Rofo 2015; 187(05): 397-399
DOI: 10.1055/s-0034-1369795
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Grundsätze der horizontalen Arbeitsteilung zwischen Radiologen und anderen Fachärzten in der aktuellen arzthaftungsrechtlichen Rechtsprechung

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Publication Date:
21 April 2015 (online)

 

Die Radiologie ist als Querschnittsfach in besonderem Maße darauf angewiesen, sich ständig wechselnden Rahmenbedingungen anzupassen, die für eine optimale Kooperation mit anderen medizinischen Fachgebieten notwendig sind.

Andererseits resultieren aus der Zusammenarbeit mit behandelnden Fachärzten anderer Fachrichtungen für den Radiologen häufig arzthaftungsrechtliche Risiken. Im Rahmen der Tätigkeit von Ärzten auf partnerschaftlicher Gleichordnung und Weisungsfreiheit haben die beteiligten Ärzte nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung u. U. auch für die Fehler des jeweils anderen Arztes haftungsrechtlich einzustehen. Denkbar ist auch, dass durch einen mangelnden Informationsaustausch zwischen den beteiligten Ärzten der Haftungstatbestand erst zustande kommt. Für Koordinationsmängel haften danach alle Beteiligten (BGH, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97; Steffen / Dressler, Arzthaftungsrecht 1999, 105.). In diesem Fall ist eine Exkulpationsmöglichkeit für keinen der beteiligten Ärzte gegeben. Diese haften nach den Grundsätzen des arbeitsteiligen Handelns gemeinsam auch für Diagnosefehler. Insbesondere kann sich keiner der beiden Ärzte damit entlasten, auf die ordnungsgemäße ärztliche Tätigkeit durch den Anderen vertraut zu haben – kein sog. „Hase-und-Igel-Spiel“ im Arzthaftungsprozess (OLG Koblenz, Urt. v. 20.07.2006, Az.: 5 U 47/06 = GesR 2006, 519.).

Die Haftungsgrundsätze der horizontalen Arbeitsteilung in der Radiologie waren bereits in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (zur Kontrollpflicht des Orthopäden von schriftlichen Befunden des Radiologen, vgl. Wigge / Frigger, Fortschr Röntgenstr 7/2014, S. 719 f., zur Einstufung eines unterlassenen Mammografie-Screenings als Behandlungsfehler, vgl. Wigge / Frigger, Fortschr Röntgenstr 11/2013, S. 1108 ff.)

Diese für Radiologen haftungsträchtige „Schnittstellenproblematik“ war auch Streitgegenstand in 2 aktuellen obergerichtlichen Entscheidungen. In beiden Entscheidungen haben die Gerichte im Ergebnis eine Haftung der beteiligten Ärzte abgelehnt und die Klagen abgewiesen. Gleichwohl haben die Richter aus der Perspektive des Radiologen wichtige Feststellungen getroffen.

Diagnostik des Mammakarzinoms

Gegenstand eines Urteils des Oberlandesgerichts Köln vom 06.08.2014 (Az.: 5 U 101/13) war die Klage einer Lehrerin gegen ihren Gynäkologen. Dieser veranlasste im Jahr 1997, da die Klägerin Angst vor einer Krebserkrankung äußerte, eine Mammografie, die jedoch ohne Befund blieb. Im Jahr 1998 fiel dem Gynäkologen jedoch erstmals beim Abtasten der Brust ein erbsengroßer Knoten in der linken Axilla auf. Diesen ordnete er als entzündeten Lymphknoten ein und zeichnete diesen Befund auch bei folgenden Untersuchungen in den Jahren 1999 und 2000 auf. In den Jahren 2000 und 2005 wurden bei der Klägerin Mammografien durchgeführt, bei denen jedoch keine Auffälligkeiten ersichtlich wurden. Im Jahr 2008 stellte der Beklagte einen 1,5 cm großen, derb verschieblichen Knoten in der linken Axilla fest. Noch am selben Tag wurde eine Mammografie in einer radiologischen Praxis durchgeführt, die den Befund eines haselnussgroßen Karzinoms in der vorderen Axillarfalte links und 2 in der Axilla hinter dem Karzinom befindliche kleine rundliche Verdichtungen, die als Lymphknoten eingestuft wurden, zum Ergebnis hatte. Nur wenige Tage später wurde in einer Universitätsklinik ein auffälliger Tastbefund im Bereich der vorderen Axillarlinie festgestellt. Eine Stanzbiopsie ergab ein invasiv duktales Mammakarzinom des Gradings G2 bis G3. Nach einer brusterhaltenden Operation und der Entfernung zweier Sentinel-Lymphknoten erfolgten adjuvante Chemotherapie, Strahlentherapie und Hormonbehandlung.

