Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD: Chronic Kidney Disease) entgleist
im Verlauf der fortschreitenden Niereninsuffizienz die Phosphathomöostase. Ab Stadium
4 der CKD entwickelt sich eine Hyperphosphatämie, die mit einer erhöhten kardiovaskulären
und Gesamtsterblichkeit assoziiert ist [
1
]. Pathophysiologisch spielen dabei eine direkte phosphatinduzierte Schädigung der
großen und kleinen Gefäße sowie ein sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT) eine
wesentliche Rolle. Darum sei in der Behandlung von Dialysepatienten die Serum-Phosphat-Kontrolle
von entscheidender Bedeutung, erklärte Prof. Alexander Rosenkranz von der klinischen
Abteilung für Nephrologie an der Medizinischen Universität Graz (Österreich): "Hinsichtlich
des Überlebens liegt der beste Bereich für das Serumphosphat bei 3,5–5,5 mg/dl beziehungsweise
1,1–1,8 mmol/l." Das hatten Floege et al. 2010 in einer Studie demonstriert [
2
].
Für das Phosphatmanagement stehen neben aluminium- und lanthanhaltigen Phosphatbindern
verschiedene kalziumhaltige und kalziumfreie Substanzen zur Verfügung. Rosenkranz
zufolge sind sie hinsichtlich der Phosphatreduktion vergleichbar wirksam. Während
kalziumhaltige Präparate aber über eine gesteigerte Kalziumaufnahme zu einer koronaren
Kalzifizierung führen können, die als Prädiktor für die Mortalität bei Dialysepatienten
angesehen wird [
3
], verlangsamen kalziumfreie Phosphatbinder den Kalzifizierungsprozess [
4
]. Eine aktuelle Übersichtsarbeit verschiedener randomisierter kontrollierter Studien
zeigte jetzt zudem, dass kalziumfreie gegenüber kalziumhaltigen Phosphatbindern einen
signifikanten Vorteil im Hinblick auf das klinische Outcome der Dialysepatienten haben
und mit einer um 22 % geringeren Mortalität assoziiert sind [
5
].
Colestilan mit weiter Phosphatbindungskapazität
"Als wirksame, neue, kalziumfreie Alternative erweitert jetzt Colestilan unser Armamentarium",
so Rosenkranz. Colestilan (BindRen®) – dargereicht als Filmtablette oder Granulat – bindet Phosphat und Gallensäuren
im Magen-Darm-Trakt. Es ist seit Anfang 2013 zugelassen zur Behandlung der Hyperphosphatämie
bei erwachsenen Patienten mit CKD-Stadium 5, die eine Hämo- oder Peritonealdialyse
erhalten. Der nicht metallische, polymerbasierte Anionenaustauscher wird gastrointestinal
nicht resorbiert und bleibt ohne Metall- oder Kalziumbelastung. Einen weiteren Vorteil
der Substanz sieht Rosenkranz in der weiten Phosphatbindungskapazität, die in einem
Bereich zwischen pH 3 und pH 11 konstant bleibt und ein Alleinstellungsmerkmal darstelle.
In Japan ist Colestilan bereits seit 1999 zur Lipidsenkung zugelassen und wurde seither
an über 1,6 Million Menschen angewendet.
Die phosphatbindende Wirksamkeit und Sicherheit von Colestilan wurde in 21 klinischen
Studien der Phase I–III getestet, darunter Studien mit über 1400 niereninsuffizienten
Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz und Hyperphosphatämie. Eine aktuelle
multizentrische randomisierte doppelblinde Phase-III-Studie, die erneut die Effektivität
des Phosphatbinders bei dialysepflichtigen Patienten in CKD-Stadium 5 nachwies, präsentierte
Rosenkranz [
6
]. Eingeschlossen wurden 642 Patienten, die sowohl unter einer Hyperphosphatämie mit
einem Serumphosphat von mehr als 6 mg/dl als auch unter einer Dyslipidämie litten.
