Epidemiologie und Klassifikation
Eine klinisch symptomatische Harnwegsinfektion (HWI) wird angenommen, wenn nach Invasion,
lokaler
Adhäsion und Vermehrung der Erreger im Urogenitaltrakt eine Entzündungsreaktion mit
entsprechenden
klinischen Symptomen auftritt. Eine asymptomatische Bakteriurie wird als Kolonisation
und nicht als
Infektion gewertet. Sie bedarf auch keiner antibiotischen Behandlung, ausgenommen
vor
urologisch-traumatisierenden Eingriffen und während der Schwangerschaft.
Eine asymptomatische Bakteriurie wird als Kolonisation und nicht als Infektion gewertet.
Sie bedarf
keiner antibiotischen Behandlung, ausgenommen vor urologisch-traumatisierenden Eingriffen
und
während der Schwangerschaft.
Die Inzidenz einer HWI lag nach Daten aus den USA bei Studentinnen bei 0,7 pro Patientin
und Jahr, bei
Patienten einer Krankenversicherungsgruppe bei 0,5 pro Patient und Jahr [1].
Die herkömmliche Klassifikation der unspezifischen HWI teilt sie in komplizierte und
unkomplizierte HWI
ein, da sich aufgrund des unterschiedlichen Erregerspektrums, der Erregerresistenz
und Risikofaktoren
Implikationen für Wahl und Dauer der antimikrobiellen Therapie ableiten lassen. In
der S3-Leitlinie
Harnwegsinfektionen [2] wird eine HWI als unkompliziert eingestuft, wenn im
Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten
Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Begleiterkrankungen vorliegen, die eine
Harnwegsinfektion
bzw. gravierende Komplikationen begünstigen.
Eine Harnwegsinfektion kann als unkompliziert eingestuft werden, wenn im Harntrakt
keine relevanten
funktionellen oder anatomischen Anomalien, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen
und keine
relevanten Begleiterkrankungen vorliegen, die eine Harnwegsinfektion bzw. gravierende
Komplikationen
begünstigen.
Die Gruppe der komplizierten HWI umfasst ein sehr heterogenes Patientenklientel mit
dem gemeinsamen
Merkmal eines oder mehrerer komplizierender Faktoren, die sich von Patient zu Patient
stark
unterscheiden können. Komplizierte HWI reichen von der schweren obstruktiven Pyelonephritis,
aus der
sich jederzeit eine Urosepsis entwickeln kann, bis hin zur postoperativen, katheterassoziierten
HWI, die
nach Entfernung des Katheters spontan und folgenlos abheilt. Die in [Tab. 1]
genannten komplizierenden Faktoren geben Hinweise auf das Vorliegen einer komplizierten
HWI [2].
Tab. 1 Komplizierende Faktoren bei Harnwegsinfektionen.
anatomische Veränderungen
-
angeboren, z. B.
-
erworben, z. B.
|
funktionelle Veränderungen, z. B.
-
Niereninsuffizienz
-
Harntransportstörungen
-
Entleerungsstörungen der Harnblasenspeicher
-
Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie
-
Detrusor-Sphinkter-Dyskoordination
Störungen der Immunität
Fremdkörper, z. B.
-
Harnleiterschienen
-
Harnblasenkatheter
|
Aufgrund der Heterogenität der HWI hat die Europäische Sektion für Infektionen in
der Urologie (ESIU) der
European Association of Urology (EAU) eine phänotypisch geführte Klassifikation vorgeschlagen
[3], [4]. Die HWI werden nach ihrem klinischen
Erscheinungsbild als Zystitis (ZY), Pyelonephritis (PN) und Urosepsis (US) [3] klassifiziert.
Eine Urosepsis ist hierbei immer schwerwiegender als eine Pyelonephritis und diese
immer schwerwiegender
als eine Zystitis. Eine Pyelonephritis kann sich als milde oder mäßig schwere Infektion
darstellen,
welche üblicherweise oral antibiotisch und ambulant therapiert werden kann. Eine schwere
Pyelonephritis
mit systemischer Reaktion wie Übelkeit und Erbrechen benötigt üblicherweise eine stationäre
Aufnahme und
parenterale Therapie. Bei der Urosepsis gibt es ebenfalls eine Einteilung des Schweregrads
nach
einfacher Sepsis, schwerer Sepsis und septischem Schock [5]. Jedem
klinischem Erscheinungsbild wird ein Schweregrad mit arabischen Nummern zugeteilt
([Tab. 2]).
Tab. 2 Klinische Präsentation von Zystitis (ZY), Pyelonephritis (PN) und
Urosepsis (US) und Einteilung des Schweregrads.
