Schlüsselwörter
Glaukom - Trabektom - Body-Mass-Index - episkleraler Venendruck - Liquordruck
Key words
glaucoma - trabectome - body mass index - episcleral venous pressure - cerebrospinal
fluid pressure
Einleitung
Die Anzahl der übergewichtigen Patienten steigt in den letzten Jahrzehnten stetig
an. Seit 1980 nimmt der BMI weltweit jedes Jahrzehnt um 0,4 kg/m2 zu und stellt so ein zunehmendes Problem für die Sozialsysteme in Industriestaaten
dar [1]. Viele Erkrankungen, wie koronare Herzkrankheit oder Diabetes mellitus Typ 2, können
auf Übergewicht zurückgeführt werden [2].
Eine Hochrechnung weltweiter epidemiologischer Daten zum Glaukom zeichnet voraus,
dass im Jahre 2020 voraussichtlich 79,6 Millionen Menschen am Glaukom leiden werden,
hiervon werden schätzungsweise 11,2 Millionen Menschen bereits an beiden Augen erblindet
sein [3]. Somit wird auch die Zahl übergewichtiger Glaukompatienten überproportional ansteigen.
Ein indirekter Zusammenhang zwischen Übergewichtigkeit und Glaukom wird vermutet.
Mehrere Studien haben gezeigt, dass ein hoher BMI mit einem höheren Augeninnendruck
(IOD) assoziiert ist [4], [5], [6], [7]. Bei Übergewichtigen liegt ein erhöhter episkleraler Venendruck vor [7], [8], [9], der über eine Erhöhung des Abflusswiderstands zu einer Erhöhung des IOD führt.
Erklären ließe sich dies einerseits durch vermehrtes orbitales Fettgewebe bei Patienten
mit erhöhtem BMI und damit indirekt einem reduzierten Abfluss des Kammerwassers über
das episklerale Venensystem durch Kompression desselben [7]. Andererseits liegt bei Patienten mit einem erhöhtem BMI ein erhöhter intraabdomineller
Druck vor [8], der über einen erhöhten Druck auf das venöse Gefäßsystem ebenfalls zu einen Abflussstörung
über das episklerale Venensystem führt.
Vor diesem Hintergrund haben wir einen möglichen Einfluss des Body-Mass-Index (BMI)
auf das Ergebnis nach Trabekulotomie ab interno mit dem Trabektom untersucht. Die
Trabektomoperation ist ein minimalinvasiver Eingriff mit einem günstigen Komplikationsprofil
und daher gerade bei frühen Glaukomformen gut einsetzbar. Bei der Trabektomoperation
wird das Trabekelmaschenwerk, welches den Hauptabflusswiderstand beim Glaukom darstellt,
über 3–5 Uhrzeiten mittels Elektroablation entfernt, sodass das Kammerwasser direkt
zur skleralen Wand mit den Kollektorkanälen hin abfließen kann (da nun eine direkte
Verbindung zwischen Kollektorkanälen und Vorderkammer besteht). Durch die Entfernung
des Hauptabflusswiderstands kommen hier möglicherweise den weiter posterior des Trabekelmaschenwerks
gelegenen 3-dimensional verzweigten Abflusswegen [10], [11] vermehrt Bedeutung zu. Ein bei Übergewichtigen erhöhten episkleraler Venendruck
[7], [8], [9] könnte zu einem erhöhten Abflusswiderstand und somit zu einem schlechteren Ergebnis
nach Trabektomoperation
führen. Um diese Hypothese zu überprüfen, haben wir eine retrospektive Analyse unserer
Trabektomdatenbank durchgeführt und die 3 häufigsten Glaukomformen – primäres Offenwinkelglaukom
(POWG), Myopieglaukom (MG) und Pseudoexfoliationsglaukom (PEXG) – untersucht.
Patienten und Methoden
Eingeschlossen wurden alle Patienten, bei denen im Zeitraum von Juni 2009 bis April
2013 in der Universitätsaugenklinik Freiburg eine Trabektomoperation durchgeführt
worden ist und die als POWG, MG oder Pseudoexfoliationsglaukom PEXG klassifiziert
wurden. Ausgeschlossen waren alle Patienten, die eine kombinierte Katarakt-/Trabektomoperation
erhielten, da die additive Kataraktoperation einen Einfluss auf das Ergebnis nach
Trabektomoperation zu haben scheint [12].
Die Operationen wurden von 2 erfahrenen Operateuren (MN, JJ) durchgeführt.
Alle Patienten wurden direkt am Tag nach der Operation sowie 3 Monate postoperativ
untersucht. Bei jedem weiteren Besuch des Patienten in unserer Klinik wurden der aktuelle
Druck sowie die aktuelle Therapie elektronisch erfasst. Die Entscheidung zur Reoperation
wurde klinisch, individuell festgelegt. Es gab keine prospektiv festgelegten Erfolgskriterien.
Als primärer Endpunkt wurde eine 20 %ige Drucksenkung ohne additive drucksenkende
Therapie definiert. Als sekundäre Endpunkte wurden eine 20 %ige Drucksenkung mit additiver
drucksenkender Therapie und eine Reoperation definiert.
