Zeitschrift für Palliativmedizin 2014; 15(3): 104
DOI: 10.1055/s-0033-1362467
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Editorial

Traugott Roser
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Publication Date:
16 May 2014 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Multiprosessionalität heißt: Fähigkeiten schätzen – Grenzen erkennen – Miteinander suchen. Eine Fallbesprechung in einem Seniorenwohnstift: Der BMI einer Bewohnerin ist auf knapp 20 gesunken, sie wirkt depressiv und apathisch. Die teilnehmenden Mitarbeiter arbeiten in allen Bereichen des Hauses. Jeder soll zunächst sagen, für welchen der 4 Bereiche – physisch, psychisch, sozial, spirituell – er sich zuständig fühlt. Am Ende haben sich zwei Drittel für soziale Bedürfnisse entschieden. Knapp ein Drittel votiert für psychische Aspekte: Selbst die Pflege findet, das „Psychische“ sei ihr Zuständigkeitsbereich: „Wir lassen uns nicht gern auf Körperliches reduzieren“.

Der ganzheitliche Ansatz ist eine gute Grundhaltung. Wenn aber alle für das Gleiche zuständig sind, ist am Ende niemand mehr für irgendwas zuständig. So bei der Bewohnerin, um die es im konkreten Fall geht: alle diskutieren über ihre depressive Stimmung und ihre soziale Isolation. Erst das genaue Nachfragen nach den körperlichen Einschränkungen, bedingt durch Altersbeschwerden und ein Kolonkarzinom, lässt ahnen, dass Gespräche allein der Frau nicht helfen. Die Achtsamkeit dafür, was es heißt, in diesem geschwächten und schmerzenden Körper leben zu müssen, eröffnet eine konkrete Behandlungsoption: wie gut, dass im Haus ein Physiotherapeut praktiziert.

Aus den engagiert geschriebenen Perspektiven von Peter Nieland können auch andere Berufsgruppen lernen, wie wichtig es ist, dass jemand für das Körperliche zuständig ist. Ein Herz, zwei Hände und eine Haltung für Körperliches zu haben, reduziert nicht, sondern wirkt sich auf alles andere aus.

Gute Lektüre wünscht

Ihr Traugott Roser