intensiv 2014; 22(02): 108-111
DOI: 10.1055/s-0034-1371354
DGF
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V.

Katrin Blanck-Köster
,
Uta Gaidys
Further Information

Publication History

Publication Date:
07 March 2014 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Kommen Menschen das erste Mal als Besucher oder Angehörige auf eine Intensivstation, fällt auf, wie beklemmt, eingeschüchtert, hilf- ja fast wehrlos sie wirken können. Oftmals schweigen sie und bewegen sich zögerlich und vorsichtig. Diese Welt scheint auf den ersten Blick kaum begreifbar, mit bisherigen Erfahrungen nicht zu verstehen und die Zeit und der Raum scheinen losgelöst vom alltäglichen Leben zu sein.

Im Gegensatz dazu wirken die Schwestern und Pfleger routiniert und erfahren. Sie bewegen sich geschäftig und mit sicheren Handgriffen: Alarme werden quittiert und bewertet, Medikamente werden verabreicht, Werte werden dokumentiert, Patienten werden mobilisiert, es wird sich mit Kolleginnen beraten und Angehörige von kritisch kranken Menschen werden in ihrer psychischen Krise begleitet.

Offensichtlich ist diese Umgebung für die Pflegenden Alltag. Dabei scheinen die Geschäftigkeit und die vermeintliche Routine zu überdecken, dass der Alltag von Intensivpflegenden von existenziellen Fragen geprägt ist. Mit Erstaunen fragen manche Angehörige, welche Ausbildung denn nötig sei, um hier zu arbeiten. Diese Frage berührt nicht nur die Handhabung der kompliziert anmutenden Intensivtechnik, sondern auch die Kompetenz, mit Menschen in krisenhaften Krankheitssituationen empathisch, ja menschlich umzugehen.

Lange Zeit wurde Pflegenden die Fähigkeit zu mitfühlendem und wohltätigem Verhalten einfach als Berufung zugeschrieben. Da passte es gut, dass die meisten Pflegenden Frauen waren. Ihr gefühlvoller und moralisch einwandfreier Umgang mit Kranken konnte so als Geschlechtsmerkmal angesehen und einfach eingefordert werden. Eine Ausbildung, eine Diskussion von Werten und Haltungen, die Fähigkeit zu kritischer Reflexion des eigenen Tuns, kurz eine theoretische Grundlage moralischen Handelns brauchte also nicht thematisiert zu werden. Dabei waren Pflegende in kritischen Krankheitssituationen schon immer herausgefordert, die Werte ihres Handels auf ihre Konsequenz für den kranken Menschen zu überprüfen. Gutes zu tun war und ist dabei eine fundamentale Motivation der meisten Pflegenden. Jedoch haben wir heute oftmals kein eindeutiges Bild von dem „Guten“. Die Lebensentwürfe unserer Klienten sind individuell, die Gesundheitsversorgung wird immer komplexer, die Möglichkeiten kritisch kranke Menschen zu versorgen werden immer vielfältiger und auch risikoreicher. Gutes zu tun verlangt damit die Fähigkeit abwägen zu können, Entscheidungen auf ihre Konsequenzen für den Einzelnen und für die Gesellschaft zu prüfen und dies in manchen Situationen auf der Intensivstation augenblicklich zu tun. Dabei müssen Pflegende Antworten suchen auf die existenziellen Fragen von Gesundheit und Krankheit, sie müssen aber auch scheinbar alltägliche Fragen beantworten können und hilflos erscheinende Angehörige unterstützen. Dies ist für Pflegende herausfordernd, es verlangt das Infragestellen sicher geglaubter Antworten und auch eigener Wertvorstellungen, manchmal auch eine Revision vorheriger Entscheidungen.

Der Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Intensivpflege soll einerseits deutlich machen, welche Rolle Intensivpflegende in ethischen Entscheidungssituationen von gesundheitlicher Versorgung einnehmen, anderseits formuliert der Kodex einen Anspruch an die ethischer Entscheidungsfähigkeit Pflegender. Der nun vorliegende und neu überarbeitete Ethikkodex beruht auf einem Diskussions- und Auseinandersetzungsprozess innerhalb der Berufsgruppe, insbesondere durch Pflegende und Mitglieder der Arbeitsgruppe Ethik der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF). Über ein Jahr haben die Mitglieder der Arbeitsgruppe den bereits seit 1995 von Heike Strunk erarbeiteten Ethikkodex auf die heutigen ethischen Herausforderungen in der Intensivpflege überarbeitet und angepasst.

Der Ethikkodex fordert die Intensivpflegenden auf, ihre Verantwortung für die gesundheitliche Situation kritisch kranker Menschen wahrzunehmen und ihre Kompetenz in den multiprofessionellen Versorgungsprozess selbstbewusst und kritisch einzubringen. Zu bemerken ist, dass Besucher, die den zweiten Tag auf die Intensivstation kommen, froh wirken, wenn sie die gleiche Pflegende am Bett ihres Angehörigen sehen. Offensichtlich wird sehr schnell deutlich, was die Maxime pflegerischen Handelns ist: Gutes zu tun!

Zoom Image
Zoom Image
Zoom Image