bilanzierte Diäten (OBD) entwickelt und können auch zur enteralen
Ernährung eingesetzt werden. Sie sind proteinreich, aber gleichzeitig kalium- und
phosphatreduziert. Manche haben Zusätze, wie Carnitin oder Histidin.
Für Akutpatienten werden weltweit Standard-NDD wie für nicht niereninsuffiziente Patienten
verwendet [14].
Zusammenfassend sind speziell für die Niereninsuffizienz-Präparate für die orale Supplementierung
entwickelt worden, die auch in der enteralen Ernährung eingesetzt werden können.
Bei Akutpatienten hingegen werden weltweit Standard-NDD wie für andere Patientengruppen
eingesetzt [2]
[4].
Für den Einsatz von Präparaten der Immunonutrition liegen für Patienten mit Niereninsuffizienz
keine systematischen Studien vor; daher sollten diese auch nicht eingesetzt werden.
Sondennahrungen enthalten nach einer EU-Richtlinie den Tagesbedarf an Mikronährstoffen
von Gesunden. Beachtet sollte werden, dass insbesondere Patienten unter Nierenersatztherapie
einen erhöhten Bedarf an Mikronährstoffen haben können. Dies gilt insbesondere für
wasserlösliche Vitamine, Vitamin D und Selen.
3.5 Sollen Sondennahrungen für Patienten mit Niereninsuffizienz Ballaststoffe enthalten?
Für die enterale Ernährung von Patienten mit Niereninsuffizienz sollten ballaststoffhaltige
Produkte verwendet werden.
Kommentar: Dieser Punkt wird speziell erwähnt, da eine zunehmende Zahl von Studien gezeigt hat,
dass Ballaststoffe bei Patienten mit Niereninsuffizienz spezifisch günstige Effekte
induzieren können. Dies betrifft einerseits die verminderte Bildung von urämischen
Toxinen, die gesteigert Adsorption und Ausscheidung von Toxinen und auch einen signifikanten
antiinflammatorischen Effekt [18].
3.6 Gibt es bei Patienten mit Niereninsuffizienz spezielle Probleme, die eine enterale
Ernährung limitieren können?
Eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion führt zu Störungen der gastrointestinalen
Motilität und der Magenentleerung. Zudem ist die Absorption verschiedener Nährstoffe,
insbesondere von Fett, beeinträchtigt.
Kommentar: Durch diese Änderungen der intestinalen Funktionen wird die enterale Ernährung beeinträchtigt,
weshalb diese im Vergleich zu Patienten ohne Nierenversagen oft nur verzögert aufgebaut
werden kann [19].
3.7 Sollen bei Patienten mit Niereninsuffizienz und intestinaler Intoleranz Prokinetika
eingesetzt werden?
Wegen der Beeinträchtigung der intestinalen Motilität bei Niereninsuffizienz sollten
in der enteralen Ernährung frühzeitig Prokinetika eingesetzt werden.
Kommentar: Wie bei anderen Patientengruppen sollten frühzeitig Prokinetika eingesetzt werden.
Systematische Untersuchungen für Patienten mit Niereninsuffizienz fehlen, jedoch wurden
wie auch bei anderen Intensivpatienten, bei diesen Metoclopramid und Erythromycin
eingesetzt [20].
3.8 Wenn bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz eine parenterale Ernährung
notwendig wird, sollten dann spezielle Aminosäurenlösungen verwendet werden?
Für die parenterale Ernährung niereninsuffizienter Patienten können Normallösungen
oder spezielle „Nephro“-Lösungen verwendet werden. Inkomplette Aminosäurelösungen,
die nur essenzielle Aminosäuren enthalten, sollen nicht verwendet werden.
Kommentar: Prinzipiell werden/wurden 3 Arten von Aminosäurenlösungen in der parenteralen Ernährung
von Patienten mit Niereninsuffizienz verwendet [4].
-
Lösungen von ausschließlich essenziellen Aminosäuren nach dem für die Therapie der
CNI entwickelten Konzeptes einer proteinarmen Diät. Diese Lösungen sind ernährungstechnisch
unvollständig, haben eine unausgewogene Zusammensetzung, können schwerwiegende Störungen
(wie eine Hyperammoniämie) induzieren und sind somit als obsolet anzusehen.
-
Spezielle, für das Nierenversagen entwickelte „Nephro“-Lösungen, die ein komplettes
Aminosäurenmuster aufweisen, an den geänderten Stoffwechsel adaptiert sind und z. T.
auch Aminosäuren enthalten, die bei Niereninsuffizienz krankheitsbedingt essenziell
werden können (z. B. Tyrosin, wegen seiner geringen Wasserlöslichkeit als Dipeptid).
Diese Lösungen haben metabolische Vorteile, Studien mit „harten“ Endpunkten liegen
jedoch nicht vor [21]
[22].
-
Normallösungen, wie sie auch bei Patienten ohne Niereninsuffizienz eingesetzt werden,
werden von den meisten Gruppen bevorzugt [14].
Heute sollen nur Lösungen verwendet werden, die essenzielle und nicht essenzielle
Aminosäuren entweder in einem Standardmuster oder in einer spezifisch an den bei Niereninsuffizienz
gestörten Metabolismus orientierten Zusammensetzung enthalten.
In Anbetracht neuerer Untersuchungen zu Funktionen von Aminosäuren, die weit über
den Proteinhaushalt hinausgehen, wie intrazelluläres Signalling im mTOR-Weg, dürften
spezielle Lösungen in Zukunft wieder verstärkt diskutiert werden [23].
3.9 Wenn bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz eine parenterale Ernährung
notwendig wird, sollte auch Glutamin zugeführt werden?
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie sollte in der Ernährung
kein Glutamin zugesetzt werden, unter Nierenersatztherapie kann Glutamin verabreicht
werden.
Kommentar: Obwohl Glutamin die Nierenfunktion verbessern kann und zumindest im Tierexperiment
nephroprotektive Wirkungen aufweist, gibt es keine speziell renale Indikation für
die Verabreichung von Glutamin [24]. Systematische Untersuchungen zu Glutamin bei Patienten mit ANV sind nicht durchgeführt
worden. Allerdings gibt es Sekundäranalysen von anderen Studien zu Glutamin, die speziell
Patienten mit Niereninsuffizienz auswerten (s. Akutpatienten).
Glutamin sollte bei Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie nach
der neuesten Untersuchung von Heyland und insbesondere nach der Sekundäranalyse jener
Patienten mit Nierenfunktionsstörungen, nicht verabreicht werden [25]
[26].
Wenn bei Patienten unter Nierenersatztherapie eine Indikation für Glutamin aus anderen
Gründen vorliegt, kann Glutamin der Ernährung zugesetzt werden (s. Empfehlung 22).
3.10 Wenn bei Patienten mit Niereninsuffizienz eine parenterale Ernährung notwendig
wird, sollten auch Fettemulsionen verwendet werden?
Trotz der Beeinträchtigung von Hydrolyse und Fettklärung kann Fett dosisadaptiert
in der künstlichen Ernährung von Patienten mit Niereninsuffizienz verwendet werden,
wobei die Plasmatriglyzeride kontrolliert werden sollen.
Kommentar: Die Änderungen des Fettstoffwechsels bei Niereninsuffizienz (Hemmung der Lipolyse)
sollten nicht dazu führen, kein Fett in der parenteralen Ernährung einzusetzen [27]. Jedoch sollte die Infusion durch Kontrolle der Plasmatriglyzeride überwacht und
bei Anstieg über 400 mg/dL die Fettzufuhr vermindert oder beendet werden.
Die heute empfohlene Fettdosis von ca. 1 g Fett/kg KG/Tag führt selten zu einer Überschreitung
der Triglyzeridgrenze (s. DGEM-Leitlinie „Klinische Ernährung in der Intensivmedizin“).
3.11 Wenn intravenöses Fett verwendet wird, welche Art von Fettemulsionen sollen eingesetzt
werden?
Auch bei Patienten mit Nierenversagen sollten moderne, PUFA-reduzierte Fettemulsionen
verwendet werden.
Kommentar: Bei verschiedenen Nierenerkrankungen (IgA-Nephritis, CNI, ANV, Z. n. Nierentransplantation)
wurde versucht, durch den Einsatz von Fischöl (sowohl als Bestandteil der Ernährungstherapie,
aber auch im Sinne einer Pharmakonutrition) und dadurch vermittelte immunmodulatorische
und hämodynamische Effekte, die Nierenfunktion und den Krankheitsverlauf günstig zu
beeinflussen [28].
