ergopraxis 2014; 7(03): 28-30
DOI: 10.1055/s-0034-1372206
ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Child Occupational Self Asessment (COSA) – Was Kindern wichtig ist

Ines Pätzold

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Publication Date:
04 March 2014 (online)

 

Um herauszufinden, wie Kinder selbst ihre Stärken und Probleme einschätzen, eignet sich das COSA. Mit diesem klientenzentrierten Assessment können Kind und Therapeutin gemeinsam die Therapieziele und den Behandlungsplan erarbeiten.


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Ines Pätzold

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Ines Pätzold, Ergotherapeutin BSc, MA Soziale Arbeit, arbeitete viele Jahre in der Pädiatrie und Frühförderung. Seit 2011 ist sie in einer sozialpädagogischen Tagesgruppe für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten tätig und aktuell in Elternzeit.

Der achtjährige Anton kommt aufgrund einer zentralen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung sowie einer Konzentrationsstörung in eine ergotherapeutische Praxis. Im Erstgespräch schildert seine Mutter den Alltag mit ihrem Sohn. Anton besucht die zweite Klasse einer Regelgrundschule und fällt dort vor allem durch sein unkonzentriertes, langsames und leicht ablenkbares Verhalten auf. Zu Hause vergisst er Aufgaben, die ihm übertragen wurden. Beim morgendlichen Anziehen trödelt er, wodurch es immer wieder zu Streit kommt. Im Gespräch nennt die Mutter folgende Betätigungsbedürfnisse:

  • > Anton ist im Unterricht und bei den Hausaufgaben aufmerksamer.

  • > Anton lernt, sicherer zu lesen, zu schreiben und zu rechnen.

  • > Anton kann sich Handlungsaufträge, beispielsweise morgens waschen, anziehen und frühstücken, besser merken und selbstständig durchführen.

  • > Er kann sich besser allein beschäftigen.

  • > Er lernt, seine Bedürfnisse bei seinen Freunden mehr durchzusetzen.

Und was will Anton?

Um auch von ihrem kleinen Klienten einen Handlungsauftrag zu erhalten, erklärt ihm die Ergotherapeutin, was Kinder in der Ergotherapie machen können und dass sie ihn dabei unterstützen möchte, herauszufinden, wie manche Dinge besser funktionieren. Da es Anton schwerfällt, konkrete Betätigungsbedürfnisse zu benennen, entschließt sich die Therapeutin, das COSA als Leitfaden zu nutzen. Mit diesem Instrument möchte sie herausfinden, was Anton wichtig ist.

COSA steht für „Child Occupational Self Assessment“. Das Assessments basiert auf dem Modell der menschlichen Betätigung (MOHO) von Gary Kielhofner („Das COSA im MOHO“). Mithilfe des COSA können Kinder zwischen 8 und 13 Jahren ihre Betätigungskompetenzen einschätzen. Es hilft ihnen dabei, Stärken und Probleme zu identifizieren. Für die Ergotherapeutin eignet sich das Instrument hervorragend, um gemeinsam mit dem Kind Ziele zu formulieren und die Behandlung zu planen.


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Das Kind schätzt verschiedene Betätigungen ein

Das COSA beinhaltet folgende Arbeitsmaterialien:

  • > Leitfaden zur Durchführung

  • > Selbsteinschätzungsbogen – als Kartenversion oder als Papier- Stift-Verfahren (Abb. 1)

  • > Erklärungsbogen zu den einzelnen Betätigungsitems

  • > Ergebnisbogen für das Gespräch mit dem Kind

  • > Ergotherapieplan zum COSA (Abb. 2)

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Abb. 1 Auszug eines ausgefüllten Selbsteinschätzungsbogens aus dem COSA [3]
(Foto: synto/fotolia.de; Abb.: Becker H, Steding-Albrecht U. Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2006. S. 140ff)

Der Selbsteinschätzungsbogen besteht aus 25 Items mit alterstypischen Betätigungen, zum Beispiel „In der Schule kann ich meine Aufgaben in der vorgegebenen Zeit beenden“. Zuerst schätzt das Kind ein, wie gut es diese Betätigungen ausführen kann, und beurteilt dann, wie wichtig ihm die Durchführung ist. Anschließend gibt ihm die Ergotherapeutin drei Aufgaben, die es optional beantworten kann:

  • > „Schreibe zwei weitere Sachen auf, die du gut kannst.“

  • > „Schreibe zwei weitere Sachen auf, die schwierig für dich sind.“

  • > „Gibt es noch andere Sachen, die dir wichtig sind?“

DAS COSA IM MOHO

MOHO

Das Modell der menschlichen Betätigung (Model of Human Occupation) wurde Mitte der 1970er Jahre von Gary Kielhofner in den USA entwickelt. Das MOHO beruht auf einer dynamischen und ganzheitlichen Sichtweise des Menschen und ist geprägt durch systemtheoretische Ansätze. Es stellt die Betätigung des Menschen in den Mittelpunkt und nutzt den Partizipationsbegriff aus der ICF.