Insgesamt wurden 131 Augen in die statistische Auswertung eingeschlossen.
Eine Einwilligung der Patienten zur Auswertung der Daten liegt vor. Ein Votum der
zuständigen Ethikkommission der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg liegt vor (Nr.:
235/10_160678). Die 131 Augen wurden in 2 Gruppen unterteilt (übergewichtig: > 25 kg/m2, unter-/normalgewichtig ≤ 25 kg/m2, Einteilung laut WHO-Klassifikation). Auf eine weitere Unterteilung in eine zusätzliche
Gruppe der Untergewichtigen wurde hinsichtlich der Fragestellung sowie der geringen
Anzahl der Untergewichtigen (n = 6) verzichtet. Hinsichtlich möglicher Einflussfaktoren
wie Glaukomtyp, Ausgangsdruck, Alter oder präoperative Tropftherapie unterschieden
sich die Gruppen statistisch nicht (siehe [Tab. 1]).
Tab. 1 Basisdaten der eingeschlossenen Patienten. Die beiden Gruppen unterschieden sich
nicht hinsichtlich der Glaukomform, des Alters, des Ausgangsdrucks und der präoperativen
Tropftherapie voneinander.
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BMI: ≤ 25 kg/m2 (n = 62)
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BMI: > 25 kg/m2 (n = 69)
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MG: Myopieglaukom, PEXG: Pseudoexfoliationsglaukom, POWG: primäres Offenwinkelglaukom,
IOD: intraokularer Druck, BMI: Body-Mass-Index
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MG in Prozent (Anzahl)
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8 % (5)
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13 % (9)
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p = 0,65
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PEXG in Prozent (Anzahl)
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34 % (21)
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32 % (22)
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POWG in Prozent (Anzahl)
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58 % (36)
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55 % (38)
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Alter (in Jahren)
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66 ± 13
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67 ± 12
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p = 0,19
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Geschlecht m : w
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34 : 66 % (21 : 41)
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42 : 58 % (29 : 40)
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Anzahl der präoperativen Augentropfen
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2,1 ± 1,3
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2,2 ± 1,4
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p = 0,45
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IOD präoperativ in mmHG
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25,6 ± 6,4
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24,1 ± 5,5
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p = 0,12
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Nachbeobachtungszeitraum in Tagen
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360 ± 356
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387 ± 352
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p = 0,49
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Statistik
Mittels eines Cox-Proportional-Hazards-Modells wurde der Einfluss des BMI auf das
Überschreiten der postoperativen Druckwerte von 80 % des Ausgangsdrucks (≙ Δ IOD <
− 20 %) ohne medikamentöse Therapie (absoluter Erfolg) bzw. mit medikamentöser Therapie
(relativer Erfolg) untersucht. Zusätzlich wurde die Versagensquote (= Durchführung
einer weiteren drucksenkenden Operation) berechnet.
In diesem Modell wurden die folgenden Kovariaten berücksichtigt: Alter zum Operationszeitpunkt
und präoperative Tropftherapie.
Ergebnisse
Patienten mit normalem/niedrigem BMI zeigten eine bessere Prognose für eine Drucksenkung
von mindestens 20 % ohne zusätzliche Lokaltherapie nach Trabektomoperation. Im Cox-Modell
hat die Gruppe mit einem BMI > 25 kg/m2 ein statistisch signifikant schlechteres Ergebnis bezogen auf den absoluten Erfolg
nach Trabektomoperation (p = 0,047, 95 %-Konfidenzintervall: 1,03–2,34) ([Tab. 2]). Auf den relativen Erfolg sowie die Reoperationsrate nach Trabektomoperation hat
der BMI keinen Einfluss. Hier unterscheiden sich die beiden Gruppen statistisch nicht
signifikant voneinander ([Abb. 1]).
Abb. 1 Kaplan-Maier-Überlebensschätzung bezogen auf a absoluter Erfolg (20 % Drucksenkung vom Ausgangsdruck ohne drucksenkende Medikation).
b Relativer Erfolg (20 % Drucksenkung vom Ausgangsdruck mit lokal drucksenkender Medikation).
c Durchführung einer erneuten drucksenkenden Operation.
Tab. 2 Cox-Proportional-Hazards-Modell bezogen auf den absoluten Erfolg.
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HR (CI)
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P
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HR: Hazard Ratio, P: p-Wert, CI: 95 %-Konfidenzintervall. Ein BMI > 25 kg/m2 erhöht das Risiko des Misserfolgs auf das 1,54-Fache des Normalgewichtigen.
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BMI > 25 kg/m2
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1,54 (1,03–2,34)
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0,04
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Alter (in Jahren)
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0,99 (0,97–1,01)
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0,53
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Anzahl der präoperativen Augentropfen
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0,95 (0,82–1,10)
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0,47
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Diskussion
In unseren Untersuchungen zeigt sich ein statistisch signifikant negativer Einfluss
von hohem BMI auf die Rate des absoluten Erfolgs nach Trabektomoperation, jedoch kein
Einfluss auf den relativen Erfolg nach Trabektomoperation oder die Reoperationsrate.