Bislang fehlen Studien, die zeigen, dass die Verwendung von Fettemulsionen mit einem
verminderten Gehalt an mehrfach ungesättigten Omega-6-Fettsäuren (durch Austausch
von Sojabohnenöl durch Kokosöl [MCT], durch Olivenöl oder Fischöl), um damit potenzielle
proinflammatorische Nebeneffekte zu reduzieren, bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung
positive Auswirkungen zeigt. Dennoch wird bei Patienten mit Niereninsuffizienz, so
wie auch bei den anderen Patientengruppen, der Einsatz der modernen PUFA-reduzierten
Mischemulsionen empfohlen.
In einer häufig zitierten Arbeit über Fischöl in der Ernährungstherapie bei akuter
Pankreatitis wurde über eine signifikante Reduktion der Dauer der Nierenersatztherapie
berichtet (p < 0,05) [29]. Hier muss ein Fehler in der statistischen Auswertung vorliegen, da nur 3 Patienten
in der Kontrollgruppe und nur 2 Patienten in der Verumgruppe ein ANV hatten und damit
eine statistisch gestützte Aussage wohl nicht möglich ist.
3.12 Erfordert die künstliche Ernährung bei Patienten mit Niereninsuffizienz ein spezielles
Monitoring?
Patienten mit Niereninsuffizienz sollten wegen der geänderten Toleranz gegenüber Volumen
und Elektrolyte und den vielfältigen Änderungen des Stoffwechsels einem engmaschigen
Monitoring hinsichtlich der künstlichen Ernährung unterzogen werden.
Kommentar: Bei Niereninsuffizienz ist der Elektrolyt- und Volumenhaushalt gestört, sodass rasch
Entgleisungen auftreten können. Durch zusätzliche Stoffwechselstörungen und Retention
von Stoffwechselendprodukten erhöht sich die Gefahr der Ausbildung ernährungsbedingter
Komplikationen. Daher muss die Ernährungstherapie von Patienten mit Niereninsuffizienz
streng überwacht werden. Die Volumen- und Elektrolytbilanz (insbesondere von Kalium
und Phosphat) sollte dabei täglich neu beurteilt werden. Wegen des geänderten Stoffwechsels
müssen Blutzucker und Serumtriglyzeride regelmäßig bestimmt werden.
Bei Patienten ohne Nierenersatztherapie muss durch Monitoring von Harnstoff/BUN die
Proteinzufuhr adaptiert werden.
Ein langsamer Ernährungsaufbau sollte die Überwachung erleichtern und die Ausbildung
von Komplikationen vermindern.
3.13 Wie sollte die Glukosekontrolle bei Niereninsuffizienz gehandhabt werden?
Bei Nierenpatienten unter einer künstlichen Ernährung sollte eine Blutglukose von
< 180 mg/dL aufrechterhalten werden.
Kommentar: Eine Niereninsuffizienz führt per se zu einer Beeinträchtigung der Glukoseverwertung
[30]. Andererseits ist eine Hyperglykämie sowohl akut als auch chronisch ein Risikofaktor
für die Ausbildung einer Nierenschädigung. Daher sollte – um Hyperglykämien zu vermeiden
– eine Ziel-Blutglukose-Konzentration von < 180 mg/dL (~ 10 mmol/L) (also unterhalb
der Nierenschwelle für Glukose) aufrechterhalten werden [31]. Damit dies tatsächlich erreicht wird, sollte eine Zielglukose von 150 mg/dL (ca.
8 mmol/L) angestrebt werden. Unbedingt vermieden sollte aber eine Hypoglykämie.
3.14 Ab welcher Beeinträchtigung der Nierenfunktion sollte eine Ernährungstherapie
adaptiert werden?
Beim akuten Nierenversagen (ANV) treten metabolische Änderungen ab dem Stadium RIFLE-Stadium
I/AKIN-Stadium 2 bzw., wenn eine Nierenersatztherapie notwendig wird (RIFLE F, AKIN-Stadium
III), auf, bei chronischer Niereninsuffizienz (CNI) dann, wenn die glomeruläre Filtrationsrate
(GFR) unter 60 mL/min/1,73 m² (bzw. 45 mL/min/1,73 m²) bei Patienten > 65 Jahre (CNI-Stadium
3 – 5) abfällt.
Kommentar:
Bei Patienten mit ANV und A-CNV (Definition ANV s. KDIGO [2012]) [32]:
RIFLE-Stadium R und I/AKIN-Stadien I und II
In diesen frühen Stadien des ANV stehen zunächst Maßnahmen im Vordergrund, um die
Nierenfunktion zu stabilisieren bzw. eine Progression des Nierenversagens zu verhindern.
Dies beinhaltet auch metabolische und ernährungstherapeutische Maßnahmen, wie das
einer ausgeglichenen Elektrolytbilanz, Vermeidung einer Hyperglykämie oder Ausbildung
einer Malnutrition.
RILFE-Stadium F/AKIN-Stadium III
In den späteren Stadien RIFLE I – F, AKIN 2 – 3 sollten die metabolischen Besonderheiten
des Nierenversagens bzw. auch der Nierenersatztherapie berücksichtigt werden. In diesem
Stadium des ANV wird bei Intensivpatienten heute meist frühzeitig mit der Nierenersatztherapie
begonnen, um die systemischen Auswirkungen des ANV zu minimieren, die Volumen- und
Elektrolytbilanz aufrechtzuerhalten und die hämodynamischen und respiratorischen Funktionen
zu unterstützen.
Bei Patienten mit CNI: Bei Patienten mit CNI entstehen die für die künstliche Ernährung relevanten Stoffwechselstörungen
ab dem Stadium CNI-3b (= eGFR < 45 mL/min). Beachtet muss werden, dass sich Nährstoffbedarf
und Ernährungstherapie im CNI-Stadium 5 beim Übergang zur Nierenersatztherapie grundsätzlich
ändern.
3.15 Wie sollte der Ernährungsaufbau bei Patienten mit Niereninsuffizienz erfolgen?
Bei allen Patienten mit Niereninsuffizienz sollte der Ernährungsaufbau über 3 bis
5 Tage erfolgen, um metabolische Entgleisungen zu vermeiden und die Verwertung der
Substrate überprüfen zu können.
Kommentar: Wegen der beeinträchtigten gastrointestinalen Funktionen, der verminderten metabolischen
Toleranz verschiedener Substrate und dem hohen Risiko von Elektrolytentgleisungen,
sollte ein langsamer Ernährungsaufbau über 3 – 5 Tage vorgenommen werden, um einen
überhöhten Harnstoff- bzw. BUN-Anstieg und andere metabolische Entgleisungen, wie
eine Hyperglykämie oder Hypertriglyzeridiämie bzw. Elektrolyt-Imbalanzen, zu vermeiden.
4 Der akut-kranke Patient mit akutem Nierenversagen (ANV), akut-auf-chronischem Nierenversagen
(A-C-NV) oder chronischer Niereninsuffizienz (CNI) mit akuten Begleiterkrankungen
ohne Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie
4 Der akut-kranke Patient mit akutem Nierenversagen (ANV), akut-auf-chronischem Nierenversagen
(A-C-NV) oder chronischer Niereninsuffizienz (CNI) mit akuten Begleiterkrankungen
ohne Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie
4.1 Was ist der Nährstoffbedarf dieser akut-kranken Patientengruppe mit Niereninsuffizienz
ohne Notwendigkeit der Nierenersatztherapie?
Im Gegensatz zu Patienten mit stabiler chronischer Niereninsuffizienz (CNI) entspricht
der Substratbedarf von akut-kranken nephrologischen Patienten jenem von anderen akut-kranken
Patienten.
Kommentar: In [Tab. 4] ist der Nährstoffbedarf zusammengefasst, wobei Richtwerte angegeben sind. Der Substratbedarf
muss individuell an den Patienten adaptiert werden, da das Krankheitsgeschehen und
auch der Verlauf des ANV sehr variabel sein können.
Tab. 4
Nährstoffbedarf von akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie[*].
Energie
|
20 – 25
|
kcal/kg KG/Tag
|
Aminosäuren/Protein
|
0,8 – 1,2[**]
|
g/kg KG/Tag
|
Kohlenhydrate
|
3,0 – 4,0
|
g/kg KG/Tag
|
Fett
|
0,8 – 1,2[***]
|
g/kg KG/Tag
|
L-Carnitin[1]
|
0,5
|
g/Tag
|
wasserlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
fettlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Spurenelemente[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Elektrolyte[2]
|
eine Phosphat-/Kaliumrestriktion ist bei Akuterkrankungen meist nicht notwendig
|
Flüssigkeit[*]
|
|
|
* Individualisierung! Der Bedarf kann zwischen Patienten sehr unterschiedlich sein,
sich aber auch im Krankheitsverlauf grundsätzlich ändern
** in Abhängigkeit des Katabolimus und der individuellen Toleranz
*** Monitoring der Plasmatriglyzeride erforderlich
1 optional
2 enterale Diätpräparate enthalten den empfohlenen Tagesbedarf
Cave: Patienten mit CNI ohne akute Begleiterkrankungen haben einen geänderten Substratbedarf.