Sie erhielten nach einer Wash-out-Phase randomisiert Colestilan in verschiedenen fixen
Dosierungen (täglich 3, 6, 9, 12, 15 g) oder Placebo.
Im Ergebnis zeigte sich gegenüber den Ausgangswerten eine dosisabhängige mittlere
Änderung des Serumphosphats bis Woche 12, die unter 12 g/d und 15 g/d Placebo signifikant
überlegen war: In dieser gepoolten Behandlungsgruppe konnte der Phosphatspiegel um
1,06 mg/dl reduziert werden. Unter 9 g/d beziehungsweise 6 g/d wurde eine Reduktion
um 0,87 mg/dl bzw. 0,72 mg/dl erreicht (Abb. [
1
]).
Abb. 1 Colestilan senkt dosisabhängig den Serum-Phosphat-Spiegel signifikant. nach [
6
]
LOCF = Last Observation Carried Forward
"In der Praxis werden aber keine fixen Dosierungen verwendet, sondern es wird bis
zum Erreichen eines Zielwerts von 5,5 mg/dl titriert", erklärte Rosenkranz und stellte
im Weiteren die Ergebnisse entsprechender Studien vor. In einer Untersuchung von Hertel
und Mitarbeitern [
7
] erhielten 200 Patienten in CKD-Stadium 5 nach der Auswaschphase eine Startdosis
von 6 g/d Colestilan über 3 Wochen. Im Anschluss konnte die Dosis im wöchentlichen
Abstand um 3 g/d nach oben bis maximal 15 g/d oder unten angepasst werden. Es konnte
bis Woche 12 eine klinisch relevante Senkung des Serumphosphats auf unter 6 mg/dl
erreicht werden. An diese Dosistitrationsphase schloss sich eine doppelt verblindete
placebokontrollierte Entzugsphase von
4 Wochen an. Dabei zeigte sich in der Verumgruppe ein klinisch und statistisch signifikanter
Unterschied zu Placebo: Unter weiterer Verumtherapie reduzierte sich das Serumphosphat
auf 5,7 mg/dl, unter Placebo stieg der mittlere Wert auf 6,9 mg/dl.
Im Head-to-Head-Vergleich ebenso wirksam wie Sevelamer
Daten zur Langzeitwirkung von Colestilan erhob eine Studie [
8
] mit 100 Patienten im CKD-Stadium 5 und Hyperphosphatämie, in der die Dosis nach
Auswaschen nach dem gleichen Schema im 2-wöchigen Abstand bis Woche 12 und danach
im 4-wöchigem Abstand angepasst werden konnte. Das Ergebnis: Von der Baseline 6,99
mg/dl konnte das Serumphosphat anhaltend gesenkt werden und erreichte bis Woche 52
einen Wert von 5,63 mg/dl. In einem direkten Vergleich [
9
] zeigte Colestilan hinsichtlich der Absenkung des Phosphatspiegels eine vergleichbare
Wirkung wie der kalziumfreie Phosphatbinder Sevelamer. In dieser Studie wurden Colestilan
und Sevelamer über ein Jahr verglichen. Dabei reduzierten beide Behandlungsarme das
Serumphosphat signifikant gegenüber den jeweiligen Ausgangswerten. Der Anteil von
Patienten, die nach einem
Jahr Serum-Phosphat-Spiegel von unter 5,5 mg/dl erreichten, war für beide Arzneistoffe
vergleichbar.
Da Colestilan im Magen-Darm-Trakt nicht absorbiert werde, komme es bei der Einnahme
vor allem zu gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen, erklärte Rosenkranz zur Verträglichkeit
des Phosphatbinders. Am häufigsten waren Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie und Diarrhö,
die aber vorwiegend von leichter bis mittlerer Intensität waren. Als schwerwiegende
Nebenwirkung traten in der Studie von Locatelli [
6
] bei 3 Patienten gastrointestinale Blutungen auf – davon
2 in einem möglichen kausalen Zusammenhang mit der Medikation, alle jedoch ohne Folgeschäden.