Akronym
|
klinische Diagnose
|
klinische Symptome
|
Schweregrad
|
Hypotension aufgrund Urosepsis ist definiert als systolischer Blutdruck < 90 mmHg
oder als eine Reduktion von > 40 mmHg gegenüber dem Ausgangswert ohne andere
Ursachen einer Hypotension.
* Urosepsis ist definiert als Sepsis ausgehend vom Urogenitaltrakt [5].
|
ZY-1
|
Zystitis
|
-
Dysurie, Pollakisurie, Drangbeschwerden, suprapubische Schmerzen
-
teilweise unspezifische Symptome
|
1
|
PN-2
|
milde und mäßig ausgeprägte Pyelonephritis
|
-
Fieber, Flankenschmerzen, Flankenklopfschmerz
-
mit oder ohne Symptome einer ZY
|
2
|
PN-3
|
schwere Pyelonephritis
|
|
3
|
US-4
|
Urosepsis (einfach)*
|
-
Temperatur > 38 °C oder < 36 °C
-
Herzfrequenz > 90/min
-
Atemfrequenz > 20/min oder PaCO2 < 32 mmHg
(< 4,3 kPa)
-
Leukozyten:
-
> 12 000/mm3 oder
-
< 4000/mm3 oder
-
≥ 10 % unreife Formen
-
mit oder ohne Symptome einer ZY oder PN
|
4
|
US-5
|
schwere Urosepsis*
|
-
wie US-4
-
zusätzlich assoziiert mit Organdysfunktionen, Hypoperfusion oder
Hypotension
-
Hypoperfusion und Perfusionsveränderungen können sich z. B. durch eine
Laktatazidose, Oligurie oder akute mentale Veränderungen darstellen.
|
5
|
US-6
|
uroseptischer Schock*
|
-
wie US-4 oder US-5
-
Zusätzlich Hypotension trotz adäquater Flüssigkeitssubstitution sowie
Hypoperfusion und Perfusionsveränderungen, die sich z. B. durch eine
Laktatazidose, Oligurie oder akute mentale Veränderungen darstellen
können.
-
Patienten unter Therapie mit inotropen oder vasopressorischen Medikamenten
können auch nichthypotensiv sein, wenn Perfusionsveränderungen gemessen
werden.
|
6
|
Zusätzlich werden Risikofaktoren berücksichtigt, welche die Prognose modifizieren
und Einfluss auf die
Diagnose und Therapie nehmen können. Nach der ESIU-Klassifikation wird mithilfe des
ORENUK-Systems eine
Risikostratifikation nach phänotypischen Faktoren beschrieben. Das ORENUK-System beinhaltet
6
Hauptkategorien ([Tab. 3]).
Tab. 3 Risikofaktoren einer Harnwegsinfektion kategorisiert nach dem
ORENUK-System.
Phänotyp
|
Kategorie der Risikofaktoren
|
Beispiele für Risikofaktoren
|
O
|
Ohne Risikofaktor
|
|
R
|
Risikofaktor für Rezidivierende HWI, kein Risiko eines schwereren Verlaufs
|
-
Sexualverhalten (Häufigkeit, Spermizide)
-
Hormonmangel bei postmenopausalen Frauen
-
gut kontrollierter Diabetes mellitus
|
E
|
Extraurogenitale Risikofaktoren mit Risiko eines schwereren Verlaufs
|
|
N
|
Nephropathische Erkrankungen mit höherem Risiko eines schweren Verlaufs
|
-
relevante Niereninsuffizienz
-
polyzystische Nierendysplasie
-
interstitielle Nephritis, z. B. durch Analgetika
|
U
|
Urologische Risikofaktoren mit höherem Risiko eines schweren Verlaufs und der
Möglichkeit einer adäquaten Behandlung
|
-
Ureterobstruktion durch Ureterstein
-
vorübergehende Katheterisierung
-
asymptomatische Bakteriurie
|
K
|
Permanente Katheterversorgung und nicht behandelbare urologische
Risikofaktoren mit höherem Risiko eines schweren Verlaufs
|
|
Die Antibiotikatherapie ist einer der wichtigsten Faktoren in der Therapie der HWI.
Aus diesem Grund
wurde von der ESIU noch eine Klassifikation der antibiotikatherapeutischen Option
eingefügt, die mit
Grad a, b oder c beschrieben wird ([Tab. 4]).
Tab. 4 Antibiotikatherapeutische Option.