4.2 Wie hoch sollte die Protein- bzw. Aminosäurenzufuhr sein?
Akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz sollten je nach Katabolismus und individueller
Toleranz 0,8 – 1,2 g/kg KG/Tag an Proteinen bzw. Aminosäuren erhalten.
Kommentar: Bei diesen Patienten sollte, wenn die Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie vermieden
werden soll, die Protein- und Aminosäurenzufuhr mit niedriger Rate begonnen werden
(~ 0,5 g/kg KG/Tag) und unter Kontrolle der Harnstoff- bzw. BUN Werte über 3 – 5 Tage
gesteigert werden. Veränderungen der Serum-Harnstoff-Konzentration können zur Steuerung
des Ernährungsaufbaus verwendet werden; der Anstieg der Harnstoffkonzentration sollte
50 mg/dL (bzw. BUN ~ 25 mg/dL) pro Tag nicht übersteigen.
Obwohl heute die Plasmakonzentrationen von „Retentionsparametern“ bei Akutpatienten
nicht die einzige Indikation zur Einleitung einer Nierenersatztherapie darstellen,
sollte die Harnstoffkonzentration Werte von 180 – 200 mg/dL (BUN 80 – 100 mg/dL) nicht
übersteigen.
In vielen akut-klinischen Szenarien kann es aber wichtiger sein, eine adäquate Ernährung
vorzunehmen und falls sich die metabolische Situation verschlechtert, bei Bedarf eine
Nierenersatztherapie zu beginnen.
Cave: Im Gegensatz zum stabilen CNI sollte bei akut-kranken Patienten mit Nierenversagen
keine anhaltende Proteinrestriktion vorgenommen werden.
4.3 Welche anderen metabolischen Faktoren sollten in der Ernährungstherapie dieser
Patienten berücksichtigt werden?
Die Niereninsuffizienz geht mit verschiedenen Änderungen des Stoffwechsels einher,
welche auch bei der Verordnung einer Ernährungstherapie Berücksichtigung finden sollten.
Dazu gehören:
-
Prävention/Therapie der metabolischen Azidose
-
Ausgleich einer Hypovitaminose-D-Gabe von (aktivem) Vitamin D (~ 1 µg Calzitriol oder
1000 U/d Vitamin D3)
-
Vermeidung einer anhaltenden Hyper- oder Hypophosphatämie
-
Beachtung der Kaliumbilanz
Kommentar: Wie oben dargestellt, induziert eine Niereninsuffizienz ein sehr komplexes metabolisches
Umfeld, das bei Planung, Durchführung und Überwachung der Ernährungstherapie berücksichtigt
werden sollte [12].
4.4 Welche Art von Sondennahrungen sollten bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz
ohne Nierenersatztherapie verwendet werden?
Für akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie sollten
wie für andere Akutpatienten hochmolekulare Standard-Ernährungspräparate für die enterale
Ernährung verwendet werden. Spezifische nierenadaptierte Präparate können in Einzelfällen
bzw. bei langer Therapiedauer die metabolische Führung erleichtern.
Kommentar: Für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie wurden
spezielle enterale Ernährungspräparate entwickelt (s. Kapitel 3), die das Konzept
einer proteinreduzierten Diät verfolgen, aber für katabole Patienten mit Niereninsuffizienz
nicht geeignet sind [4].
Bei akut kranken Patienten mit Niereninsuffizienz stellen Hyperkaliämie und Hyperphosphatämie
kein häufiges Problem dar, sodass eine Elektrolytrestriktion meist nicht notwendig
ist. Bei mehrwöchiger Therapiedauer, insbesondere bei Patienten mit CNI, können dagegen
spezielle Präparate die Ernährungstherapie erleichtern [17].
4.5 Welche Art von Aminosäurenlösungen sollten in der parenteralen Ernährung akut-kranker
Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie verwendet werden?
Für akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie sollten
Standard-Aminosäuren-Lösungen verwendet werden. Spezifische Lösungen können in Einzelfällen
bzw. bei langer Therapiedauer die metabolische Führung erleichtern.
Kommentar: Für akut-kranke Patienten werden meist Standard-Aminosäuren-Lösungen empfohlen. Gerade
bei Patienten, bei denen eine Nierenersatztherapie nicht geplant oder gewünscht ist,
können spezielle Nephrolösungen Vorteile aufweisen und bei adäquater Aminosäurenzufuhr
die Harnstoffsteigerung minimieren.
5 Der stabile Patient mit chronischem Nierenversagen ohne Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie
(= CNI-3 bis 5)
5 Der stabile Patient mit chronischem Nierenversagen ohne Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie
(= CNI-3 bis 5)
Diese nicht akut-kranke Patientengruppe mit CNI ohne Nierenersatztherapie ist sicherlich
eine nicht häufige Indikation für eine künstliche Ernährung. Bei Patienten mit manifester
Malnutrition kann eine orale Gabe von oral bilanzierten Diäten (OBD) indiziert sein
[12]
[17]; bei pflegebedürftigen oder neurologisch beeinträchtigten Patienten kann eine länger
dauernde enterale Ernährung notwendig werden.
5.1 Wie hoch ist der Nährstoffbedarf bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
ohne Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie?
Die Nährstoffzufuhr von stabilen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI)
ohne Nierenersatztherapie kann in der Regel standardisiert erfolgen ([Tab. 5]).
Tab. 5
Nährstoffbedarf von stabilen Patienten mit CNI ohne Nierenersatztherapie[*].
Energie[**]
|
30 – 35
|
kcal/kg KG/Tag
|
Protein/Aminosäuren[*]
|
0,6 – 0,8
(– 1,0)
|
g/kg KG/Tag
|
Kohlenhydrate
|
3,0 – 4,0
|
g/kg KG/Tag
|
Fett
|
0,8 – 1,2
|
g/kg KG/Tag
|
L-Carnitin[1]
|
0,5
|
g/Tag
|
wasserlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
fettlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Spurenelemente[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Elektrolyte[2]
|
eine Phosphat-/Kaliumrestriktion ist bei stabilen CNI meist notwendig
|
Flüssigkeit[*]
|
|
|
* Der Bedarf kann sich durch Akuterkrankungen grundsätzlich ändern
** in Abhängigkeit der körperlichen Aktivität
1 in einigen Ernährungspräparaten enthalten, optional
2 enterale Ernährungspräparate, die den empfohlenen Tagesbedarf enthalten, Vitamin
D s. u.
Kommentar: Klinisch stabile Patienten mit CNI, die keine Nierenersatztherapie benötigen, können
in Abhängigkeit vom Ausmaß der Niereninsuffizienz einen speziellen Nährstoffbedarf
haben ([Tab. 5]). Bei interkurrenten Akuterkrankungen oder Hospitalisierungen kann sich dieser Nährstoffbedarf
grundsätzlich ändern (s. Kapitel 4, [Tab. 4])..
Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz wird eine Proteinzufuhr von 0,6 – 0,8 g/kg
KG/Tag empfohlen, wobei die optimale Zufuhr vom Ausmaß der körperlichen Aktivität
bestimmt wird. Bei Bettlägerigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit sinkt der Energiebedarf.
5.2 Wie hoch ist die optimale Protein- bzw. Aminosäurenzufuhr bei stabilen Patienten
mit CNI?
Stabile Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI) sollten je nach Katabolismus
und individueller Toleranz 0,6 – 0,8 g/kg KG/Tag an Protein/Aminosäuren erhalten.
Kommentar: Da die wesentlichsten urämischen Toxine aus dem Proteinstoffwechsel abgeleitet sind,
kann eine proteinreduzierte Ernährung die urämische Toxizität vermindern. Auch wird
einer proteinreduzierten Ernährung ein progressionshemmender Effekt auf den Verlauf
chronischer Nierenerkrankungen zugeschrieben. Dies kann auch zu einer Verzögerung
des Zeitpunkts der Dialyseeinleitung beitragen [33]. Aus diesem Grund wird bei Patienten mit CNI seit vielen Jahren eine diätetische
Eiweißrestriktion empfohlen, wobei die optimale Höhe der Zufuhr nicht genau definiert
ist. Eine Proteinzufuhr < 0,6 g/kg KG/Tag solle bei dieser nicht-akut-kranken Patientengruppe
allerdings vermieden werden, um die Entwicklung einer Mangelernährung zu verhindern
[2].