Bei fettlöslichen Vitaminen und Folsäure könne es laut Rosenkranz zu einer reduzierten
Absorption kommen, die jedoch in keiner der Studien in klinisch relevantem Ausmaß
beobachtet wurde.
Pleiotrope Wirkungen auf Stoffwechselparameter
In den vorgestellten Studien zeigten sich über den phosphatbindungsabhängigen Effekt
hinaus auch -unabhängige pleiotrope Effekte, über die Prof. Christoph Wanner von der
Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität Würzburg berichtete. So reduziert
der Phosphatbinder auch die in den Studien als Koparameter gemessenen Werte für das
LDL-Cholesterin und Gesamtcholesterin, für die Serumglukose und das HbA1c bei Diabetikern sowie die Harnsäure.
Wanner et al. untersuchten in einer eigenen Studie [
10
] die Wirkung von Colestilan (täglich 3–12 g) im direkten Vergleich mit Simvastatin
(täglich 10–40 mg) auf das LDL-Cholesterin (LDL-C) an 260 Patienten mit LDL-C-Werten
von mindestens 100 mg/dl. Am Ende der direkten Vergleichsphase (Woche 16) zeigten
beide Substanzen eine vergleichbare Wirkung: Das LDL-C war von im Mittel über 130
mg/dl auf 97 mg/dl beziehungsweise 98 mg/dl gesunken (Reduktion um 27,4 % bzw. 27,5
%). Die mittlere Dosis von Colestilan war 5,26 g/d, von Simvastatin 19,4 mg/d. In
der anschließenden placebokontrollierten Absetzphase bis Woche 20 blieben die Werte
in beiden Verumarmen konstant, während sie im Placeboarm wieder auf das Ausgangsniveau
zurückkehrten.
Die Wirkung auf die Nüchternglukose und das HbA1c demonstrierten Yamakawa et al. bei 160 Typ-2-Diabetikern ohne Niereninsuffizienz.
Colestilan reduzierte den Glukosewert von 170 mg/dl bis Woche 12 um 22,1 mg/dl. Unter
Placebo stieg der Wert leicht an. Der HbA1c konnte in der Zeit von 8 % auf 7,3 % gesenkt werden. "Die Absenkung um 0,7 % entspricht
der Wirkung moderner Antidiabetika", kommentierte Wanner die Daten. In der Studie
von Hertel [
7
] war der Effekt auf den HbA1c mit Reduktion um 0,91 % noch höher. Bei Nichtdiabetikern blieb der Wert konstant
unter 6 %. Der mittlere Harnsäurespiegel verringerte sich in dieser Studie um etwa
50 µmol/l bei einem Ausgangswert von 400 µmol/l. Dass der Effekt auf den HbA1c über die Zeit bestehen bleibt, zeigten Senatore et al. in ihrer Langzeitstudie [
8
]: Bis Woche 52 reduzierte sich der Wert von 8,24 % zur Baseline auf 7,30 %. Auch
hier blieb das HbA1c bei Patienten ohne Diabetes konstant niedrig bei 5,6 %.
Fazit
Der neue metall- und kalziumfreie Phosphatbinder Colestilan ist anhaltend wirksam
in der Therapie der Hyperphosphatämie bei Dialysepatienten. Er bindet Phosphat gastrointestinal
in einem weiten pH-Bereich und ist bei vorwiegend lokalen Nebenwirkungen gut verträglich.
Neben der effektiven Phosphatsenkung entfaltet Colestilan pleiotrope Wirkungen und
reduziert relevante Stoffwechselparameter wie Cholesterin und Harnsäure, Blutzucker
und HbA1c.
Michael Koczorek, Bremen
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Mitsubishi Pharma Deutschland
GmbH, Düsseldorf.
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "BindRen® – Eine neue Therapieoption in der Hyperphosphatämie", 07.10.2013, veranstaltet von
der Mitsubishi Pharma Deutschland GmbH, Düsseldorf, auf der 5. Jahrestagung der DGfN,
Berlin.
Der Autor ist freier Journalist.