Grad a
|
Grad b
|
Grad c
|
Erreger sind gegenüber den allgemeinen, erhältlichen Antibiotika sensibel.
|
Erreger weisen eine reduzierte Empfindlichkeit gegenüber den allgemeinen,
erhältlichen Antibiotika auf. Alternative (Reserve-)Antibiotika sind jedoch
erhältlich.
|
Erreger sind resistent (multiresistent) gegenüber Antibiotika. Alternative, geeignete
Antibiotika sind nicht erhältlich.
|
Auf Basis dieser Klassifikation könnten verschiedene Formen der HWI nun besser (z. B.
in
Studienprogrammen) verglichen und prognostisch eingeschätzt werden.
Erregerspektrum
Bei einer akuten unkomplizierten Zystitis wird Escherichia coli in 70–80 % der Fälle isoliert,
Staphylococcus saprophyticus zwischen 5 und 15 % der Fälle. In Einzelfällen werden andere
Enterobakterien wie Proteus mirabilis und Klebsiella spp. oder Enterokokken isoliert
[6], [7]. Eine in etwa gleiche Verteilung
ergibt sich auch bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis.
Bei der Gruppe der komplizierten HWI findet man ein wesentlich breiteres Erregerspektrum
als bei den
unkomplizierten HWI. Neben E. coli und anderen Enterobakterien (z. B. Proteus, Klebsiella,
Enterobacter, Citrobacter spp.) spielen Pseudomonas spp. und Enterokokken auch eine
wichtige Rolle [8], [9].
Therapeutisches Vorgehen bei Harnwegsinfektionen
Antibiotikatherapie der unkomplizierten Zystitis
In placebokontrollierten Studien zur akuten unkomplizierten Zystitis wurde eine spontane,
klinische
Heilungsrate von 25–42 % nachgewiesen. Eine Metaanalyse hierzu ergab jedoch signifikant
bessere
Raten für die Antibiotikatherapie bezüglich klinischer und mikrobiologischer Heilung
sowie einer
Reinfektion. Die Zystitis hat insgesamt einen benignen Verlauf. Das Risiko für eine
Patientin mit
Zystitis, bei einer nicht effektiven Behandlung eine akute unkomplizierte Pyelonephritis
zu
entwickeln, liegt lediglich bei ca. 2 %. Deswegen geht es bei der Therapie der Zystitis
im
Wesentlichen darum, die klinischen Symptome rasch zum Abklingen zu bringen. Es sollte
deswegen eine
möglichst kurzzeitige Therapie mit einem geeigneten Antibiotikum bevorzugt werden.
Bei der unkomplizierten Zystitis sollte eine möglichst kurzzeitige Therapie mit einem
geeigneten
Antibiotikum bevorzugt werden.
Checkliste
Kardinalkriterien für die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums bei unkomplizierter
Zystitis
-
individuelles Risiko des Patienten und Antibiotikavortherapie
-
Erregerspektrum und Antibiotikaempfindlichkeit
-
Effektivität der antimikrobiellen Substanz
-
Auswirkungen auf die individuelle Resistenzsituation beim Patienten und/oder
epidemiologische Auswirkungen („Kollateralschäden“)
-
unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums richtet sich nach 5 Kardinalkriterien (s. [Checkliste]). Aus
diesen 5 Kriterien lassen sich heutzutage zur oralen Erstlinientherapie der akuten
unkomplizierten
Zystitis bei ansonsten gesunden Frauen in der Prämenopause die in [Tab. 5] gelisteten antibiotischen Substanzen mit den entsprechenden Dosierungen
empfehlen. Diese Empfehlung trägt auch der zunehmenden Resistenzentwicklung der Fluorchinolone
und
Cephalosporine Rechnung und zielt darauf ab, den Selektionsdruck auf Fluorchinolone
und
Cephalosporine zu reduzieren („antimicrobial stewardship“).
Tab. 5 Empfohlene empirische Kurzzeittherapie der unkomplizierten Zystitis
bei ansonsten gesunden Frauen (keine Risikofaktoren) in der Prämenopause.