COSA

Das Child Occupational Self Assessment (COSA) wurde im Jahr 2000 im „MOHO Clearinghouse“ in Chicago konzipiert [1, 2]. Die Ergotherapeutin entscheidet individuell, ob ein Kind die Voraussetzungen mitbringt, um das COSA durchzuführen: ausreichende kognitive Fähigkeiten und die Motivation, Therapieziele mitzugestalten. Außerdem bieten die COSA-Items eine gute Basis für die weitere Behandlungsplanung nach ICF.

So gibt sie dem Kind die Möglichkeit, weitere Punkte zu seinem Handlungsvermögen anzugeben. Das daran anschließende Gespräch ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil, um die Items detailliert betrachten zu können.

Die Therapeutin setzt das COSA zu Beginn der Therapie ein, sobald sie dem Kind etwas vertrauter ist. Bei Anton, der zum ersten Mal zur Ergotherapie kommt, wendet sie das COSA in der zweiten und dritten Therapieeinheit an. Man kann das Ausfüllen des Bogens und das Gespräch auf zwei Therapieeinheiten verteilen. Die Durchführung dauert insgesamt circa 45 Minuten. Die Therapeutin erklärt Anton seine Aufgabe: „Auf diesen Zetteln findest du viele Tätigkeiten, die Kinder häufig machen. Überleg doch mal, was du alles davon gut kannst oder was dir noch schwerfällt. Kreuze dafür das Smiley an, das auf dich zutrifft. Als Nächstes überlege, wie wichtig es dir ist, die Sachen gut zu können. Kreuze dafür die Anzahl von Sternchen an, die am besten zeigen, wie wichtig dir die Sache ist. Lass dir Zeit beim Überlegen. Es geht darum, dass du für dich herausfindest, was du gut kannst oder was du besser können möchtest. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Wenn du mit dem Ausfüllen fertig bist, möchte ich gerne mit dir angucken, was dir besonders wichtig ist.“

Anton möchte, dass die Therapeutin ihn beim Lesen des Selbsteinschätzungsbogens unterstützt. Er überlegt zu jedem Item laut, wie gut er die Betätigung ausführt und wie wichtig sie ihm ist. Er kommentiert seine Gedanken, sodass sich die Ergotherapeutin Notizen machen kann. Auch die drei Fragen beantwortet er.


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Die Therapeutin analysiert die Ergebnisse im Gespräch

Die im COSA angegebenen Items dienen als Anregungen, damit das Kind strukturiert erzählen kann. Die Betätigungsbedürfnisse ergeben sich aus dem Gespräch.

Im zweiten Schritt findet das gemeinsame Gespräch anhand des Ergebnisbogens statt. Die Ergotherapeutin bespricht mit Anton seine genannten Stärken und Problembereiche. Sie sieht zum Beispiel, dass beim Betätigungsbedürfnis „In der Schule kann ich meine Aufgaben in der vorgegebenen Zeit beenden“ eine Diskrepanz zwischen der Durchführungskompetenz und der Wichtigkeit vorliegt. Sie bittet Anton, das Problem näher zu beschreiben.

  • > Therapeutin: „Du hast hier zwei traurige Smileys angekreuzt. Das heißt, dass es dir nicht leichtfällt. Erzähl doch mal, wie das ist, wenn deine Lehrerin euch eine Aufgabe gibt.“

  • > Anton: „Also, wenn ich dann Rechenblöcke machen soll, dann verrutsche ich immer in der Zeile und muss alles noch mal rechnen. Und wenn Tom neben mir stört, dann habe ich es schon wieder vergessen. Zum Schluss stimmt dann das Ergebnis nicht, und das ärgert mich. Überhaupt finde ich es doof, dass ich immer der Letzte bin. Manchmal passiert es mir auch, dass ich gar nicht mitbekomme, was wir genau machen sollen.“

  • > Um die Umwelt in der Klasse näher zu betrachten, fragt die Therapeutin: „Wo genau in der Klasse sitzt du?“

  • > Anton: „Ich sitze neben Tom, hinten am Fenster. Da kann ich auch sehen, was so auf dem Schulhof passiert. Tom ist immer ganz schnell fertig, das stört mich.“

  • > Therapeutin: „Und wie viel Zeit hast du für die Aufgabe, um sie fertig zu machen?“

  • > Anton: „Das weiß ich nicht genau. Bis es klingelt, sagt die Lehrerin. Und wenn ich dann anfange, klingelt es fast immer schon.“

  • > Therapeutin: „Das ist schon einiges, was du mir erzählen kannst. Du hast vier Sternchen angekreuzt. Das heißt, dass es dir ganz besonders wichtig ist, dass du deine Aufgaben schneller erledigen kannst. Sollen wir das als wichtigen Punkt markieren, der sich verbessern soll?“

  • > Anton: „Ja. Das finde ich gut.“

Die Ergotherapeutin orientiert sich dabei immer an einer Person-, Umwelt- und Betätigungsanalyse. So kann sie geeignete Testverfahren auswählen. Zum Beispiel vermerkt sie, dass sie den DTVP-2 zur visuellen Wahrnehmung mit Anton durchführen möchte, da er angibt, dass er immer in der Zeile verrutscht. Mit den anderen Items verfährt sie ähnlich, dabei achtet sie darauf, auch seine Stärken zu betonen.


