ergopraxis 2014; 7(02): 12-13
DOI: 10.1055/s-0034-1370369
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

HTA-Berichte – Schneller durchs Labyrinth der Evidenz

Florence Kranz

Subject Editor:
Further Information

Publication History

Publication Date:
05 February 2014 (online)

 

Ergotherapeuten sehen sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Evidenzbasiertes Arbeiten gehört sicher zu einer der größten – ernsthaft betrieben kann es sehr anspruchsvoll und zeitaufwendig sein. HTA-Berichte können diese Arbeit erleichtern.


#

Florence Kranz

Zoom Image

Florence Kranz, Ergotherapeutin BcOT, beschäftigt sich derzeit in ihrer Masterarbeit mit der Methodik von HTA-Berichten und systematischen Übersichtsarbeiten.

Evidenzbasierte Praxis sieht vor, dass Ergotherapeuten die beste verfügbare Evidenz nutzen, um ihr therapeutisches Vorgehen zu begründen [1, 2]. Dieser Anspruch klingt plausibel, ist im Arbeitsalltag aber nur schwer zu erfüllen. Er setzt voraus, dass man nach verfügbaren Studien recherchiert, diese bewertet und miteinander vergleicht. Aber mal ehrlich, wann soll eine praktisch tätige Ergotherapeutin das leisten? Glücklicherweise gibt es Quellen, die ihr die Suche nach der besten verfügbaren Evidenz erleichtern. Neben klinischen Leitlinien oder systematischen übersichtsarbeiten gehören HTA-Berichte dazu [3].

Evidenzbasierte Praxis leicht gemacht

„Health Technology Assessment“ (HTA) beschreibt ein Verfahren, das medizinische Interventionen und Technologien auf den Prüfstand stellt. Dabei recherchieren Forscher Studien, bewerten diese und fassen ihre Ergebnisse in Berichten zusammen. Die Koordination der HTA-Berichte übernimmt die Deutsche Agentur für HTA (DAHTA), die ihren Sitz in Köln hat und seit 2000 zum Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gehört [3, 4].

Ein aktueller HTA-Bericht, an dem die Ergotherapeutin Carola Habermann mitgearbeitet hat, bewertet beispielsweise die Wirksamkeit und Kosteneffektivität der Ergotherapie bei Menschen mit mittleren und schweren Demenzformen ( „Demenz“, ). Die Forscher werteten 14 Arbeiten aus und stellten einige methodische Mängel fest. Dennoch erscheint ihnen die Ergotherapie empfehlenswert. Demnach profitieren Betroffene unter anderem von einem aktivitätsorientierten Funktions- und Fertigkeitstraining. Außerdem können Ergotherapeuten die Angehörigen durch gezielte Beratungs- und Trainingsangebote unterstützen. Diese wirken entlastend, verbessern die Betreuungskompetenzen und verzögern eine Heimeinweisung [5].

Mit HTA-Berichten ist evidenzbasiertes Arbeiten auch für vielbeschäftigte Ergotherapeuten machbar.

HTA-Berichte bieten also Therapeuten, Medizinern oder Patienten eine evidenzbasierte Informationsgrundlage. Damit aber nicht genug: Sie können auch gesundheitspolitische Entscheidungen beeinflussen. Zum Beispiel, wenn sie den Gemeinsamen Bundesausschuss dazu veranlassen, Positionen im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkasse zu ergänzen, zu erhalten oder zu streichen [6, 7].

Ein weiterer Pluspunkt: Interessierte erhalten die vollständigen Berichte kostenlos über die DAHTA-Datenbank oder über German Medical Science („Nützliche Links“). Und das Ganze in deutscher Sprache.


#

Themenvorschläge erwünscht!

Heißt das jetzt, dass Ergotherapeuten sich ganz auf die DAHTA-Datenbank verlassen können, wenn sie evidenzbasiert arbeiten möchten? So einfach ist es leider nicht. Denn die Anzahl der ergotherapierelevanten HTA-Berichte aus Deutschland ist beschränkt.

Da die Evaluationen sehr zeit- und kostenaufwendig sind, kann die DAHTA pro Jahr nur rund 15 HTA-Artikel veröffentlichen. Das Kuratorium der HTA entscheidet zweimal jährlich darüber, welche Themen Priorität haben. Dieses Kuratorium setzt sich unter anderem aus den Interessenvertretern des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Krankenversicherungen und Patientenorganisationen zusammen. Ergotherapeuten oder andere Heilmittelerbringer gehören nicht dazu [4, 6, 8]. Wie alle Interessierten können sie ihre Themenvorschläge aber über die Internetpräsenz der DIMDI einreichen („Nützliche Links“). Nach der Themenauswahl beauftragt die DAHTA qualifizierte Wissenschaftler damit, die HTA-Berichte zu erstellen, und fördert deren Forschung finanziell. Der Entwicklungsprozess unterliegt den „Standard Operating Procedures“ (SOP) und integriert eine mehrstufige Qualitätsprüfung. Dabei sollen HTA-Berichte über die experimentelle Wirksamkeit, die Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen und die Kosteneffizienz informieren sowie gleichzeitig soziale, rechtliche und ethische Fragen berücksichtigen [4, 9, 10].

