Z Orthop Unfall 2014; 152(03): 212
DOI: 10.1055/s-0034-1384253
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zeitmanagement bei polytraumatisierten Patienten – Frühe oder späte Stabilisierungs-OP?

Contributor(s):
Ingmar Rinas
Bliemel C et al.
Early or delayed stabilization in severely injured patients with spinal fractures? Current surgical objectivity according to the Trauma Registry of DGU: Treatment of spine injuries in polytrauma patients.

J of Trauma Acute Care Surg. 2014;
76: 366-373
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Publication History

Publication Date:
24 June 2014 (online)

 

Der optimale Zeitpunkt für eine operative Stabilisierung bei Wirbelsäulenverletzungen ist umstritten. Eine Analyse von Daten aus dem TraumRegister der DGUâ hat versucht zu ermitteln, wie der Zeitpunkt des Eingriffs und der Outcome assoziiert sind.
Bliemel C et al. Early or delayed stabilization in severely injured patients with spinal fractures? Current surgical objectivity according to the Trauma Registry of DGU: Treatment of spine injuries in polytrauma patients. J of Trauma Acute Care Surg; 2014; 76; 366–373

Einleitung

Bis zu 46 % aller Polytrauma-Patienten erleiden Wirbelsäulenverletzungen, 80 % davon im Lumbal- und Thorakalbereich. Thorakale Wirbelsäulenverletzungen sind vor allem assoziiert mit Lungenkontusionen, Rippenfrakturen, Pneumo- und Hämatothorax, lumbale Wirbelkörpertraumen häufig mit Becken- und Abdominalverletzungen sowie einem hohem Risiko für innere Blutungen und Organläsionen.Befürworter einer späteren Intervention argumentieren, dass die Patienten initial zu krank für zusätzlichen Stress durch eine operative Versorgung seien. Dadurch sei die Komplikationsrate erhöht und ein schlechteres Outcome die Folge. Befürworter einer frühen Intervention stellen wiederum die sichereren und besseren Lagerungsmöglichkeiten operativ versorgter Patienten auf der Intensivstation heraus. Eine frühe Mobilisation sei möglich und Komplikationen wie Pneumonie, Thrombosen, Harnwegsinfekte oder Druckulcera würden vermindert. Es gelte, den optimalen Zeitpunkt für eine operative Stabilisierung zu eruieren.


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Material und Methoden

Es wurden insgesamt Daten von 33.977 Patienten des TraumaRegisters der DGUâ aus dem Zeitraum von 1993–2010 analysiert. 11.016 (32.4 %) erlitten eine nachgewiesene Wirbelsäulenverletzung (AIS ≥ 2). Eingeschlossen wurden alle Patienten mit einem Überleben von ≥ 7 Tagen nach dem Trauma, einem Alter von ≥ 16 Jahren sowie thorakalen oder lumbalen Wirbelsäulenverletzungen (AIS > 2).

1.692 Patienten, welche eine relevante thorakale Wirbelsäulenverletzung erlitten, sowie 1.267 Patienten mit Verletzungen der Lendenwirbelsäule klassifiziert als AIS Wirbelsäule ≥ 3, wurden genauer untersucht. Eine späte (> 72h) und eine frühe (< 72h) operativen Versorgung wurden dabei bezüglich der Endpunkte Beatmungsdauer, Liegedauer ICU, Liegedauer Krankenhaus, Notwendigkeit von Bluttransfusionen, Sepsis, Letalität (ab dem 7. Tag nach Trauma) und neurologischem Defizit nach Glasgow Outcome Score gegenübergestellt. Beim AIS Wirbelsäulen Score handelt es sich um eine letalitätsorientierte Einteilung von Verletzungen, die primär in der Notfallmedizin zum Einsatz kommt. Sie reicht von 0 = unverletzt, Letalität = 0 % bis zu 6, Letalität = 100 %, infauste Prognose. In der Studie wurden instabile Wirbelkörperfrakturen mit einem AIS von ≥ 3 selektiert. Es handelt sich damit um mindestens schwere, nicht lebensgefährliche Verletzungen mit einer Letalität von mindestens 2,91 %. Da der Fokus der Untersuchung auf der operativen Therapie und dem Outcome bzgl. auftretender Komplikationen lag, wurden Verletzungen der Wirbelsäule mit einem AIS >=2 ausgeschlossen, da die überwiegende Mehrzahl von ihnen (82,1 % thorakale und 87,1 % lumbale WK-Verletzungen) konservativ therapiert wurden.


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Ergebnisse

68.3 % bzw. 71 % der Patienten mit einem AIS >= 3 erhielten eine frühe operative Versorgung ihrer thorakalen bzw. lumbalen Wirbelsäulenverletzung. Je gravierender die spinale Verletzung war, desto früher erfolgte die operative Versorgung sowohl an der Brust- als auch an der Lendenwirbelsäule. Eine frühzeitige operative Versorgung führte zu signifikant kürzeren Krankenhausaufenthalten, einer kürzeren ICU Liegedauer, weniger Beatmungsstunden sowie geringeren Raten von Sepsis.

Falls weitere Körperregionen relevant verletzt waren oder der Patient kritisch krank erschien, erfolgte gehäuft eine verzögerte operative Versorgung. Eine frühzeitige operative Versorgung (< 72 Std.) relevanter Wirbelsäulenverletzungen bei polytraumatisierten Patienten ist vorteilhaft und deshalb zu empfehlen, wobei zu beachten ist, dass kritisch kranke Patienten einen Zeitrahmen benötigen, um eine Phase der Stabilisierung zu erreichen. Dennoch sollte möglichst zeitnah der Versuch unternommen werden, unbegründete Verzögerungen in der Behandlung von Patienten mit relevanten Wirbelsäulenverletzungen zu vermeiden.


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Kommentar

Die vorliegende Studie belegt die Dringlichkeit eines optimalen Zeitmanagements bei polytraumatisierten Patienten mit instabilen Wirbelfrakturen im Thorakal- und Lumbalbereich. Die Stärke der vorliegenden Untersuchung ist das große untersuchte Patientenkollektiv sowie der lange Untersuchungszeitraum von 17 Jahren. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Mortalität und Gesamtliegedauer im Krankenhaus der frühzeitig operativ versorgten Wirbelkörperfrakturen thorakal um 1,1 % höher lag als die der späten Intervention. Es liegt auf der Hand, dass kritisch kranke Patienten, die initial nicht OP-fähig sind, im Verlauf auch ein höheres Risiko aufweisen, Komplikationen zu entwickeln als jene, für die dies nicht zutrifft. Nichtsdestotrotz können Datenerhebungen wie die vorliegende, Grundlage sein für die weitere Evidenz basierte Behandlung polytraumatisierter Patienten.


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