Ernährung & Medizin 2014; 29(3): 97
DOI: 10.1055/s-0034-1384433
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Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Gasteditorial

Adipositas – das große Problem unserer Zeit
Helmut Schatz
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Publication Date:
15 September 2014 (online)

 
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In den Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts, etwa am Ende des 2. Weltkriegs, sah man keine übergewichtigen Menschen. Und die Sterblichkeit an Diabetes ging zurück, wie die klassischen Studien von Himsworth ([1]) zeigten. Dies demonstriert den entscheidenden Einfluss der Ernährung auf den Phänotyp der Adipositas. In letzter Zeit wird zunehmend über den Genotyp geforscht, die Vererbung. So groß die Erkenntnisse auf genetischem Gebiet auch sind, darf dies keineswegs zu einer resignativen Haltung führen, wenn man adipöse Eltern hat. Mit den elterlichen Genen ist es nämlich wie beim Kartenspiel: Man kann sich zwar die Eltern nicht aussuchen, wie auch nicht das zugeteilte Blatt beim Spiel. Aber ein guter Spieler kann auch mit einem mäßigen oder sogar schlechten Blatt gewinnen, während ein schlechter Spieler auch mit einem guten Blatt verlieren kann.

Für die Adipositas gilt der pathogenetische Grundsatz, dass für die Ausprägung einer Erkrankung endogene und exogene Faktoren zusammenwirken. Was kann man tun, um der Adipositas entgegenzuwirken oder diese abzubauen? Es sind die zwei wichtigen Faktoren des Lebensstils, die Ernährung und die körperliche Bewegung, die jeder Mensch selbst zu steuern imstande sein sollte. Dass übrigens hypokalorische Ernährung das Leben verlängern kann, sieht man an den berühmten Experimenten mit dem Wurm C. elegans: Unter Hungerernährung leben diese Tiere länger als solche mit freiem Futterzugang. Die Lebensmittelkarten mit der erzwungenen Hungerernährung der Nachkriegszeit lassen grüßen!

Körperliche Aktivität ist der eine wichtige Faktor. Leider ist der dadurch erzielte Kalorienverbrauch nicht so groß wie viele Menschen annehmen. Und er wird oft durch im Anschluss gesteigerte Kalorienzufuhr, etwa durch hochkalorische Getränke, wieder wettgemacht. Also kommt der Ernährung die entscheidende Bedeutung zu.

Im Juni 2014 ist die neue „S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas“ der Deutschen Adipositas-Gesellschaft zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und anderen Fachgesellschaften erschienen ([2]). Sie räumt mit dem „Diät-Mythos“ auf, dass die Zusammensetzung der Nahrung eine Rolle spielt. Es kommt allein auf den Gesamtkaloriengehalt an. Vergleichsuntersuchungen der vielen Diätschemata wie Atkins-Diät, Punkte-Diät, Brigitte-Diät, Low carb oder Low fat hatten dies ergeben. In den USA ist daher vielerorts vorgeschrieben, für Imbisse wie etwa Big Macs oder Pizza die Gesamtkalorienzahl auszuweisen. Täglich 500 Kilokalorien unter dem Tagesbedarf zu essen, ist das probate Mittel, um langfristig ein niedrigeres Körpergewicht zu erreichen und auch zu halten.

Abschließend der Rat, den ich meinen Patienten gebe (Evidenzklasse IV, als „Expertenmeinung“): Langsam essen, nach jedem Bissen Messer und Gabel wieder auf den Teller legen und 20 Mal kauen. Erst dann weiteressen. Es braucht nach meiner Erfahrung etwa 20 Minuten, bis sich Sättigungsgefühl einstellt. Und viele Experten empfehlen auch die alte „Einer-Regel“: Immer nur 1 Stück Brot, nur 1 Kartoffel, nur 1 Glas Bier …

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Schatz,

Bochum


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