Entstehung eines HTA-Berichts

  • > Öffentliche Themensammlung: Themeneinreichung über Online-Fragebogen

  • > Themenauswahl: Das HTA-Kuratorium legt Themen und Prioritäten fest.

  • > Auftragsvergabe und Qualitätssicherung: Die DAHTA beauftragt Wissenschaftler mit der Erstellung des Berichts. Dieser durchläuft ein mehrstufiges Gutachterverfahren.

  • > Publikation: Die fertigen HTA-Berichte werden in der DAHTA-Datenbank und über German Medical Science veröffentlicht.

  • > Aktualisierung: Die Überarbeitung der HTA-Berichte geschieht auf Antrag und setzt eine erneute Themenauswahl und Auftragsvergabe voraus.

Nützliche Links

  • > HTA bei DIMDI: www.dimdi.de/static/de/hta/index.htm Das Portal mit der DAHTA-Datenbank dient der Recherche deutschsprachiger HTA-Berichte und Fragebogen.

  • > German Medical Science: www.egms.de Ein Portal für Online-Zeitschriften, Kongresse und Forschungsberichte aus der Medizin

  • > CRD-Database der University of York: www.crd.york.ac.uk/crdweb Datenbank zur Recherche internationaler HTA-Berichte


#

Gewusst wo!

In der DAHTA-Datenbank findet man beispielsweise HTA-Berichte über Frühinterventionen für Kinder mit Autismus, Sturzprophylaxe oder pflegerische Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenzerkrankungen [11–13]. Ist das eigene Interessengebiet nicht dabei, kann man auch auf die internationale HTA-Datenbank zurückgreifen. Sie ist Bestandteil der CRD-Database der University of York und enthält die HTA-Berichte aller Mitgliedsorganisationen des International Network for Agencies for Health Technology Assessments (INAHTA). Mit dem Suchbegriff „Occupational Therapy“ stößt man hier zum Beispiel auf drei HTA-Berichte aus Österreich, die sich mit dem Einsatz von Ergotherapie nach Schlaganfall, bei Rheumatoider Arthritis, bei Demenz und Depressionen beschäftigen [14–16].

Für Mitglieder des DVE lohnt sich zudem ein Blick in die EBP-Datenbank, die ergotherapierelevante HTA-Berichte zusammenfasst und bewertet.

Natürlich gelten die Darstellungen in HTA-Berichten nicht unbegrenzt. Die Halbwertszeit medizinischer Erkenntnisse liegt bei etwa fünf Jahren [17, 18]. Dann ist es höchste Zeit, das Thema erneut vorzuschlagen, womit der Entwicklungszyklus von vorne beginnt.


#

Ein Bericht, viele Auswirkungen

Möchten sich Ergotherapeuten intensiver mit dem Entwicklungsprozess von HTA-Berichten beschäftigen, kann ihnen ein Workshop oder Symposium der DAHTA weiterhelfen [4]. Die DIMDI hat zudem ein Handbuch für Autoren herausgegeben, das über die Einzelheiten der Berichterstellung informiert [10]. An Angehörige von Gesundheitsberufen richtet sich auch der halbjährige Blended-Learning-Kurs „HTA-Online“, den die Technische Universität Berlin jeweils zum Herbst anbietet [19, 20].

Die Mühe lohnt sich, denn HTA-Berichte können der Ergotherapie auf verschiedene Weise zugute kommen. Empfehlen sie den Einsatz von Ergotherapie, sichern sie auch ihre Position im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung. Außerdem geht von ihnen eine Signalwirkung aus, die das Image der Ergotherapie verändern kann. Über den HTA-Bericht von Habermann et al. haben zum Beispiel viele gesundheitsbezogene Fachzeitschriften und Internetseiten informiert. So auch das deutsche Ärzteblatt unter dem Titel „Studien: Ergotherapie bei Demenz erfolgreich“ [21].

Und natürlich ganz wichtig: Mit Ressourcen wie den HTA-Berichten ist evidenzbasiertes Arbeiten machbar. Auch für vielbeschäftigte Ergotherapeuten.


#
#

Zoom Image