Substanz
|
Tagesdosierung
|
Dauer
|
RT: Retardform (= makrokristalline Form)
1 In der Fachinformation wird der Einsatz von Nitrofurantoin
folgendermaßen eingeschränkt: „Nitrofurantoin darf nur verabreicht werden, wenn
effektivere und risikoärmere Antibiotika oder Chemotherapeutika nicht einsetzbar
sind.“
2 Pivmecillinam (Selexid®) ist derzeit in Deutschland nicht
erhältlich, jedoch in einigen europäischen Nachbarstaaten (z. B. Österreich,
skandinavische Länder).
|
Mittel der 1. Wahl
|
Fosfomycin-Trometamol
|
3000 mg 1 × tgl.
|
1 Tag
|
Nitrofurantoin1
|
50 mg 4 × tgl.
|
7 Tage
|
Nitrofurantoin RT1
|
100 mg 2 × tgl.
|
5 Tage
|
Pivmecillinam2
|
200 mg 2 × tgl.
|
7 Tage
|
Pivmecillinam2
|
400 mg 2 × tgl.
|
3 Tage
|
Mittel der 2. Wahl
|
Ciprofloxacin
|
250 mg 2 × tgl.
|
3 Tage
|
Ciprofloxacin RT
|
500 mg 1 × tgl.
|
3 Tage
|
Levofloxacin
|
250 mg 1 × tgl.
|
3 Tage
|
Norfloxacin
|
400 mg 2 × tgl.
|
3 Tage
|
Ofloxacin
|
200 mg 2 × tgl.
|
3 Tage
|
Cefpodoximproxetil
|
100 mg 2 × tgl.
|
3 Tage
|
bei Kenntnis der lokalen Resistenzsituation (E.-coli-Resistenz
< 20 %)
|
Cotrimoxazol
|
160/800 mg 2 × tgl
|
3 Tage
|
Trimethoprim
|
200 mg 2 × tgl.
|
5 Tage
|
In der Schwangerschaft kommen zur Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis vornehmlich
Fosfomycin-Trometamol oder orale Cephalosporine der 2. oder 3. Generation infrage.
In der Schwangerschaft kommen zur Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis vornehmlich
Fosfomycin-Trometamol oder orale Cephalosporine der 2. oder 3. Generation infrage.
Eine Kontrolle des Therapieerfolgs bei ansonsten gesunden Frauen in der Prämenopause
ist bei
Beschwerdefreiheit nicht erforderlich. Bei Therapieversagen (innerhalb von 2 Wochen)
sollten
mangelnde Compliance, resistente Erreger oder bisher nicht erkannte Risikofaktoren
in Erwägung
gezogen werden. In diesen Fällen ist vor dem nächsten Therapieversuch eine differenzierte
Unterweisung und Untersuchung der Patientin, eine Urinuntersuchung einschließlich
Kultur und
gegebenenfalls ein Wechsel des Antibiotikums angezeigt.
Prophylaxe der rezidivierenden Zystitis
Die zunehmende antibiotische Resistenzlage hat dazu geführt, bei häufigen und benignen
Infektionen
wie der rezidivierenden Zystitis nichtantibiotische Prophylaxestrategien zu evaluieren.
In einer
Metaanalyse placebokontrollierter randomisierter Studien zur nichtantibiotischen Prophylaxe
rezidivierender HWI wurden 17 Studien mit insgesamt 2165 Patienten evaluiert [10].
Das orale Immunstimulans OM-89 zeigte mit einer guten Studienlage, dass damit die
Rate an HWI
signifikant reduziert wurde (RR 0,61). Die vaginale Vakzine Urovac zeigte ebenfalls
eine
signifikante Reduktion (RR 0,81). Die vaginale Östrogensubstitution bei postmenopausalen
Frauen
ergab einen Trend einer besseren Wirksamkeit gegenüber Placebo (RR 0,42). Kranbeeren
(„cranberries“)
zeigten in dieser Metaanalyse, bei der allerdings nur 2 Studien eingeschlossen wurden,
ebenfalls
eine signifikante Reduktion rezidivierender HWI (RR 0,53). Eine kürzlich durchgeführte
Cochrane-Metaanalyse ergab jedoch keine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo
(RR 0,86)
[11]. Weiterhin wurde Akupunktur in 2 relativ kleinen Studien mit
einer signifikanten Reduktion evaluiert (RR 0,48) [10]. Eine kürzlich publizierte
3-armige,
prospektiv randomisierte Studie zur Prophylaxe rezidivierender HWI über 6 Monate verglich
die
tägliche Gabe von 2 g D-Mannose, gelöst in 200 ml Wasser, mit täglich 50 mg Nitrofurantoin
und mit
keiner Prophylaxemaßnahme [12]. Patientinnen, die D-Mannose oder
Nitrofurantoin erhielten, hatten ein deutlich niedrigeres HWI-Risiko als unbehandelte
Patientinnen
(RR 0,239 und 0,335, p < 0,0001). Die Nebenwirkungsrate mit D-Mannose war geringer
als die mit
Nitrofurantoin (RR 0,276, p < 0,0001).
