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DOI: 10.1055/s-0033-1361101
Mehrsprachigkeit als Herausforderung für die Sprachdiagnostik
Multilingualism as a Challenge for Language AssessmentPublikationsverlauf
Publikationsdatum:
11. Dezember 2013 (online)





Mehrsprachigkeit ist seit mehr als 10 Jahren ein prominentes Thema im Kontext nationaler und internationaler Studien zum Bildungs- und Schulerfolg von Kindern. Dabei sind Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, immer wieder in den leistungsschwächeren Gruppen überproportional vertreten. In Bezug auf die Messung der sprachlichen Leistungen diskutiert man schon lange, dass man einerseits bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern zusätzliche Faktoren wie z. B. den Erwerbsbeginn für die Zweitsprache Deutsch berücksichtigen müss, während andererseits auch immer wieder darauf hingewiesen wird, dass das Erreichen eines bestimmten Leistungsstands eine notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Schulbesuch und für das Gelingen von Bildungsprozessen sei. Beides ist richtig.
Der zweite Punkt führt unmittelbar zu der Forderung, dass besonders der Erwerb von Deutsch als Zweitsprache früh unterstützt werden sollte. Diese Forderung haben Bund und Länder als ihre Aufgabe angenommen. Sprachliche Bildung und Sprachförderung sind in die Bildungspläne der Länder aufgenommen und in der Umsetzung in den Kitas sowohl für ein- als auch mehrsprachig aufwachsende Kinder selbstverständlich geworden. So geht es heute nicht mehr um die Frage, ob sprachliche Bildung und Sprachförderung notwendig sind, sondern wie sie umgesetzt werden. Hierbei rückt immer mehr auch die Frage nach der Qualität von Sprachfördermaßnahmen in den Fokus – insbesondere die Frage, über welche Qualifikationen das pädagogische Fachpersonal verfügen muss, um professionell und effektiv sprachfördernd handeln zu können.
Eine notwendige Voraussetzung und Basis für jegliche Sprachförderung ist die Erfassung des individuellen Sprachentwicklungsstands eines Kindes. Bei mehrsprachigen Kindern müssen dafür in Bezug auf die zweite Sprache Deutsch besondere Aspekte wie Erwerbsbeginn und Erwerbsdauer sowie auch Besonderheiten im Erwerbsverlauf berücksichtigt werden. So sind als Grundlage für die Ermittlung und Bewertung des individuellen Leistungsstands in der Sprache Deutsch umfangreiche Informationen über den kindlichen Zweitspracherwerb des Deutschen notwendig. Tatsächlich ist in den letzten 10 Jahren – nach einem Forschungsschwerpunkt in den 1980er und frühen 1990er Jahren – die Zahl der Studien zum kindlichen Zweitspracherwerb sowohl national als auch international deutlich gestiegen. Der Beitrag von Ruberg fasst die relevanten Ergebnisse zum frühen kindlichen Zweitspracherwerb zusammen und zeigt auf, in welchen Bereichen sich der Erwerb des Deutschen als zweite Sprache vom Erwerb als Erstsprache unterscheidet.
Eng damit verknüpft ist die Einsicht, dass eine gezielte Erhebung des Sprachstands in der Zweitsprache Deutsch mit standardisierten Verfahren, die für Deutsch als erste Sprache normiert sind, nicht bzw. nur eingeschränkt möglich ist. Diesem Fragenkomplex zur Diagnostik in der Zweitsprache Deutsch widmet sich der Artikel von Schulz, in dem auch das Verfahren LiSe-DaZ vorgestellt wird. LiSe-DaZ ist ein Sprachtest, der sowohl für ein-, wie auch für mehrsprachige Kinder normiert ist.
Der Beitrag von Rothweiler widmet sich grundlegenden diagnostischen Fragen aus der sprachtherapeutischen Praxis: Wie prägt sich eine spezifische Sprachentwicklungsstörung bei mehrsprachigen Kindern in der Zweitsprache aus? Wie unterscheidet man Besonderheiten des Zweitspracherwerbs von Problemen im Erwerb der zweiten Sprache und diese wiederum von einer genuinen Sprachentwicklungsstörung?
Zur Bewertung des Spracherwerbs eines mehrsprachig aufwachsenden Kindes gehört die Erfassung des Leistungsstands in all seinen Sprachen, nicht nur im Deutschen. An dieser Stelle eröffnet sich ein neues Problemfeld, das neben der für viele Sprachen noch in den Anfängen stehenden Erwerbsforschung auch ganz praktische Aspekte umfasst, bspw. wer mit welchen Verfahren den Erwerbsstand in der Erstsprache feststellen kann. Dass eine zuverlässige Erfassung produktiver Fähigkeiten in der Erstsprache durch Sprachtherapeuten und Sprachpädagogen, die diese Sprache nicht beherrschen, nicht möglich ist – unabhängig davon, welches Instrument eingesetzt wird – versteht sich eigentlich von selbst. Der Beitrag von Gagarina diskutiert, welche Aspekte darüber hinaus bei einer Erstsprachüberprüfung zu berücksichtigen sind. Es wird deutlich, dass sich der Erwerb der Erstsprache im Migrationskontext vom Erwerb im Herkunftsland unterscheidet bzw. unterscheiden kann und oft unvollständig bleibt, sodass auch die Förderung der Erstsprache wichtig werden kann. Der von Gagarina vorgestellte Test zur Sprachstandsmessung im Russischen berücksichtigt einige dieser Faktoren.