Psychiatr Prax 2014; 41(02): 112
DOI: 10.1055/s-0034-1369834
Mitteilungen der ackpa
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen des Arbeitskreises der Chefärzte und Chefärztinnen von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa)

Karl H. Beine
1   Hamm
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
26. Februar 2014 (online)

 

31. Jahrestagung der ackpa

Psychiatrie im gesellschaftlichen Kontext: Angemessene Nutzung oder Missbrauch?

Es gibt in Deutschland etwa so viele psychiatrische Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern wie alleinstehende Fachkrankenhäuser, nämlich rund 205.


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Die Chefärztinnen und Chefärzte der Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern (ackpa) trafen sich am 8. und 9.11.2013 in der Hansestadt Wismar zur ackpa-Jahrestagung. Kollege Sponheim war der Gastgeber. Und es ging uns gut in Wismar, bei frischem Wind, frischem Fisch und erfrischenden Gesprächen. Das Protokoll der Mitgliederversammlung ist unter www.ackpa.de für Mitglieder einsehbar.

Unter dem Tagungsmotto „angemessene Nutzung oder Missbrauch“ ging es am Freitagmorgen los.

Schon 2001 wurde im Deutschen Ärzteblatt gefragt, ob die Psychiatriereform steckengeblieben sei, referierte Karl Beine, Hamm. Die Jahre seit 2001 darf man getrost als Phase einer Rückwärtsentwicklung für die Psychiatrie in Deutschland verbuchen. Mehr Fälle, kürzere Verweildauern, mehr Zwangsunterbringungen, mehr Betten in psychosomatischen Kliniken, mehr Diagnosen. Ob Psychiatrie nun gesellschaftlich angemessen genutzt oder zum Wegschließen missbraucht wird, stand zur Debatte: die Antwort ist wohl ein „sowohl als auch“: Diejenigen, die sich selbst auf den Weg machen, über entsprechende Mobilität, Kommunikation und Durchsetzungsfähigkeit verfügen und ihre Rechte kennen, fordern rasche Behandlungen in speziellen Ambulanzen oder Kliniken. Für die Menschen jedoch, die sich nicht durchsetzen (können), die auffallen, wenig effektiv kommunizieren, unbequem sind oder stören, bleiben psychiatrische Kliniken als Asyle, als Orte, in denen man einmal angekommen schnellstmöglich raus möchte, die einen möglicherweise festhalten, festbinden oder auch zwangsbehandeln.

Maria Klein-Schmeink, MdB, formulierte die Einwände und Rezepte grüner Gesundheitspolitik gegen diese Entwicklungen und die Chancen, solche in Zeiten großer Koalitionsverhandlungen zu platzieren. Sie hielt ein gut begründetes Plädoyer für quartierbezogene Lösungen, sektorenübergreifende Versorgungsformen und erläuterte ihre ablehnende Haltung gegenüber dem PEPP-System.

Anette Loer, Richterin in Hannover und Vorstandsmitglied des Betreuungsgerichtstages, setzte sich mit der Entwicklung der Rechtsprechung seit den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Zwangsbehandlung auseinander. Immer wieder beschreiben Richter und Ärzte Schwierigkeiten in der Kommunikation, wenn konkurrierende Rechtsgüter verhandelt werden: Schutz der Gesundheit des Einzelnen, Beachtung der Grundrechte, Beachtung der Rechte Dritter, auch der Rechte derer, die in psychiatrischen Kliniken arbeiten. Eine Kurskorrektur ist hier gefordert: Die Zahl der Zwangsunterbringungen hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt.

Beide Tendenzen, die zur maximalen Nutzung und die zum Missbrauch, haben wir als Handelnde im System zu verantworten. Deswegen müssen wir uns für eine Steuerung der Versorgung einsetzen, die solidarisch ist, fair handelt und die Menschenrechte beachtet. ackpa steht deshalb für:

  1. freie Krankenhauswahl für Patienten – nicht aber freie Patientenwahl für Krankenhäuser,

  2. Freiwilligkeit als Zielvorgabe für den Einzelnen und das Versorgungssystem,

  3. sektorenübergreifende Leistungserbringung (so wie sie in den Regionen mit Regionalbudgets exemplarisch geleistet wird) und eine

  4. angemessene personelle und sächliche Ausstattung für solche Leistungserbringer.

Um neue Versorgungsformen ging es am Samstagvormittag. Ungeachtet des einhelligen Widerstandes gegen das neue Entgeltsystem für die (teil-)stationäre Psychiatrie zementiert das Bundesgesundheitsministerium mit dem technokratischen Zahlenwerk PEPP ein überkommenes Versorgungssystem. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die Kosten und die Qualität dieses auf stationäre Behandlung ausgerichteten Systems aus dem Ruder laufen. Längst häufen sich landauf landab die Beschwerden von Nutzern und Angehörigen über die Zustände in der Psychiatrie und den Zugang zur Hilfe bei psychischen Problemen. In mancherlei Hinsicht haben wir heute Verhältnisse wie vor der PsychPV.

Neue Versorgungsformen gibt es: Psychiatrische Regionalbudgets in mittlerweile 14 deutschen Landkreisen zeigen höhere Patienten- und Angehörigenzufriedenheit bei stabilen, weil vorher vertraglich vereinbarten Budgets. Mindestens dreimal so viele Landkreise würden Versorgungsbudgets machen, wenn nicht die Krankenkassen als Verhandlungspartner zögern würden. Dabei sind die Modellvorhaben im neuen Entgeltgesetz vorgesehen. Thomas Schillen, Hanau und Martin Heinze, Rüdersdorf zeigten wie innovative Versorgungsmodelle geplant, verhandelt und umgesetzt werden. Interessanterweise gibt es Regionen, z. B. in Sachsen, in denen die AOK aktiv Versorgungsbudgets sucht, während die Verhandlungen in den südlichen Bundesländern nicht vorankommen. Warum das Bundesgesundheitsministerium enorme Ressourcen für ein visionsloses Zahlenwerk verschwendet und nichts tut, um Modellprojekte auf den Weg zu bringen, das bleibt ein Geheimnis.

Innovative Entwicklungen werden wohl auch zukünftig davon abhängen, dass sich mutige und zähe Einzelkämpfer Verbündete suchen und sinnvolle Reformen durchsetzen. Es wurde sehr deutlich, dass es bei ackpa keine Anzeichen dafür gibt, im Hamsterrad eines verkappten DRG-Systems zu resignieren.

Der Widerstand gegen diesen Irrweg wird weitergehen.

Martin Zinkler, Heidenheim


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