Gegenstand des Gerichtsverfahrens war die Behauptung der Klägerin, dass der Befund aus dem Jahr 1998 identisch mit demjenigen des Jahres 2007 gewesen sei. Durch die falsche bzw. verzögerte Diagnose und Therapie habe sie schlechtere Heilungschancen gehabt. Der beklagte Gynäkologe entgegnete diesem Vorwurf, dass die Befunde nicht identisch gewesen seien und die Befunderhebung ausgereicht habe. In 1. Instanz folgte das Landgericht Köln (Urt. v. 17. Juli 2013, Az.: 25 O 379/10) dabei der Argumentation des Beklagten und wies die Klage ab. Grund dafür war, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige feststellte, dass sich das Mammakarzinom nicht in der linken Axilla, sondern in der vorderen Axillarlinie befunden habe. Daher sei die Identität der Befunde nicht bewiesen, und es könne damit auch nicht angenommen werden, dass eine frühere Biopsie oder Entfernung des Knotens in der Axilla die Entwicklung des Karzinoms hätte verhindern müssen. Auch sei der beklagte Gynäkologe nicht verpflichtet gewesen, den Hinweis auf einen abklärungsbedürftigen Befund der linken Axilla in die Überweisung zur Mammografie aufzunehmen. Dies liege darin begründet, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen bei jeder Mammografie nach geltendem europäischen Standard ohnehin die vordere Axillarlinie sowie die Axilla erfasst werden. Auf diesen europäischen Standard habe sich der beklagte Gynäkologe verlassen dürfen.


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Beweislast des Patienten hinsichtlich der Befundidentität

Das OLG Köln folgte dabei dem erstinstanzlichen Urteil. Das Gericht war von der Identität der beiden Befunde nicht überzeugt, da diese an unterschiedlichen Stellen lagen. Vor der Krebsdiagnose sei der Knoten am lateralen Rand des musculus pectoralis gewesen, und dort im dorsalen Bereich, wo sich jedoch kein Brustdrüsengewebe befinde. Zudem sei es nach Einschätzung des Sachverständigen nicht vorstellbar, dass ein Karzinom mit dem Grading G2 bis G3 über einen so langen Zeitraum (8 Jahre) unverändert bleibe und dann ein radikales Wachstum zeige.


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Vertrauen des Gynäkologen auf die Leistung des Radiologen

Für das Zusammenwirken zwischen Gynäkologen und Radiologen ist die Auffassung des Gerichts von Bedeutung, dass seitens des Gynäkologen keine Pflicht besteht, den Radiologen auf einen abzuklärenden Befund hinzuweisen. Unabhängig von den Angaben des überweisenden Gynäkologen ist eine Mammografie nach den European Guidelines durchzuführen, wonach immer auch der Pectorialsrand und die Region der vorderen Axillarlinie bzw. der Axilla erfasst werden. Auf diese Standards darf der Gynäkologe auch ohne weitere Hinweise vertrauen. Im Übrigen konnte das Gericht vorliegend nicht beurteilen, ob der Radiologe die europäischen Standards verletzt hätte und sah sich auch nicht dazu veranlasst, dies weiter zu überprüfen, da es eine Identität der Befunde ohnehin ablehnte.

Für den Radiologen hat dies zur Konsequenz, dass er sich – falls ihm gegenüber ein möglicher Arzthaftungsanspruch eines Patienten aufgrund eines Diagnosefehlers geltend gemacht wird – nicht durch einen Verweis auf einen mangelnden Hinweis des Gynäkologen exkulpieren kann, sondern vielmehr nachweisen muss, dass die Mammografie den European Guidelines entsprach. Diese Ansicht des OLG Köln liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung. Auch das OLG München hatte in seinem Urteil vom 22.08.2013, (Az.: 1 U 204/12, Fortschr Röntgenstr 07/2014, S. 719 f.) die Auffassung vertreten, dass sich der Orthopäde auf den schriftlichen Befund des Radiologen zu einer von diesem gefertigten MRT-Aufnahme verlassen darf und einen Befund nur dann hinterfragen und in geeigneter Weise verifizieren lassen muss, wenn sich dieser mit den von ihm erhobenen klinischen Befunden nicht oder nur in erheblich eingeschränktem Umfang vereinbaren lässt.