Ein schlechteres Ergebnis nach Trabektomoperation bei Übergewichtigen kann mit dem
erhöhten episkleralen Venendruck [13] und damit erhöhtem Abflusswiderstand begründet werden. Kritisch zu beachten ist,
dass in unserer retrospektiven Studie die Augendruckmessungen im Sitzen vorgenommen
wurden. Da es im Liegen bei Übergewichtigen durch einen erhöhten intraabdominellen
Druck zu einem Anstieg im episkleralen Venensystem kommt [8], [14], könnte der Unterschied beider Gruppen im Liegen größer ausfallen. Jedoch zeigte
Geloneck et al. [9], dass der BMI keinen signifikanten Einfluss auf die IOD-Änderung vom sitzenden zum
liegenden Patienten hat, sodass dies auf unsere Ergebnisse vermutlich keinen Einfluss
hat. Dieser negative Einfluss des hohen BMI auf den absoluten Erfolg nach Trabektomoperation
scheint sich jedoch durch additive drucksenkende Lokaltherapie ausgleichen zu lassen,
denn auf den relativen Erfolg hat der BMI bei unserer Untersuchung keinen Einfluss.
Wenn der Patient nach der Operation bereit ist, weiter zu tropfen, kann man den BMI
bei der klinischen
Indikationsstellung zur Operation vernachlässigen. Bei Patienten mit multipler Tropfenunverträglichkeit
spielt der BMI dahingegen eine Rolle, da der BMI auf den absoluten Erfolg (20 % Drucksenkung
vom Ausgangsdruck ohne drucksenkende Medikation) einen negativen Einfluss hat. Der Umkehrschluss dahingegen,
dass Patienten, um einen besseren absoluten Erfolg nach Trabektomoperation zu erreichen,
abnehmen sollten, lässt sich aus unseren Daten nicht ziehen.
Auch auf die Reoperationsrate hat der BMI in unseren Untersuchungen keinen Einfluss.
Dies unterstützt die Feststellung, dass es keinen Einfluss von BMI auf den relativen
Erfolg gibt. Denn eine Indikation zur Reoperation ergibt sich nicht bei mit lokaler
Drucksenkung gut eingestelltem Augendruck.
Ein weiterer Erklärungsansatz für das schlechtere absolute Ergebnis bei gleicher Reoperationsrate
liegt in der besseren Drucktoleranz bei Patienten mit hohem BMI. Bei Patienten mit
hohem BMI wurde ein höherer Liquordruck [15] sowie ein höherer Augendruck beobachtet [4], [16]. Trotz des höheren Augendrucks haben Patienten mit erhöhtem BMI jedoch kein erhöhtes
Glaukomrisiko [4], [16]. Eine Erklärung hierfür könnte der geringere translaminäre Druckgradient zwischen
zerebrospinaler Flüssigkeit und Augeninnendruck sein [15], [17], [18]. Berdahl et al. [19] führte eine retrospektive Analyse des Liquordrucks bei mehr als 30 000 Individuen
mit und ohne Glaukom durch. Sie fanden einen statistisch signifikant niedrigeren Liquordruck
bei Patienten mit Glaukom unabhängig von der Ursache für die Liquorpunktion oder dem
Alter. In einer linearen Regressionsanalyse zeigten sie einen signifikanten Zusammenhang
von Cup-to-Disc-Ratio mit
dem IOD, Liquordruck und translaminarem Druckgradienten. Dieser reduzierte translaminare
Druckgradient bei Individuen mit hohem BMI könnte durch reduzierten Stress auf die
einzelnen Sehnervenfasern in einem reduzierten Risiko für eine Sehnervenschaden resultieren
[20], obwohl der Augendruck tendenziell höher liegt. Eine erneute Indikation zur Operation
ergibt sich bei fehlender postoperativer Progression trotz schlechteren absoluten
Erfolgs nicht. Obwohl die Patienten mit dem hohen BMI also einen geringeren absoluten
Erfolg haben, müssen diese trotzdem nicht öfter reoperiert werden, da der Sehnerv
bei Patienten mit hohem BMI nicht so vulnerabel ist.
Bei der Interpretation unserer Ergebnisse ist zu bedenken, dass es sich um eine relativ
geringe Fallzahl handelt. Der negative Einfluss des hohen BMI auf den absoluten Erfolg
ist statistisch nur knapp signifikant. Da es sich um eine retrospektive Studie handelt,
fehlen prospektive Zielkriterien. So wurde die Indikation zur Reoperation klinisch,
für jeden Patienten individuell festgelegt. Ob sich die Ergebnisse bestätigen lassen,
muss in einer prospektiven Studie mit definierten Zielkriterien und größerer Fallzahl
überprüft werden.
Zusammenfassung
Ein hoher BMI scheint einen negativen Einfluss auf die Rate des absoluten Erfolgs
nach Trabektomoperation zu haben. Durch eine additiv lokal drucksenkende Therapie
scheint dies jedoch ausgleichbar zu sein, sodass die Reoperationsrate in beiden Gruppen
gleich liegt.