Bei diesen Patienten soll die Notwendigkeit der Nierenersatztherapie vermieden werden
und daher die Protein- und Aminosäurenzufuhr langsam begonnen und gesteigert und anhand
des Anstiegs von Harnstoff/BUN adaptiert werden.
5.3 Sollte bei Patienten mit CNI eine Alkalisierungstherapie vorgenommen werden?
Bei stabilen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI) soll eine Alkalisierungstherapie
mit einem Ziel-Serum-Bikarbonat > 22 mmol/L vorgenommen werden.
Kommentar: Die ungünstigen metabolischen Folgen einer urämischen Azidose sind extensiv dokumentiert.
In mehreren epidemiologischen Studien findet sich eine Korrelation von Azidose und
Mortalität [34]. Ein Ausgleich der Azidose, d. h. eine Alkalisierungstherapie, kann den Proteinkatabolismus
und Muskelverlust vermindern, die Muskelkraft steigern, den Knochenstoffwechsel (MBD)
verbessern, das Wachstum bei urämischen Kindern beschleunigen und eventuell auch die
Progression der Nierenerkrankung verzögern [35]
[36].
Die Alkalisierung kann durch Infusionen von Natriumbikarbonat, durch die orale/enterale
Gabe von Natriumbikarbonat und/oder Natriumzitrat, bei oraler Ernährung auch durch
eine obst-/gemüsereiche Kost erzielt werden [37].
5.4 Welche anderen metabolischen Faktoren sollten in der Ernährungstherapie von Patienten
mit CNI berücksichtigt werden?
Das Nierenversagen geht mit verschiedenen Änderungen des Stoffwechsels einher, die
auch im Rahmen einer Ernährungstherapie Berücksichtigung finden sollten. Bei betroffenen
Patienten ist deshalb insbesondere von Bedeutung:
-
Beachtung der Flüssigkeitszufuhr
-
Kontrolle der Natriumbilanz
-
Beachtung der Kaliumbilanz
-
frühzeitige Behandlung einer Hyperphosphatämie
-
Gabe von (aktivem) Vitamin D (~ 1 µg Calcitriol oder 1000 U/d Vitamin D3)
Kommentar: Nierenversagen induziert ein sehr komplexes metabolisches Umfeld, das in der Planung/Durchführung/Überwachung
der künstlichen Ernährungstherapie berücksichtigt werden sollte (s. auch Kapitel 3,
[Tab. 3]). Die angeführten Punkte gehören zum Standardmanagement des CNI [38].
5.5 Welche Art von Sondennahrungen sollten bei nicht akut-kranken Patienten mit CNI
ohne Nierenersatztherapie verwendet werden?
Bei stabilen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (CNI) können spezielle Ernährungspräparate,
die für nicht-dialysepflichtige Patienten entwickelt worden sind, verwendet werden,
weil sie die metabolische Führung erleichtern.
Kommentar: Wie im Kapitel 3 dargestellt, wurden für stabile nicht-dialysepflichtige Patienten
mit CNI spezielle Diäten entwickelt, die proteinreduziert sind, einen geringeren Gehalt
an Kalium und Phosphat aufweisen und verschiedene Zusätze, wie Histidin oder Carnitin
beinhalten [4]
[17].
Wenn allerdings akute interkurrente Erkrankungen bestehen, können Standardpräparate
eingesetzt werden (bzgl. Ballaststoffe s. Kapitel 3).
6 Der akut-kranke Patient mit ANV, A-C-NV und CNI mit interkurrenten Akuterkrankungen,
die eine Nierenersatztherapie benötigen
6 Der akut-kranke Patient mit ANV, A-C-NV und CNI mit interkurrenten Akuterkrankungen,
die eine Nierenersatztherapie benötigen
6.1 Üben Nierenersatzverfahren einen relevanten Einfluss auf Stoffwechsel und Nährstoffbilanzen
aus?
Alle Formen der Nierenersatztherapie üben einen fundamentalen Einfluss auf Stoffwechsel
und Nährstoffbilanzen aus, die in der Planung der Ernährungstherapie berücksichtigt
werden müssen.
Kommentar: Sowohl intermittierende als auch kontinuierliche Nierenersatzverfahren einschließlich
der Peritonealdialyse üben einen grundlegenden Einfluss auf Stoffwechsel und Nährstoffbilanzen
aus ([Tab. 6]). Extrakorporale Therapieverfahren induzieren zudem eine inflammatorische Reaktion
und verstärken die Inflammation der Grunderkrankung (SIRS etc.) [4]
[39]
[40].
Tab. 6
Metabolische Nebenwirkungen der Nierenersatztherapie.
Intermittierende Hämodialyse/Hämodiafiltration (HD/HDF)
|
Verlust wasserlöslicher Moleküle
-
Aminosäuren
-
wasserlösliche Vitamine
-
L-Carnitin etc.
|
Aktivierung des Proteinkatabolismus
-
Verlust von Aminosäuern
-
Verlust von Proteinen und Blut
-
Induktion einer inflammatorischen Reaktion/Freisetzung von Zytokinen (IL-1β, TNF-α
etc.)
|
Erhöhung der Bildung von ROS
|
Hitzeverlust (= Verlust von Energie)
|
Extrakorporale Blut-/Membraninteraktion
(Aktivierung von zellulären Elementen [Granulozyten, Thrombozyten], Induktion/Aktivierung
von Mediatorkaskaden, inflammatorische Reaktion, Stimulation des Proteinkatabolismus)
|
Peritonealdialyse (PD)
|
Protein- und Aminosäurenverluste in das Dialysat
|
Verlust von proteingebundenen Substanzen mit dem Dialysat (z. B. Spurenelemente)
|
Absorption von Glukose aus dem Dialysat
|
Induktion einer systemischen Inflammation
|
Erhöhung des intraabdominellen Druckes
|
kontinuierliche Nierenersatzverfahren
|
Hitzeverlust (= Verlust von Energie)
|
exzessive Zufuhr von Substraten (Laktat, Zitrat, Glukose etc.)
|
Verlust von Nährstoffen (Aminosäuren, Vitamine, Selen etc.)
|
Verlust von Elektrolyten (Phosphat, Magnesium)
|
Elimination von Peptiden/Proteinen (Hormonen, Mediatoren?, Albumin)
|
extrakorporale Blut-/Membraninteraktion (s. o.)
|
6.2 Wie hoch ist der Nährstoffbedarf dieser Patientengruppe unter einer Nierenersatztherapie?
Die Nährstoffzufuhr von akut-kranken Patienten mit Nierenversagen unter Nierenersatztherapie
kann in der Regel standardisiert erfolgen ([Tab. 7]).
Tab. 7
Nährstoffbedarf von akut-kranken Patienten mit Nierenversagen unter Nierenersatztherapie[*].
Energie
|
20 – 25
|
kcal/kg KG/Tag
|
Protein/Aminosäuren[**]
|
1,2 – 1,5 (max 1,8)
|
g/kg KG/Tag
|
Kohlenhydrate
|
3,0 – 4,0
|
g/kg KG/Tag
|
Fett
|
0,8 – 1,2[***]
|
g/kg KG/Tag
|
L-Carnitin[1]
|
0,5
|
g/Tag
|
wasserlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
2-mal Tagesbedarf (RDA)
|
fettlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Spurenelemente[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Elektrolyte[2]
|
eine Phosphat-/Kaliumrestriktion ist bei Akuterkrankungen meist nicht notwendig
|
Flüssigkeit[*]
|
|
|
* Individualisierung! Der Bedarf kann zwischen Patienten sehr unterschiedlich sein,
sich aber auch im Krankheitsverlauf grundsätzlich ändern
** in Abhängigkeit des Katabolimus und der individuellen Toleranz
*** Monitoring der Plasmatriglyzeride erforderlich
1 in manchen Diäten enthalten, optional (s. u.)
2 evtl. geänderter Bedarf an Vitamin D und Selen, enterale Diätpräparate enthalten
den empfohlenen Tagesbedarf
Kommentar: Akut-kranke Patienten mit ANV/A-CKD und CNI, die eine Nierenersatztherapie benötigen,
haben ein systemisches inflammatorisches Syndrom (SIRS) und einen aktivierten Proteinkatabolismus.