Zusammenfassend bewerten die Autoren OM-89 aufgrund der guten Datenlage als die vielversprechendste
nichtantibiotische Prophylaxestrategie [10].
OM-89 kann aufgrund der guten Datenlage als die vielversprechendste nichtantibiotische
Prophylaxestrategie bewertet werden.
Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis
Bei der akuten unkomplizierten Pyelonephritis kann die Erregeridentifikation und
-empfindlichkeitstestung in der Regel nicht abgewartet werden, da der frühe Einsatz
einer effektiven
Antibiotikatherapie nicht nur für den klinischen Verlauf, sondern auch für eine eventuelle
Beeinträchtigung der Nierenfunktion bzw. Narbenbildung der Nieren eine Rolle spielt.
Der frühe Einsatz einer effektiven Antibiotikatherapie bei der unkomplizierten Pyelonephritis
spielt für den klinischen Verlauf sowie für die eventuelle Beeinträchtigung der Nierenfunktion
bzw. für die Narbenbildung der Nieren eine Rolle.
Für die orale Erstlinientherapie der akuten unkomplizierten Pyelonephritis werden
die in [Tab. 6] und [Tab. 7] gelisteten Antibiotika
empfohlen. Milde und mittelschwere pyelonephritische Infektionen sollten bei ansonsten
gesunden
Frauen in der Prämenopause mit oralen Antibiotika behandelt werden ([Tab. 6]). Bei schweren Infektionen mit systemischen Begleiterscheinungen, wie Übelkeit,
Erbrechen, Kreislaufinstabilität, sollte die Therapie initial mit hohen Dosen parenteraler
Antibiotika begonnen werden ([Tab. 7]). Nach wenigen Tagen kann in der
Regel die Therapie oral fortgesetzt werden, wenn sich der klinische Zustand der Patientin
gebessert
hat.
Tab. 6 Empfohlene empirische Antibiotikatherapie der unkomplizierten
Pyelonephritis bei ansonsten gesunden Frauen (keine Risikofaktoren) in der Prämenopause.
Orale Therapie bei leichten bis moderaten Verlaufsformen.
Substanz
|
Tagesdosis
|
Therapiedauer
|
RT: Retardform
|
Mittel der 1. Wahl
|
Ciprofloxacin
|
500–750 mg 2 × tgl.
|
7–10 Tage
|
Ciprofloxacin RT
|
1000 mg 1 × tgl.
|
7–10 Tage
|
Levofloxacin
|
(250–)500 mg 1 × tgl.
|
7–10 Tage
|
Levofloxacin
|
750 mg 1 × tgl.
|
5 Tage
|
Mittel der 2. Wahl
gleiche klinische Effektivität, mikrobiologisch nicht gleichwertig mit
Fluorchinolonen
|
Cefpodoximproxetil
|
200 mg 2 × tgl.
|
10 Tage
|
Ceftibuten
|
400 mg 1 × tgl.
|
10 Tage
|
bei bekannter Erregerempfindlichkeit
(nicht zur empirischen Therapie)
|
Cotrimoxazol
|
160/800 mg 2 × tgl.
|
14 Tage
|
Amoxicillin/Clavulansäure
|
0,875/0,125 g 2 × tgl.
|
14 Tage
|
Amoxicillin/Clavulansäure
|
0,5/0,125 g 3 × tgl.
|
14 Tage
|
Tab. 7 Empfohlene empirische Antibiotikatherapie der unkomplizierten
Pyelonephritis bei ansonsten gesunden Frauen (keine Risikofaktoren) in der Prämenopause.
Initiale parenterale Therapie bei schweren Verlaufsformen.
Substanz
|
Tagesdosis
|
Nach klinischer Besserung kann bei Erregerempfindlichkeit eine orale
Sequenztherapie mit einem der in Tab. 6 genannten oralen Therapieregime
eingeleitet werden. Die Gesamttherapiedauer beträgt 1–2 Wochen, daher wird für
die parenteralen Antibiotika keine Therapiedauer angegeben.
|
Mittel der 1. Wahl
|
Ciprofloxacin
|
400 mg 2 × tgl.
|
Levofloxacin
|
(250–)500 mg 1 × tgl.
|
Levofloxacin
|
750 mg 1 × tgl.
|
Mittel der 2. Wahl
|
Cefepim
|
1–2 g 2 × tgl.
|
Ceftazidim
|
1–2 g 3 × tgl.
|
Ceftriaxon
|
1–2 g 1 × tgl.
|
Cefotaxim
|
2 g 3 × tgl.
|
Amoxicillin/Clavulansäure
|
1/0,2 g 3 × tgl.