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MRT-Untersuchung bei Wirbelsäulenschmerzen

Das Zusammenwirken des Radiologen mit Fachärzten für Unfallchirurgie und Neurologie war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21.08.2014 (Az.: 5 U 868/14).

In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte eine Patientin gegen den Krankenhausträger und verschiedene Krankenhausärzte aus den Abteilungen für Unfallchirurgie und Neurologie sowie auch gegen den Chefarzt und einen Oberarzt der Radiologie Klage erhoben.

Die Klägerin stellte sich in der Unfallchirurgie mit Schmerzen aufgrund eines Sturzes mit Prellungen im unteren Wirbelsäulenbereich vor. Eine neurologische und eine röntgenologische Untersuchung ergaben keinen Anhalt für eine knöcherne Verletzung. Jedoch wurde ein Kontrolltermin 1 Woche später vereinbart. Zu diesem erschien die Klägerin mit starken Schmerzen, wodurch der Chefarzt der unfallchirurgischen Abteilung ein MRT der Lendenwirbelsäule beauftragte, das in der radiologischen Abteilung gefertigt wurde. Der Befundbericht wurde im Namen des Chefarztes und eines Oberarztes der Radiologie an den Unfallchirurgen übermittelt, sodass dieser von einem Bandscheibenvorfall ausging. Der Unfallchirurg riet zu einer stationären Therapie in der neurologischen Abteilung. Nach der erfolgten stationären Aufnahme äußerte sich die Klägerin wiederholt über Schmerzen im Gesäß- und Beinbereich, wobei zwischen den Parteien streitig blieb, ob diese Äußerungen die linke, wie von der Klägerin behauptet, oder die rechte Seite betrafen. Der Patientin wurden daraufhin krankengymnastische Übungen, Massagen und Medikamente verordnet, wobei die beklagten Ärzte eine Linderung behaupteten, was im Prozess auch durch Zeugenaussagen gestützt wurde.

Einige Tage später war das linke Bein geschwollen und livide verfärbt. Es wurde ein kompletter Verschluss der Vena illiaca communis festgestellt, worauf die Klägerin in ein Universitätsklinikum verlegt wurde. Dort wurde eine Thrombektomie vorgenommen und eine arterio-venöse Fistel angelegt. Innerhalb eines Jahres waren 2 weitere Klinikaufenthalte erforderlich.

Die Klägerin behauptete, dass die thrombotische Entwicklung von den Beklagten gesamtschuldnerisch zu verantworten sei. Schon auf dem MRT habe sie sich abgezeichnet und sei dann auch weiterhin verkannt worden. Es hätten weitere Untersuchungen vorgenommen werden müssen, da eine Risikolage durch Adipositas, Bewegungseinschränkungen und erlittenes Sturztrauma vorgelegen hätte. Eine wirksame Thromboseprophylaxe sei vorwerfbar versäumt worden. Daher sei sie nun erheblich gehbehindert, erwerbsunfähig und leide unter Schmerzen und Schlaflosigkeit sowie unter Sehschwierigkeiten. In 1. Instanz hatte das Landgericht Bad Kreuznach (Az. 3 O 333/10) die Klage abgewiesen. Das Landgericht bezeichnete den Vorwurf, bei der Auswertung des MRT sei ein thrombotisches Geschehen verkannt worden als unbegründet, da in der Kontrastmitteldarstellung Hindernisse für den venösen Blutfluss nicht erkennbar gewesen seien. Auch nach der stationären Aufnahme sei die Betreuung adäquat gewesen; einer besonderen Prophylaxe habe die Klägerin nicht bedurft.