Der Nährstoffbedarf ähnelt dem anderer akut-kranker (Intensiv-)Patienten (s. DGEM-Leitlinie
„Klinische Ernährung in der Intensivmedizin") und wird durch die Nierenersatztherapie
modifiziert ([Tab. 6]) [2]
[4]
[40]
[41].
Bezüglich des Energiebedarfs hatten Fiaccadori et al. eine kontrollierte Studie vorgenommen,
wobei eine Gruppe von Patienten mit ANV 30 kcal/kg KG/Tag, die andere 40 kcal/kg KG/Tag
erhalten hatten [42]. Für die höhere Energiezufuhr war kein Vorteil nachweisbar, insbesondere auch nicht
für den Proteinstoffwechsel, jedoch war die Rate an metabolischen Komplikationen erhöht
(Hyperglykämie, Insulinbedarf, Hypertriglyzeridämie).
Heute wird für diese Patientengruppe die gleiche Energiezufuhr wie für andere Intensivpatienten
empfohlen. Unter kontinuierlicher Nierenersatztherapie mit Zitratantikoagulation kommt
es durch die Zitratzufuhr zu einer schwer quantifizierbaren zusätzlichen Energieaufnahme.
6.3 Wie hoch ist die optimale Protein- bzw. Aminosäurenzufuhr bei akut-kranken Patienten
mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie?
Akut-kranke Patienten mit akutem Nierenversagen (ANV), akut-auf-chronischem Nierenversagen
(A-C-NV) oder chronische Niereninsuffizienz (CNI) unter Nierenersatztherapie sollten
je nach Ausmaß des Katabolismus und individueller Toleranz 1,2 – 1,6 (max. 1,8 g)
g/kg KG/Tag an Protein/Aminosäuren erhalten.
Kommentar: Dies ist die umstrittenste Frage der künstlichen Ernährung bei Patienten mit ANV und
A-C-NV. Die früher in Analogie zum CNI empfohlene Proteinrestriktion sollte nicht
vorgenommen werden. Ziel ist eine optimale Ernährung, während die Nierenersatztherapie
nach Bedarf vorgenommen werden soll.
Für eine von australischen Autoren auf Basis von methodisch unzulänglichen Untersuchungen
empfohlene deutlich höhere Proteinzufuhr von 2,5 g/kg KG/Tag, die die urämische Toxizität
verstärken und eine Hyperammoniämie indizieren kann [43]
[44], gibt es derzeit keine Begründung.
Verschiedene Untersuchungen haben nachgewiesen, dass der Proteinkatabolismus bei dieser
akut-kranken Patientengruppe bei ca. 1,5 g/kg KG/Tag liegt [3]
[45]. Daher wird derzeit eine Zufuhr von 1,4 – 1,6 g/kg KG/Tag empfohlen, die bei hyperkatabolen
Patienten unter Nierenersatztherapie bis max. 1,8 g/kg KG/Tag betragen kann.
Der Verlust von Aminosäuren beträgt während einer Hämodialyse ca. 2 g/Stunde. Bei
der kontinuierlichen Nierenersatztherapie kann ein Richtwert von 0,2 g/L Filtrat bzw.
Dialysat angenommen werden [39].
In einer Sekundäranalyse der RENAL-Studie konnte kein Einfluss der Höhe der Proteinzufuhr
auf die Überlebensrate nachgewiesen werden [46]. Allerdings lagen in dieser Studie Proteinzufuhr und Energiezufuhr weit unter der
empfohlenen Rate.
Ob eine erhöhte Zufuhr von Aminosäuren einen nephroprotektiven Effekt (durch Steigerung
der renalen Perfusion; „renale Reservekapazität“) entfalten kann, bleibt umstritten
[47]. Eine Pilotstudie aus Australien hat eine Zufuhr von 1,0 gegenüber 2,0 g AS/kg KG/Tag
verglichen (Doig 2014, in Publikation). In dieser Studie waren allenfalls Surrogatparameter
durch die höhere Zufuhr verbessert (z. B. Verminderung der Serum-Kreatinin-Konzentration).
Eine große randomisierte Studie ist in Planung.
6.4 Welche Art von Sondennahrungen sollten bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz
unter Nierenersatztherapie verwendet werden?
Für akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie sollten
hochmolekulare Standarddiäten für die enterale Ernährung verwendet werden. Spezifische
an die Nierenfunktion adaptierte Präparate können in Einzelfällen bzw. bei langer
Therapiedauer die metabolische Führung erleichtern.
Kommentar: Für akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie werden
heute enterale Standard-NDD wie für nicht nierenkranke Personen eingesetzt [14].
Die für stabile Dialysepatienten entwickelten speziellen enteralen NDD (proteinbetont,
elektrolytreduziert, spezielle Zusätze, s. Kapitel 2) können bei nicht mehr katabolen
Patienten, in der Erholungsphase oder bei chronischen Intensivpatienten Vorteile in
der Durchführung der Ernährungstherapie aufweisen [17].
6.5 Ist bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie
eine Phosphatrestriktion notwendig?
Bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie soll
der Serumphosphatspiegel überwacht und bei Bedarf eine ausreichende Phosphatsubstitution
sichergestellt werden, weil diese Patienten ein hohes Risiko aufweisen, eine Hypophosphatämie
zu entwickeln.
Kommentar: Im Gegensatz zum Patienten mit CNI haben akut-kranke Patienten unter Nierenersatztherapie
ein hohes Risiko eine Hypophosphatämie zu entwickeln, wobei eine der Ursachen der
therapiebedingte Phosphatverlust darstellt. Dies tritt sowohl unter einer intermittierenden
Hämodialyse [48] als auch unter einer kontinuierlichen Nierenersatztherapie auf [49] und hat Auswirkungen auf Krankheitsverlauf und Prognose. Auf eine ausreichende Phosphatsubstitution
muss geachtet werden. Für die kontinuierliche Nierenersatztherapie stehen heute phosphathaltige
Substitutionslösungen zur Verfügung [50].
6.6 Wie sollte die Vitaminsubstitution bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz
unter Nierenersatztherapie erfolgen?
Akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie haben einen
erhöhten Bedarf an wasserlöslichen Vitaminen.
Kommentar: Akut-kranke Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie haben eine
ausgeprägte Depletion des antioxidativen Systems [10]
[11] und einen erhöhten Bedarf an wasserlöslichen Vitaminen, was durch den erhöhten Verlust
durch die Nierenersatztherapie [51]
[52], aber auch durch einen erhöhten metabolischen Umsatz bei Akuterkrankungen bedingt
ist. Besonders für Thiamin sind schwerwiegende Mangelzustände beschrieben worden [53].
Wenn auch exakte Bedarfszahlen nicht verfügbar sind, wird heute aus pragmatischen
Gründen die Zufuhr des doppelten Tagesbedarfs von wasserlöslichen Vitaminen empfohlen.
Auch mit der enteralen Ernährung wird mit den derzeit verfügbaren Ernährungspräparaten
lediglich der Tagesbedarf von Gesunden gedeckt. Daher sollte auch unter enteraler
Ernährung eine höhere Zufuhr erfolgen.
Bezüglich der fettlöslichen Vitamine finden sich bei Patienten mit ANV mit Ausnahme
des Vitamin K massiv verminderte Spiegel [54]. Derzeit wird die Substitution in Höhe der RDA empfohlen [2]. Der Bedarf an Vitamin D bzw. auch an aktivem Calcitriol ist nicht definiert. Wieweit
bei diesen Patienten die renale Aktivierung von Vitamin D erhalten ist, ist unbekannt.
Jüngste Untersuchungen sprechen für einen Bedarf von > 1000 U/Tag [55].
Toxische Erscheinungen von fettlöslichen Vitaminen wurden bei der Substitution von
Vitamin A bei Kindern mit ANV berichtet [56].
6.7 Was sollte bei der Spurenelementsubstitution beachtet werden?
Bei akut-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie soll
– mit Ausnahme von Selen – die Substitution des Tagesbedarfs (RDA) an Spurenelementen
erfolgen. Selen sollte in höherer Dosierung als die RDA für Gesunde erfolgen.
Kommentar: Exakte Bedarfszahlen sind bei dieser Patientengruppe auch für Spurenelemente nicht
verfügbar, weshalb die für andere Akutpatienten empfohlene Zufuhr in Höhe der RDAs
für diese Patienten gültig ist.
Eine mögliche Ausnahme ist Selen, wobei gezeigt wurde, dass mit der kontinuierlichen
Nierenersatztherapie mehr als der empfohlene Tagesbedarf eliminiert wird, weshalb
eine höhere Zufuhr indiziert ist (z. B. 300 µg/Tag) [57].