|
Ampicillin/Sulbactam
|
1/0,5 g 3 × tgl.
|
Piperacillin/Tazobactam
|
2/0,5–4/0,5 g 3 × tgl.
|
Amikacin
|
15 mg/kg 1 × tgl.
|
Gentamicin
|
5 mg/kg 1 × tgl.
|
Doripenem
|
0,5 g 3 × tgl.
|
Ertapenem
|
1 g 1 × tgl.
|
Imipenem/Cilastatin
|
0,5/0,5 g 3 × tgl.
|
Meropenem
|
1 g 3 × tgl.
|
Für die Therapie der Pyelonephritis in der Schwangerschaft werden Cephalosporine der
2. oder
3. Generation empfohlen. In der Schwangerschaft sollte die stationäre Behandlung erwogen
werden.
Nach der Therapie der Pyelonephritis in der Schwangerschaft ist eine Urinkultur zur
Sicherung des
Therapieerfolgs durchzuführen.
Für die Therapie der Pyelonephritis in der Schwangerschaft werden Cephalosporine der
2. oder
3. Generation empfohlen. Es sollte eine stationäre Behandlung erwogen werden.
Therapie der komplizierten/nosokomialen Harnwegsinfektion
Die Therapie der komplizierten HWI richtet sich im Wesentlichen nach der regionalen
Antibiotikaresistenz (s. [Kasten Hintergrund]). Je nach Resistenz und Schweregrad der HWI werden die
in [Tab. 9] aufgelisteten Antibiotika empfohlen [13].
Tab. 8 Resistenzraten für ausgewählte Antibiotika und Spezies in Nordeuropa
in den Jahren 2003–2010.
Antibiotika
|
ausgewählte Spezies
|
Resistenzrate
|
Ampicillin/Betalaktamasehemmer
|
E. coli
|
42 %
|
|
Klebsiella spp.
|
51 %
|
|
Enterococcus spp.
|
21 %
|
Piperazillin/Tazobaktam [1]
|
E. coli
|
21 %
|
|
Klebsiella spp.
|
32 %
|
|
P. aeruginosa
|
23 %
|
|
Enterococcus spp.
|
15 %
|
Ciprofloxacin
|
E. coli
|
35 %
|
|
Klebsiella spp.
|
41 %
|
|
P. aeruginosa
|
52 %
|
|
Enterococcus spp.
|
69 %
|
Cefotaxim
|
E. coli
|
15 %
|
|
Klebsiella
|
34 %
|
Gentamicin
|
E. coli
|
18 %
|
|
Klebsiella spp.
|
40 %
|
|
P. aeruginosa
|
49 %
|
|
Enterococcus spp.
|
80 %
|
Imipenem
|
E. coli
|
4 %
|
|
Klebsiella spp.
|
0 %
|
|
P. aeruginosa
|
21 %
|
|
Enterococcus spp.
|
18 %
|
Tab. 9 Empfehlungen zur empirischen Antibiotika-Initialtherapie bei
komplizierten HWI und Urosepsis.
|
häufigste Erreger
|
intravenöse Initialtherapie
|
orale Initialtherapie
|
* wenn keine vorherige Fluorchinolon-Einnahme in der Anamnese
|
-
Harnwegsinfektionen
-
kompliziert
-
nosokomial
-
katheterassoziiert
-
Urosepsis
|
-
E. coli
-
Klebsiella spp.
-
Proteus spp.
-
Enterobacter spp.
-
andere Enterobakterien
-
P. aeruginosa
-
Enterokokken
-
Staphylokokken
-
(Candida)
|
bei Versagen der Initialtherapie und Risikofaktoren:
-
Cephalosporin Gruppe 3b
-
Cephalosporin Gruppe 4
-
Acylaminopenicillin/Betalaktamasehemmer
-
Carbapenem Gruppe 1 (Imipenem, Meropenem, Doripenem)
-
(Fluconazol)
die Dosierung muss bei Sepsispatienten generell hoch sein (vergrößertes
Verteilungsvolumen)
zur Spektrumserweiterung ggf. Kombinationstherapie mit Aminoglykosid oder
Fluorchinolon*
|
möglichst nach Testung
falls empirische Therapie notwendig:
-
Ciprofloxacin*
-
Levofloxacin*
-
Cefpodoximproxetil
-
Ceftibuten
falls Erreger sensibel:
|
Hintergrund:
Global Prevalence Study of Infections in Urology
Die Antibiotikaresistenz stationärer urologischer Patienten wird z. B. seit 2003 jährlich
weltweit in der „Global Prevalence Study of Infections in Urology (GPIU)“ gemessen.