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Zur Beweislast bei ärztlichen Organisations- oder Behandlungsfehlern

Dies bestätigte das Oberlandesgericht Koblenz und lehnte eine Haftung des radiologischen Chefarztes (wie auch des Krankenhausträgers und der übrigen Ärzte) ab. Die explizit vorgetragene Behauptung der Klägerin die Chefärzte der Radiologie und der Neurologie hätten an „entsprechenden Behandlungsentscheidungen“ mitgewirkt und würden für – von der Klägerin nicht näher konkretisierte – „Organisationsfehler ihrer Abteilung“ haften, wurden vom OLG Koblenz als unsubstantiiert zurückgewiesen. Das Gericht bezeichnete die Radiologie zwar als den maßgeblichen Ort der Diagnosestellung. Jedoch sei das MRT nicht schuldhaft falsch ausgewertet worden. Dabei bestätigte das Oberlandesgericht die Feststellung des Landgerichts, dass in der Kontrastmitteldarstellung kein Hindernis für den Blutfluss vorhanden gewesen sei. Das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls sei für die Ärzte eine tragfähige Arbeitshypothese gewesen. Die entsprechende Symptomatik habe trotz des klägerischen Vortrags auch keine Veranlassung geliefert, die Klägerin als Risikopatientin einzustufen. Entsprechende Gründe hätten sich allein aus der Adipositas ergeben können. Jedoch hätte sich auch aus Zeugenaussagen eine zwischenzeitliche Linderung der Beschwerden ergeben. Daher seien die Behandlungsmaßnahmen angemessen gewesen.


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Substantiierungspflicht des Patienten im Prozess

Arzthaftungsrechtlich bedeutsam an dieser Entscheidung ist die Feststellung des Gerichts, dass beim Zusammenwirken von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen von dem Patienten dargelegt und bewiesen werden muss, welches konkrete Fehlverhalten er jedem einzelnen Arzt vorwirft. Der klagende Patient genügt seiner Substantiierungspflicht im Klageverfahren daher nicht, wenn er pauschal und ohne Begründung Organisationsmängel und / oder Verstöße gegen Kontroll- und Überwachungspflichten behauptet.

Dem Patienten obliegt es,

  • die Pflichtverletzung des Arztes (d. h. Abweichung vom Facharztstandard gemäß §§ 630a Abs. 2, 630 h Abs. 4 BGB),

  • den Körper-, Gesundheitsschaden oder die Verletzung (Primärschaden),

  • die haftungsbegründende Kausalität,

  • den Sachverhalt für das Verschulden des Arztes und

  • die haftungsausfüllende Kausalität, d. h. den Kausalzusammenhang zwischen dem Primärschaden und weiteren Gesundheits- und Vermögensschäden,

darzulegen und zu beweisen. Erst wenn Fallgruppen vorliegen, bei denen Beweiserleichterungen greifen (z. B. voll beherrschbare Risiken, § 630 h Abs. 1 BGB; Dokumentationsmängel, § 630 h Abs. 3 BGB; Anscheinsbeweis) oder ein grober Behandlungsfehler feststehen sollte, kommt es zu der Beweislastumkehr nach der Regelung in § 630 h Abs. 5 BGB, wonach nur unter diesen eingeschränkten Voraussetzungen dem Arzt die Pflicht auferlegt wird, nachzuweisen, dass der Fehler nicht für den Gesundheitsschaden bei dem Patienten ursächlich war. Ein grober Behandlungsfehler ist ein Fehlverhalten, dass nicht aus subjektiven, in der Person des behandelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.


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Haftungsgrundsätze bei Diagnosefehlern

Bei der Annahme von Diagnosefehlern ist die Rechtsprechung jedoch zurückhaltend. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Fehlinterpretation von Befunden, da es aufgrund der zahlreichen diagnostischen Überschneidungen und Abgrenzungsproblemen äußerst schwierig ist, eine exakte und sichere Diagnose zu stellen. Eine objektiv unrichtige Diagnose stellt daher nicht notwendigerweise einen Behandlungsfehler dar. Ein „grober Behandlungsfehler“ liegt nur bei elementaren Diagnosefehlern vor; also einem Fehlverhalten, das aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich ist, weil ein solcher Fehler schlechterdings nicht passieren darf. Hierzu gehören z. B. das Unterlassen einer ausreichenden Befunderhebung und die unterbliebene Überprüfung einer „Arbeitsdiagnose“.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht

Lic. iur. can. Urs Fabian Frigger
Rechtsanwalt

Rechtsanwälte Wigge
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