PPH 2014; 20(01): 50-51
DOI: 10.1055/s-0033-1363932
DFPP-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege

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Ruth C Ahrens
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Publication Date:
24 January 2014 (online)

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Pflege braucht eine Sprache – und Sprecher

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Ruth C. Ahrens Präsidentin der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege

Vor kurzem äußerte sich eine Kollegin kritisch darüber, dass im Programm einer Pflegefachtagung Anglizismen verwendet würden. Es ging um Begriffe wie „Empowerment“, „Recovery“, „EX-IN“, „Raising Hope” und „Gender Mental Health Care“ (die beiden letzten Konzepte wurden nicht in Amerika entwickelt, sondern in Deutschland). Ihre Mitarbeiter, berichtete die Kollegin, bräuchten ein Wörterbuch, da sie sich unter den Begriffen trotz Englischkenntnissen nichts vorstellen könnten. Für die Tagung wünschte sie sich, „interessante Inhalte auch verständlich an die Basis zu bringen“.

Das ist eine interessante Fragestellung. Brauchen wir deutsche Begriffe in der Pflege? Und wenn ja, warum?

Wieso schaffen wir es spielend, einen Alltag zu bewältigen, in dem wir nach dem Joggen Shampoo benutzen, Anti-Aging-Creme verwenden, Make-up auflegen, den Babysitter bestellen, Fashion shoppen oder einen Computer-Crashkurs machen, bevor wir in ein Meeting mit dem Boss gehen. Wir rufen online E-Mails ab, suchen Websites auf und vertilgen vielleicht nebenher ein Sandwich.

Sind Anglizismen für die Wichtigkeit und Effizienz des Alltags hinderlich? Eher nicht. Ist es eine für uns verständliche Sprache? Überwiegend ja.

Es gibt eine Reihe deutscher Wörter die im Englischen verwendet werden (über Bratwurst, Brezel und Hamburger hinaus). Es sind Begriffe wie Gestalt, Schwerpunkt, Weltschmerz, verloren, Doppelgänger, Weltpolitik, Mitteleuropa, Zeitgeist, Gedankenexperiment, Waldsterben, Schadenfreude, Nacht und Nebel, Mittelstand usw. Aus einem simplen Grund bleiben Begriffe in der Originalsprache: Übersetzungen beschreiben den Begriff nicht korrekt. Engländer erwarten übrigens keine Übersetzung.

Ich selbst habe an einer Universität in Großbritannien studiert. Dort habe ich etwas Wesentliches begriffen: Eine Sprache lernt man nur, indem man sie spricht. Ich las damals einen kleinen Artikel meines Professors für Pflegewissenschaft, Francis Biley. Der Beitrag „wordly wise“ beschäftigte sich mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten, welche Pflegetheoretiker einsetzen, um ähnliche Sachverhalte zu benennen. Biley argumentierte, dass eine Benennung immer eine Sache des Autors ist, nicht des Lesers. Nur der Autor wisse wirklich, was er ausdrücken möchte und es sei Aufgabe des Lesers bzw. der Pflegeperson an der Basis, sich dahin zu entwickeln, den Begriff zu verstehen. Als Lehrer folgte Biley dieser Haltung ebenso, er erwartete nicht, dass wir sein Verständnis von Pflege übernahmen, sondern ermutigte die Studenten dazu, ihr eigenes Verständnis zu entwickeln.

Brauchen wir eine deutsche Pflegefachsprache? Sollen wir wirklich Begriffe wie Adhärenz, Recovery, Empowerment, Caring usw. eindeutschen?

Ist es nicht die Verpflichtung der Pflegenden, die Begriffe zu verwenden, die Sachverhalte am präzisesten beschreiben? Natürlich braucht Pflege eine Sprache. Aber vor allem braucht sie Menschen, die diese Sprache sprechen. Bereits seit Jahren feststehende Begriffe einzudeutschen oder zu übersetzen, ist eine Möglichkeit, die wir in Deutschland seit Jahren in öffentlichen Medien verwenden – und das hat die Selbstverantwortung des Einzelnen nicht ersetzt: Sich mit Begrifflichkeiten auseinanderzusetzen und die Sprache selbst zu lernen.

Die Begriffe der psychiatrischen Pflegefachsprache stehen seit Jahren fest und dies aus gutem Grund: Sie beschreiben die Konzepte sehr präzise. Präzise Konzepte sind international vergleichbar. Sie lassen sich einfach beforschen, verbreiten und evaluieren. Wollen wir da wirklich einen Schritt zurück in „die für uns verständliche Sprache gehen“ oder werden wir einen Schritt vorausgehen und uns das notwendige Sprachverständnis aneignen, um uns mit Kollegen nicht nur national, sondern auch international verständigen zu können? Das ist keine Aufgabe allein für Pflegewissenschaftler, sondern gerade für Menschen an der Basis. Ich verstehe die Sehnsucht nach vertrauter Einfachheit, aber ich fürchte, das Rad lässt sich nicht zurückdrehen.

Eine Sprache braucht vor allem eins: Menschen die sie sprechen. Die DFPP setzt sich aktiv dafür ein, Konzepte mit präzisen Begriffen zu verbreiten und den Pflegenden eine Sprache zu geben, welche die Bedeutung der Pflege weltweit nachvollziehbar macht. Pflegepersonen ermutigen die Patienten, selbstständig neue Wege zu gehen und alte Verhaltensweisen zu ändern, um sich aus Abhängigkeiten zu befreien. Das können wir dann doch sicher auch als Berufsgruppe? Let’s talk nursing!