Die Studie
wird von der Europäischen Sektion für Infektionen in der Urologie (ESIU) weltweit
durchgeführt
und ist internetbasiert. In den Jahren 2003–2010 wurden 19 756 Patienten in der Studie
untersucht. 9,4 % der urologischen Patienten entwickelten eine nosokomiale HWI während
ihres
Aufenthalts in der Urologie [9]. Das bakterielle Spektrum war über
die 8 Jahre ähnlich mit E. coli (39 %), Klebsiella spp. (11 %), P.
aeruginosa (11 %) und Enterococcus spp. (12 %). Ebenso gab es keine signifikante
Änderung der Antibiotikaresistenz über diesen Zeitraum. [Tab. 8]
zeigt die Resistenzraten für ausgewählte Spezies und Antibiotika für den Zeitraum
von 2003–2010
für Nordeuropa.
Insgesamt zeigten sich bei allen getesteten Antibiotika hohe Raten der Antibiotikaresistenz,
lediglich Imipenem hatte eine Resistenzrate unter 10 %, bezogen auf das gesamte bakterielle
Spektrum.
Management bei Urosepsis
Urosepsis ist verantwortlich für ca. 25 % aller Sepsisfälle. Schwere Sepsis oder septischer
Schock
werden in 10–30 % durch Urosepsis verursacht [14]. Bei urologischen
Patienten, die eine nosokomiale HWI entwickeln, wird in 12 % eine Urosepsis diagnostiziert
[15]. Eine Urosepsis entsteht hauptsächlich durch eine Obstruktion des
oberen Harntrakts, am häufigsten durch Uretersteine. Sepsis in der Urologie ist weiterhin
eine
Herausforderung, da die schwere Sepsis und der septische Schock nach wie vor eine
Mortalität von
20–40 % aufweisen [14]. Eine frühe Diagnose ist deswegen
essenziell.
Sepsis in der Urologie ist weiterhin eine Herausforderung, da die schwere Sepsis und
der
septische Schock nach wie vor eine Mortalität von 20–40 % aufweisen [14].
In einer prospektiven Kohortenstudie an Patienten mit fieberhaften HWI konnte gezeigt
werden, dass
ein Procalcitoninwert > 0,25 µg/l mit einer Sensitivität von 95 % und einer Spezifität
von 50 %
eine Bakteriämie vorhersagen kann [16]. Die Procalcitoninkonzentration
korreliert weiterhin mit der Höhe des bakteriellen Inokulums und der Zeit bis zum
positiven Nachweis
einer Blutkultur [16]. Procalcitonin kann somit zur Diagnose einer
Urosepsis verwendet werden. Eine frühe Diagnose ist für eine frühe Antibiotikatherapie
wichtig, die
bei Obstruktion des oberen Harntrakts mit einer effektiven Dekompression einhergehen
muss. Dadurch
kann die Mortalität bei Urosepsis signifikant gesenkt werden [17]. In
einer retrospektiven Studie war die Mortalität bei Patienten mit obstruktiver Urosepsis
ohne
Desobstruktion mit 19 % signifikant höher als bei Patienten mit Desobstruktion, bei
denen die
Mortalität bei 9 % lag [17].
Harnwegsinfektionen im Kindesalter
Harnwegsinfektionen im Säuglings- und Kleinkindesalter verlaufen oft mit unspezifischen
Symptomen
[18]. Beim Neugeborenen können Trinkschwäche, grau-blasses
Hautkolorit, Ikterus und Berührungsempfindlichkeit Symptome einer Pyelonephritis oder
einer
Urosepsis sein. Säuglinge fallen oft nur durch hohes Fieber auf.
Eine Pyelonephritis bzw. Urosepsis macht sich bei Säuglingen oft nur durch hohes Fieber
bemerkbar.
Checkliste
Mögliche Symptome einer Pyelonephritis/Urosepsis bei Neugeborenen
Für die exakte mikrobiologische Diagnose ist die Art der Uringewinnung entscheidend.
Sie sollte im
Säuglingsalter durch eine suprapubische Blasenpunktion oder bei Mädchen über einen
transurethralen
Einmalkatheter erfolgen. Insbesondere ist dies dann notwendig, wenn die Einleitung
einer
antibakteriellen Therapie aus klinischen Gründen dringlich erscheint. Das Erregerspektrum
ist
altersabhängig. Bei Säuglingen finden sich z. B. häufiger Enterokokken als bei älteren
Kindern. Die
kalkulierte Therapie, v. a. bei Pyelonephritis, besteht bei jungen Säuglingen beispielsweise
aus der
Kombination eines Cephalosporins der Gruppe 3a oder eines Aminoglykosids mit Ampicillin.