Cave: Es gibt keinen Hinweis dafür dass eine überhöhte „pharmakologische“ Dosierung inklusive
Selen bei diesen Patienten positive Effekte induzieren kann. Bei Patienten mit Nierenversagen
sind die wichtigsten Regulatoren der Spurenelement-Homöostase, nämlich die intestinale
Resorption und renale Elimination, gestört, sodass die Gefahr der Induktion von toxischen
Erscheinungen besteht.
6.8 Wenn eine enterale Ernährung quantitativ nicht ausreichend vorgenommen werden
kann, wann sollte mit einer supplementierenden oder totalen parenteralen Ernährung
begonnen werden?
Wenn eine enterale Ernährung nicht möglich ist, sollte eine parenterale Ernährung
früh (< 24 h) begonnen werden. Wenn eine enterale Ernährung nicht zeitgerecht aufgebaut
werden kann, sollte mit einer supplementären oder totalen parenteralen Ernährung nach
2 – 4 Tagen begonnen werden.
Kommentar: Wenn eine enterale Ernährung kontraindiziert oder nicht möglich ist, sollte früh
(≤ 24 h) mit einer parenteralen Ernährung begonnen werden, wobei die Ernährung langsam
aufgebaut werden muss (s. Kapitel 3).
Wenn eine enterale Ernährung trotz Einsatz von Prokinetika nicht zeitgerecht aufgenommen
werden kann, sollte eine parenterale Ernährung ab Tag 2 – 4 begonnen werden [58].
Für einen frühen Beginn einer supplementierenden enteralen Ernährung spricht bei Patienten
unter Nierenersatztherapie der persistierende therapiebedingte Nährstoffverlust.
In einer sekundären Analyse der EPaNIC-Studie von den Patienten mit ANV hatte allerdings
ein früher Beginn einer parenteralen Ernährung keinen Vorteil gegenüber einem späteren
Beginn [59]. Andererseits hatte ein früher Beginn einer parenteralen Ernährung in der EARLY-PN-Studie
moderate Vorteile gegenüber einem späten Beginn, wobei allerdings eine Subanalyse
der Nierenpatienten bislang fehlt [60].
6.9 Wie sollte eine parenterale Nährlösung zusammengesetzt sein und wie sollte die
PE vorgenommen und überwacht werden?
Siehe Kapitel 3 zu Überlegungen zur Zusammensetzung, der verwendeten Aminosäurenlösungen
und Fettemulsionen etc., den Ernährungsaufbau und das Monitoring der parenteralen
Ernährung.
Heute sollten industrielle vorgefertigte Lösungen, die Aminosäuren, Glukose und Fettemulsion
enthalten (3-Kammer-Beutel) eingesetzt werden, denen vor Verwendung je nach individuellem
Erfordernis die wasserlöslichen Vitamine (2-mal RDA), fettlöslichen Vitamine und die
erforderlichen Elektrolyte inklusive Phosphat zugesetzt werden.
6.10 Sollten diese Patienten mit der PE auch Glutamin erhalten?
Bei kritisch-kranken Patienten mit Niereninsuffizienz unter Nierenersatztherapie kann
Glutamin im Rahmen einer parenteralen Ernährung verabreicht werden.
Kommentar: Die Mitglieder dieser Konsensusgruppe sehen keine Kontraindikation gegen eine i. v.
Gabe von Glutamin bei kritisch-kranken Patienten unter Nierenersatztherapie. In einer
Post-hoc-Analyse der Studie von Griffith et al. überlebten nur 4 von 24 Patienten mit ANV ohne
Glutaminzusatz, aber 14 von 23 Patienten mit ANV mit Glutamin (p < 0,02) [61].
Auch in der Sekundäranalyse der REDOXS-Studie war die Mortalität bei Patienten, die
einer Nierenersatztherapie unterzogen wurden, in der Glutamingruppe nicht erhöht [26].
7 Der mangelernährte Patient unter chronischer Nierenersatztherapie (Hämodialyse,
Peritonealdialyse)
7 Der mangelernährte Patient unter chronischer Nierenersatztherapie (Hämodialyse,
Peritonealdialyse)
Eine chronische krankheitsspezifische Mangelernährung (C-DRM), früher auch Protein-Energie-Malnutrition
(PEM) oder Protein-Energie-Wasting (PEW) genannt, findet sich häufig bei Patienten
mit fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz und insbesondere bei Patienten
unter einer chronischen Nierenersatztherapie. Die ISRNM hat für diese Patientengruppe
eine Definition des C-DRM vorgeschlagen [8] und Empfehlungen zur Therapie veröffentlicht [12].
Die C-DRM präsentiert eine Kombination verschiedener metabolischer und ernährungsassoziierter
Störungen und ist eng verbunden mit Krankheitsverlauf, der Rate an Hospitalisierungen
und der Prognose der Patienten. Eine große Zahl von Ursachen können entweder isoliert
oder auch synergistisch zur Entwicklung eines C-DRM beitragen ([Tab. 8]).
Tab. 8
Ursachen der C-DRM bei Patienten mit fortgeschrittenen CNI bzw. im Dialysestadium
(ESDR/CNI-5) (modifiziert nach [9]).
verminderte orale Protein- und Energieaufnahme
-
Anorexie
-
Dysregulation der appetitsteuernden Hormone
-
geändertes hypothalamisches Hungerempfinden
-
stickstoffhaltige urämische Toxine
-
diätetische Restriktionen
-
Störungen von Organfunktionen, die an der Nahrungsaufnahme beteiligt sind
-
psychosoziale Probleme, Depression
-
Unfähigkeit, Nahrung zu organisieren oder zuzubereiten
Hypermetabolismus
-
erhöhter Energieumsatz
-
Inflammation
-
gesteigerte Konzentration an proinflammatorischen Zytokinen
-
Insulinresistenz als Folge der Adipositas
-
Geänderter Adiponectin- und Resistinstoffwechsel
-
endokrine Störungen
metabolische Azidose
verminderte körperliche Aktivität
beeinträchtigter Anabolismus
-
verminderte Nahrungszufuhr
-
Resistenz gegenüber HGH/IGF-1
-
Testosteronmangel
-
erniedrigte Thyroid-Hormon-Spiegel
Begleiterkrankungen und Lebensstilfaktoren
-
Komorbiditäten (Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz, Depression, KHK, pAVK etc.)
dialyseassoziierte Faktoren
-
Verlust von Nährstoffen
-
dialysebedingte Inflammation
-
dialysebedingter Hypermetabolismus
-
Rückgang der Nierenrestfunktion
|
Eine inadäquate orale Energie- und Proteinaufnahme ist die wichtigste Ursache der
Malnutrition. Diese ist vorwiegend auf eine Anorexie zurückzuführen, die wiederum
durch eine Akkumulation von urämischen Toxinen, durch die urämische Inflammation,
durch Azidose, die Dialysetherapie per se oder durch interkurrente Erkrankungen bedingt
ist.
Die Anorexie kann verstärkt werden durch den Gastrointestinaltrakt beeinflussende
Begleiterkrankungen, durch psychosoziale Probleme und Depression oder durch einen
niedrigen sozioökonomischen Status.
Bei PD-Patienten kommt es zum frühzeitigen Sättigungsgefühl durch die intraperitoneale
Dialysatinfusion und durch die Glukoseresorption aus dem Dialysat.
Zusätzlich erhöhen dialyseassoziierte Verluste von Aminosäuren, Proteinen, Vitaminen
und anderen Nährstoffen zusätzlich das Risiko der Entstehung einer C-DRM (s. [Tab. 8]).
Prävention und Therapie der C-DRM müssen darauf zielen, den Verlust des Proteinbestands
und der Energiespeicher zu limitieren und den Aufbau funktioneller Körpermasse zu
stimulieren.
In diesem Kontext kann sowohl in der Vermeidung als auch in der Therapie der C-DRM
der künstlichen Ernährung eine wichtige Rolle zukommen. Das Spektrum ernährungsmedizinischer
spezifischer Interventionen reicht dabei von der oralen Nahrungssupplementation (ONS)
über die enterale Ernährung bis hin zur intradialytischen oder letztendlich totalen
parenteralen Ernährung [12].
7.1 Was sind die Ursachen der chronischen krankheitsspezifischen Mangelernährung (C-DRM)
bei terminaler Niereninsuffizienz (ESDR; CNI-5)
Die chronische krankheitsspezifische Mangelernährung (C-DRM) bei Patienten mit terminaler
Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD) hat multiple Ursachen ([Tab. 8]).