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Das Kind bestimmt die Therapie mit

Bei der Anwendung steht das Kind als Klient im Vordergrund. Man geht davon aus, dass Kinder ab dem 8. Lebensjahr zunehmend nach Autonomie streben und ausreichende Fähigkeiten zur Selbstreflexion besitzen [4, 5]. Daher bezieht die Therapeutin das Kind in den Therapieprozess mit ein, um es zu motivieren, selbstbestimmend seine Probleme zu verbessern. Sie nimmt es ernst, achtet auf eine kindgerechte Sprache und ermutigt es, von sich zu erzählen.

Anschließend erstellen Therapeutin und Kind eine Prioritätenliste und einen Interventionsplan. Anton schreibt seine Ziele in den Ergotherapieplan (Abb. 2).

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Abb. 2 Im Ergotherapieplan vereinbaren Therapeutin und Kind gemeinsam Ziele und Interventionen [3].
(Abb.: Becker H, Steding-Albrecht U. Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2006. S. 140ff)

Er gibt als Betätigungsbedürfnisse an:

  • > Ich möchte meine Aufgaben in der Schule schneller und rechtzeitig erledigen können.

  • > Ich möchte schneller bei meinen Hausaufgaben sein, um mit meinen Freunden spielen gehen zu können. Aber dafür muss ich schneller schreiben und rechnen lernen.

  • > Ich möchte mehr mit meiner Familie machen, zum Beispiel einen Zoobesuch.

  • > Morgens möchte ich mich selbstständig für die Schule fertig machen und habe keinen Streit mehr mit Mama.

Im nächsten Schritt überlegt die Ergotherapeutin mit Anton, was ihm helfen könnte, damit sich seine genannten Betätigungsbedürfnisse erfüllen. Gemeinsam schreiben sie die Interventionsmöglichkeiten für die Therapie, für zu Hause und für die Schule in den Ergotherapieplan. So werden Therapieziele für alle Beteiligten transparent. Antons Betätigungsbedürfnisse werden kurz zu Beginn der nächsten Therapieeinheit gemeinsam mit der Mutter besprochen. Im weiteren Verlauf sucht die Therapeutin mit anderen Personen, zum Beispiel der Lehrerin, nach Interventionsmöglichkeiten. Da das Kind im engen Kontext zu seiner Familie und Umwelt steht, wird die Familie als Klient mit in die Therapie einbezogen.

Der Ergotherapieplan kann jederzeit ergänzt oder bearbeitet werden – je nachdem wie sich Antons Bedürfnisse verändern. Ebenso sollte das COSA zu einem späteren Zeitpunkt zur Evaluation wiederholt werden, um erreichte Ziele transparent zu machen und gegebenenfalls neue Ziele festzulegen.


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Ein geeignetes Instrument zur Zielformulierung

In den USA wurden Validität und Reliabilität des Assessments im Jahr 2008 überprüft. So führten zum Beispiel 502 Kinder im Alter von 6 bis 17 Jahren mit unterschiedlichen Nationalitäten (darunter auch 22 deutsche Kinder) das COSA durch. Es zeigte sich eine gute Validität und Reliabilität [2, 9]. Auch in Deutschland gibt es verschiedene Studien zur Effektivität: Demnach trägt das COSA zu einer klientenzentrierten Zielsetzung in der Behandlungsplanung bei [7]. Zudem entwickelten Ergotherapie-Studierende im Jahr 2004 eine Elternversion zum COSA sowie einen Leitfaden zum gemeinsamen Gespräch mit Kind und Eltern. Sie fanden heraus, dass sich das Einbeziehen der Eltern als positiv erwies, da man durch die Interaktion besser gemeinsame Ziele formulieren konnte [8]. Eine Adaption als Kartenversion erleichtert Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen und visuellen Schwierigkeiten die Anwendung [6].

Ergotherapeuten, die Kinder und Eltern aktiv in die Therapie einbeziehen und dabei die Betätigungsziele und die Behandlung transparent machen möchten, haben mit dem COSA ein praktikables und klientenzentriertes Instrument zur Hand.


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Abb. 1 Auszug eines ausgefüllten Selbsteinschätzungsbogens aus dem COSA [3]
(Foto: synto/fotolia.de; Abb.: Becker H, Steding-Albrecht U. Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2006. S. 140ff)
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Abb. 2 Im Ergotherapieplan vereinbaren Therapeutin und Kind gemeinsam Ziele und Interventionen [3].
(Abb.: Becker H, Steding-Albrecht U. Ergotherapie im Arbeitsfeld Pädiatrie. Stuttgart: Thieme; 2006. S. 140ff)