Ab dem
Kleinkindesalter kann bei unkomplizierter Pyelonephritis eine perorale Behandlung
mit einem
Cephalosporin der 3. Generation durchgeführt werden. Zum Ausschluss von Nieren- oder
Harnwegsfehlbildungen wird bei erstmaliger Pyelonephritis eine sonografische Untersuchung
empfohlen.
Zum Ausschluss von Nieren- oder Harnwegsfehlbildungen wird bei Kindern bei erstmaliger
Pyelonephritis eine sonografische Untersuchung empfohlen.
Infektiöse Komplikationen nach transrektaler Prostatabiopsie
Die Prostatabiopsie stellt derzeit den Goldstandard der Diagnostik eines Prostatakarzinoms
dar.
Europaweit werden jährlich schätzungsweise 1 Mio. Prostatastanzbiopsien durchgeführt.
Die weltweit
am meisten angewandte Technik ist die transrektale Prostatastanzbiopsie unter Antibiotikaprophylaxe
mit Fluorchinolonen. In den letzten Jahren stieg jedoch die Rate an infektiösen Komplikationen
nach
transrektaler Prostatastanzbiopsie. Übereinstimmend finden sich in den Studien symptomatische
bzw.
fieberhafte HWI-Raten nach Prostatastanzbiopsie von ca. 4 %, die in den meisten Fällen,
je nach
Gesundheitssystem, auch zu einer Wiederaufnahme in das Krankenhaus geführt haben [19]–[21]. Risikofaktoren stellen z. B. eine
nicht behandelte Bakteriurie, eine bakterielle Prostatitis in der Anamnese sowie Harnblasensteine
dar. Der Hauptrisikofaktor sind Fluorchinolon-resistente, fäkale Bakterien, die bei
der
transrektalen Biopsie in die Blutbahn inokuliert werden. Das Risiko, dass Fluorchinolon-resistente
Bakterien in der fäkalen Flora vorhanden sind, ist signifikant erhöht, wenn in den
letzten 6 Monaten
entweder Fluorchinolone eingenommen wurden oder ein Auslandsaufenthalt in Ländern
mit hoher
Fluorchinolon-Resistenz stattfand. Aus diesem Grunde sollte anamnestisch nach stattgehabter
Therapie
mit Fluorchinolonen oder Auslandsreisen in Länder mit hoher Fluorchinolon-Resistenz
gefragt
werden.
Checkliste
Strategien zur Reduktion infektiöser Komplikationen nach transrektaler Prostatastanzbiopsie
-
genaue Indikation zur Prostatabiopsie
-
fäkale Antiobiotikaresistenztestung auf Fluorchinolone
-
perineale statt transrektaler Prostatastanzbiopsie
Nachgewiesene Strategien zur Reduktion infektiöser Komplikationen umfassen die genaue
Indikationsstellung zur Prostatabiopsie und damit eine Reduktion der Prostatastanzbiopsiefälle,
die
fäkale Antibiotikaresistenztestung auf Fluorchinolone mittels Selektivnährböden, sowie
die perineale
Prostatastanzbiopsie. Werden Fluorchinolon-resistente aerobe Bakterien im Enddarm
nachgewiesen,
wären mögliche alternative Antibiotikaregime, die jedoch bisher nicht gut untersucht
worden sind,
beispielsweise Trimethoprim/Sulfamethoxazol, intravenöse Cephalosporine der 3. Generation
oder
Acylaminopenicilline/Betalaktamasehemmer. Bei Infektionen nach transrektaler Prostatastanzbiopsie
ist im Falle einer vorausgegangenen Gabe von Fluorchinolonen, z. B. zur Prophylaxe
bei der
Prostatastanzbiopsie, die Wahrscheinlichkeit, dass die aktuelle Infektion durch einen
Fluorchinolon-resistenten Erreger verursacht wird, signifikant erhöht. Zur empirischen
Therapie
sollte deswegen in dieser Situation kein Fluorchinolon eingesetzt werden.
Ausblick
Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen und sind damit
auch für einen
Großteil der Antibiotikaverschreibungen verantwortlich. Durch den demografischen Wandel
bedingt werden
insbesondere komplizierte, katheterassoziierte HWI in der Zukunft noch an Häufigkeit
zunehmen. Der
nachhaltige, verantwortungsvolle Umgang mit Antibiotika wird einer der wesentlichen
Bausteine sein, um
auch in Zukunft noch wirksame Antibiotika zur Verfügung zu haben.