7.2 Wie hoch ist der Nährstoffbedarf von ESRD-Patienten mit manifester C-DRM?
Die Nährstoffzufuhr von Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESDR)
und manifester chronischer krankheitsspezifischer Mangelernährung (C-DRM) kann in
der Regel standardisiert erfolgen ([Tab. 9]).
Tab. 9
Nährstoffbedarf von chronischen ESRD-Patienten unter Nierenersatztherapie[*].
Energie
|
30 – 35[**]
|
kcal/kg KG/Tag
|
Protein/Aminosäuren
|
1,2 – 1,4
|
g/kg KG/Tag
|
Kohlenhydrate
|
3,0 – 4,0
|
g/kg KG/Tag
|
Fett
|
0,8 – 1,2[***]
|
g/kg KG/Tag
|
L-Carnitin[1]
|
0,5
|
g/Tag
|
wasserlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
2-mal Tagesbedarf (RDA)
|
fettlösliche Vitamine[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Spurenelemente[2]
|
(Kombinationspräparate)
|
1-mal Tagesbedarf (RDA)
|
Elektrolyte[*]
|
Phosphat 800 – 1000
|
mg/Tag
|
Kalium 2000 – 2500
|
mg/Tag
|
Natrium 1,8 – 2,5
|
g/Tag
|
Flüssigkeit[*]
|
1000 + Harnvolumen
|
ml/Tag
|
* Individualisierung! Der Bedarf kann zwischen Patienten sehr unterschiedlich sein,
sich aber auch im Krankheitsverlauf grundsätzlich ändern
** in Abhängigkeit der körperlichen Aktivität
*** Monitoring der Plasmatriglyzeride erforderlich
1 optional
2 enterale Diätpräparate enthalten den empfohlenen Tagesbedarf
Kommentar: In [Tab. 9] sind Richtwerte angegeben. Der Substratbedarf für diese Patientengruppen muss individuell
an den Patienten adaptiert werden [38].
Cave: Patienten mit ESRD und akuten Begleiterkrankungen bzw. mit einem ausgeprägten inflammatorischen
Zustand, haben einen erhöhten Substratbedarf.
ESRD-Patienten unter einer Nierenersatztherapie befinden sich in einem chronisch katabolen
Zustand, der verstärkt wird durch den inflammatorischen Stimulus der Dialyse selbst,
durch infektiöse und volumenassoziierte Komplikationen.
Der minimale Protein- und Energiebedarf beträgt bei Patienten unter HD- bzw. PD-Therapie
1,2 g/kg KG Eiweiß pro Tag und – in Abhängigkeit des Ausmaßes an körperlicher Bewegung
– 30 – 35 kcal/kg KG/an Energie pro Tag.
Für diese Berechnung kann entweder das tatsächliche, meist erniedrigte oder ein definiertes
„Ziel“-Körpergewicht (ideales Körpergewicht) herangezogen werden.
Cave: Häufig ist bei diesen Patienten eine Elektrolytrestriktion (Phosphat, Kalium, Natrium)
notwendig. Patienten mit ausgeprägter Malnutrition können jedoch einen Phosphatmangel
aufweisen!
7.3 Welches sind die ernährungstherapeutischen Optionen bei ESRD-Patienten mit C-DRM?
Das therapeutische Ziel muss sein, den Verlust von funktioneller Körpermasse zu verhindern
und die adäquate Zufuhr des Bedarfes an Nährstoffen sicherzustellen. Die therapeutischen
Optionen sind in [Tab. 10] zusammengefasst.
Tab. 10
Ernährungstherapeutische Optionen bei chronischen ESRD unter Nierenersatztherapie.
-
Vermeidung von behandelbaren Ursachen (i. e. inadäquate Dialysedosis, Azidose, Hyperparathyreoidismus,
akute Begleiterkrankungen wie Infektionen)
-
Ernährungsberatung, Änderungen der Diätempfehlungen
-
oral bilanzierte Diäten (OBD)
-
(nächtliche) Sondenernährung
-
intradialytische orale/enterale Ernährung („IDOE“, „IDEE“)
-
aminosäurehaltiges Dialysat (PD)
-
Intradialytische parenterale Ernährung (IDPE)
-
Physiotherapie, Mobilisierung
|
Patienten unter Nierenersatztherapie und dem Risiko an bzw. mit manifester Malnutrition
sollten zunächst diätetisch beraten werden, um eine orale Ernährung zu optimieren.
Die nächsten Stufen der Ernährungsbehandlung beinhalten die orale Nahrungssupplementation
(ONS) zu Hause, die intradialytische orale/enterale Supplementierung (IDOE, IDEE)
und die Kombination mit einer intradialytischen parenteralen Ernährung (IDPN). Die
enterale Ernährung mit verschiedenen Sondentechniken und die totale parenterale Ernährung
sind ausgewählten Fällen vorbehalten.
Die optimierte Ernährungstherapie kann nur ein Element in der metabolischen Führung
dieser Patienten darstellen. Diese muss auch die bei dieser Patientengruppe wesentlichen
psychosozialen Probleme berücksichtigen und die meist stark verminderte körperliche
Aktivität erhöhen [62]. Dazu gehören aber auch antiinflammatorische Therapiemaßnahmen und die Gabe von
anabolen Steroiden, beides derzeit noch Thema von klinischen Studien [63].
Cave: Die positiven Auswirkungen einer Ernährungstherapie korrelieren direkt mit dem Ausmaß
der C-DRM und der Menge der verabreichten Nahrung. Eine vorbestehende Inflammation
beeinträchtigt nicht den metabolischen Effekt einer optimierten Nährstoffzufuhr. Die
Art der Zufuhr (oral/enteral/parenteral) hat keinen wesentlichen Einfluss auf den
therapeutischen Erfolg, solange eine ausreichende Menge (Wochendosis!) an Energie
und Protein zugeführt wird.
7.4 Welche zusätzlichen metabolischen Interventionen sollten bei ESRD-Patienten mit
C-DRM berücksichtigt werden?
Die metabolische Führung von Patienten mit CHD-5b/ESRD geht weit über eine reine Nährstoffzufuhr
hinaus.
Zusätzliche metabolische Interventionen bei Patienten mit CNI-5b/ESRD unter Nierenersatztherapie
können sein:
-
zieldefinierte Azidosekontrolle
-
Appetitanreger
-
Wachstumsfaktoren/anabole Steroide
-
antiinflammatorische Strategien
-
individualisierte Vitaminsubstitution
Diese zusätzlichen Ansatzpunkte für Interventionen sind jedoch nicht Gegenstand dieser
Empfehlungen.
7.5 Kann durch orale Nahrungssupplementation (ONS) oder einer enteralen Ernährung
bei diesen Patienten der Ernährungszustand verbessert werden?
Die regelmäßige orale oder enterale Verabreichung von oral bilanzierten Diäten (OBD)
oder Sondennahrung kann bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD)
den Ernährungszustand verbessern.
Kommentar: ESRD-Patienten unter Nierenersatztherapie haben ein hohes Risiko eine Malnutrition
zu entwickeln und sollten daher grundsätzlich dazu ermutigt werden, ausreichend Nahrung
zu essen oder bei schon bestehender Malnutrition oral bilanzierte Diäten (OBD) zu
sich zu nehmen.
Die täglich orale Nahrungssupplementation (ONS) ist ein weiterer Schritt in der Therapie
der Malnutrition. Dadurch können verschiedene Parameter des Ernährungszustands und
der funktionellen Körpermasse günstig beeinflusst werden [17]
[64]
[65].
Mit oral bilanzierter Diät (OBD), verabreicht 3-mal täglich, kann eine zusätzliche
Energiezufuhr von 7 – 10 kcal/kg KG/Tag und Proteinzufuhr von 0,3 – 0,4 g/kg KG/Tag
erzielt werden. Dies wurde sowohl bei Hämodialysepatienten [66] als auch Peritonealdialysepatienten gezeigt [67].
Diese Form der Therapie erfordert daher eine zusätzliche spontane orale Nahrungsaufnahme
mit einer Energiezufuhr von 20 – 25 kcal/kg KG/Tag und Proteinzufuhr von 0,5 – 0,8 g/kg
KG/Tag um die Ernährungsziele (Wochenbedarf) zu decken.
Wenn diese Ziele nicht durch OBD 3-mal täglich erreicht werden können, oder bei Patienten,
die nicht schlucken können (mit neurologischen Störungen, in Pflegebereichen), sollte
eine Sondenernährung über nasogastrale Sonden oder über eine perkutane endoskopische
Gastrostomie (PEG/PEJ) vorgenommen werden, um den Nährstoffbedarf zu decken.
7.6 Kann während der Hämodialyse eine orale Ernährung erfolgen oder eine orale Nahrungssupplementation
(ONS) vorgenommen werden?
Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD) und chronischer krankheitsspezifischer
Mangelernährung (C-DRM) sollten ermutigt werden, während der Dialysetherapie zu essen
(intradialytische orale Ernährung [IDOE]) oder oral bilanzierte Diäten (intradialytische
enterale Ernährung [IDEE]) zu sich zu nehmen.
Kommentar: In direktem Gegensatz zu früheren Meinungen, dass eine orale/enterale Ernährung während
der Hämodialyse die hämodynamische Stabilität der Therapie negative beeinflussen könnte,
besteht heute Übereinstimmung darüber, die Patienten während der Dialysebehandlung
zum Essen zu ermutigen (intradialytische orale Ernährung [IDOE]) oder oral bilanzierte
Diäten (OBD) zu sich zu nehmen (intradialytische enterale Ernährung [IDEE]) [68].
In metabolischen Isotopenuntersuchungen wurde gezeigt, dass durch eine IDEN der katabole
Zustand von Hämodialysepatienten in einen anabolen Zustand überführt werden kann [69]
[70]
[71].
In verschiedenen Langzeituntersuchungen wurde gezeigt, dass durch diese IDEE verschiedene
Parameter des Ernährungsstatus, der Lebensqualität [70]
[71] und in einer Beobachtungsstudie auch die Überlebensrate verbessert werden kann [65].
7.7 Welche Art von Sondennahrungen sollten bei ESRD-Patienten mit C-DRM verwendet
werden?
Für Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD) und chronischer krankheitsspezifischer
Mangelernährung (C-DRM) kann die Verwendung von speziell an die Bedürfnisse von Dialysepatienten
angepassten Ernährungspräparaten die metabolische Führung erleichtern.
Kommentar: Für stabile Dialysepatienten wurden spezielle Ernährungspräparate für die orale Nahrungssupplementation
(ONS) bzw. für die enterale Ernährung entwickelt, die proteinbetont und elektrolytreduziert
sind und z. T. spezielle Zusätze enthalten (s. Kapitel 3) [17]. Diese Ernährungspräparate können metabolische Vorteile in der Durchführung der
Ernährungstherapie dieser Patientengruppe aufweisen.
Bei Patienten mit hochgradiger Malnutrition und nicht erforderlicher Elektrolytbeschränkung
können auch Standarddiäten wie für nicht nierenkranke Personen verwendet werden.
7.8 Welche Besonderheiten gelten für die Gabe von oral bilanzierten Diäten (OBD) oder
von enteralen Diäten bei ESRD-Patienten unter Peritonealdialyse?
Für Patienten mit mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD) und chronischer
krankheitsspezifischer Mangelernährung (C-DRM) unter Peritonealdialyse sollten kohlenhydratreduzierte,
proteinbetonte Supplemente oder Diäten verwendet werden.
Kommentar: Unter der derzeit üblichen PD-Therapie mit glukosebasierten Dialysatlösungen besteht
eine hohe peritoneale Glukoseaufnahme. Andererseits werden über das Peritoneum nicht
nur Aminosäuren, sondern auch Proteine und proteingebundene Substanzen, wie Spurenelemente
und Vitamine eliminiert. Daher sollten proteinbetonte enterale Ernährungspräparate
bzw. Proteinsupplemente eingesetzt und eine ausreichende Zufuhr von Mikronährstoffen
sichergestellt werden.
Bei PD mit noch erhaltener Nierenrestfunktion ist das Risiko des Auftretens einer
Hyperkaliämie deutlich reduziert, sodass keine speziellen Ernährungspräparate eingesetzt
werden müssen.
Zu oraler Nahrungssupplementation (ONS)/enteraler Ernährung bei PD-Patienten sind
nur wenige Untersuchungen durchgeführt worden und diese sind mit sehr unterschiedlichen
Ernährungspräparaten vorgenommen worden [17]. Insgesamt ist die Toleranz gegenüber einer enteralen Zufuhr in dieser Patientengruppe
limitiert. Eine Ursache ist das durch die intraperitoneale Volumenbeladung verstärkte
Völlegefühl. Die Drop-out-Rate liegt in einigen Studien bei > 50 %.
In einer kontrollierten Studie konnten durch ONS eindrucksvolle Verbesserungen verschiedener
Indizes des Ernährungszustands erzielt werden [72].
Im Gegensatz zu Kindern gilt bei Erwachsenen eine PD als Kontraindikation zur Anlage
einer PEG. Bei noch im Wachstum befindlichen Kindern wird standardmäßig eine PEG zur
supplementierenden Ernährung angelegt.
Alternativ zur enteralen/parenteralen Zufuhr von Proteinen und Aminosäuren sind mit
Aminosäuren angereicherte Peritonealdialyselösungen erhältlich. Der Einfluss auf den
Ernährungszustand ist jedoch marginal.
7.9 (Wann) sollte während der Hämodialyse eine parenterale Ernährung vorgenommen werden?
Bei mangelernährten Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz (CNI-5, ESRD), bei
denen eine orale/enterale Ernährung nicht ausreichend vorgenommen werden kann, sollte
die Durchführung einer intradialytischen parenteralen Ernährung (IDPE) erwogen werden.
Kommentar: Obwohl eine orale/enterale Nahrungszufuhr wenn immer möglich angestrebt werden sollte,
kann in ausgewählten Fällen, bei denen dies nicht (ausreichend) möglich ist, die wöchentliche
Nährstoffzufuhr durch eine intradialytische parenterale Ernährung (IDPE) verbessert
werden. Dabei handelt es sich um eine einfache, sichere und durch die Compliance der
Patienten nicht beeinflusste Form der Nährstoffzufuhr.
Durch eine IDPE kann der Katabolismus während der Hämodialysetherapie in eine anabole
Situation überführt werden [73]
[74]
[75]. Zahlreiche nicht randomisierte Studien haben gezeigt, dass durch eine IDPE verschiedene
Indikatoren des Ernährungszustands, der Immunkompetenz, der Lebensqualität und in
Beobachtungsstudien auch die Überlebensrate verbessert werden kann [22]
[73]
[75].
In einer prospektiven Studie zur IDPE, in der diese zusätzlich zur basalen Zufuhr
von oralen Supplementen verabreicht wurde, konnte allerdings kein Überlebensvorteil
nachgewiesen werden [76]. Jedoch haben in dieser Studie jene Patienten, die mit den Prä-Albumin-Spiegeln
positiv auf die erhöhte Nahrungszufuhr reagiert hatten, einen verbesserten Outcome.
7.10 Wie sollte eine IDPE zusammengesetzt sein?
Eine intradialytische parenterale Ernährung (IDPN) sollte pro Dialysebehandlung mindestens
0,5 g/kg KG Aminosäuren zuführen und etwa 500 – 800 kcal enthalten.
Kommentar: Eine IPDE ist immer ein Kompromiss. Bedingt durch die Kürze des Verabreichungszeitraums
einer Dialysebehandlung muss die mögliche Nährstoffzufuhr limitiert werden, um metabolische
Entgleisungen zu vermeiden.
Eine allgemein anerkannte optimale Zusammensetzung einer IDPE gibt es nicht. Mit einer
IDPE können 0,5 – 0,75 g Aminosäuren/kg KG und bis 800 kcal pro Behandlung verabreicht
werden. Die Zufuhr an Glukose ist auf 50 – 80 g, die von Fetten auf 20 – 30 g pro
HD zu limitieren. Die isolierte Zufuhr eines einzigen Nährstoffs (z. B. Aminosäuren)
ist nicht zu empfehlen.
Das IDPE-Ernährungsziel kann am ehesten durch Verwendung einer Gesamtnährlösung erreicht
werden, die Aminosäuren, Glukose und Fett in einem Beutel enthält. Dazu können entweder
kommerziell erhältliche Fertiglösungen eingesetzt werden oder auch patientenbezogene
Lösungen von Compounding-Firmen bezogen werden. Nach Bedarf können der Lösung auch
wasserlösliche und fettlösliche Vitamine oder auch Carnitin oder bei Hypophosphatämie
auch Phosphat (organisches Phosphat) zugesetzt werden.
Manche Gruppen setzten der Nährlösung – auch wenn kein Diabetes mellitus besteht –
geringe Mengen an Insulin (z. B. 4 E) zu, um den anabolen Effekt der Aminosäuren zu
verbessern [77]. Unter dieser geringen Insulindosis besteht keine Gefahr der Auslösung einer Hypoglykämie.
Wenn bei diesen Patienten eine parenterale Ernährung notwendig wird, gelten die zuvor
formulierten Statements (s. o.).