Der Klinikarzt 2013; 42(10): 480-481
DOI: 10.1055/s-0033-1360544
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Akutes Koronarsyndrom – Ticagrelor zeigt hohe Effektivität bei STEMI, NSTEMI und instabiler Angina pectoris

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Publication Date:
12 November 2013 (online)

 
 

Unter dem Begriff akutes Koronarsyndrom (acute coronary syndrome, ACS) werden die Phasen der koronaren Herzerkrankung zusammengefasst, die unmittelbar lebensbedrohlich sind. In der klinischen Praxis sind dies die instabile Angina pectoris (IA), der Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und der ST-Hebungsinfarkt (STEMI). Diese Erkrankungen sind nicht selten – im Gegenteil: Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind koronare Herzkrankheiten weltweit nach wie vor die Todesursache Nummer 1 [ 1 ].

Allein in Deutschland starben 2011 mehr als 120 000 Menschen an koronaren Durchblutungsstörungen [ 2 ]. Eine Untersuchung verdeutlicht die Zahlen noch einmal: Demnach werden in deutschen Krankenhäusern jährlich 400 000 Patienten wegen eines akuten Koronarsyndroms behandelt. Etwa 80 % davon kommen nach einem Herzinfarkt und 20 % mit einer instabilen Angina pectoris in die Klinik [ 3 ]. Damit verursacht das akute Koronarsyndrom die meisten herzbezogenen Krankenhausaufenthalte. Zudem ist das Risiko für einen weiteren und potenziell tödlichen Anfall nach einem ersten Herzinfarkt sehr hoch [ 4 ]. Zur Sekundärprävention ist daher eine eff ektive und langfristige Behandlung erforderlich.

Signifikant verringerte kardiovaskuläre Mortalität

Mit Ticagrelor (Brilique®) steht seit Januar 2011 ein oraler Thrombozytenaggregationshemmer zur Verfügung, der in der Zulassungsstudie PLATO[ 1 ] sowohl die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse als auch die kardiovaskuläre Mortalität signifikant stärker senkte als Clopidogrel [ 5 ]. Der orale Thrombozytenaggregationshemmer ist für alle Formen des akuten Koronarsyndroms zugelassen und kann sowohl bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) eingesetzt werden, die rein medikamentös behandelt werden, als auch bei Patienten, bei denen eine perkutane Koronararterienintervention (PCI) und/oder eine Koronararterienbypass-Operation (CABG) vorgenommen wird [ 6 ]. In der PLATO-Studie wurde die Therapie mit Ticagrelor (2-mal täglich 90 mg, Initialdosis 180 mg) mit Clopidogrel (1-mal täglich 75 mg, Initialdosis 300 oder 600 mg) bei mehr als 18 600 Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten hatten oder an instabiler Angina erkrankt waren, verglichen. Zusätzlich nahmen die Patienten Azetylsalizylsäure (ASS) ein. Sie wurden bis zu 1 Jahr lang behandelt. In der Studie konnte gezeigt werden, dass der primäre Endpunkt, das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses (zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Todesfall, Myokardinfarkt oder Schlaganfall), unter Ticagrelor signifikant stärker gesenkt wurde als unter der Therapie mit Clopidogrel (9,8 versus 11,7 %, p < 0,001) [ 5 ]. Die relative Risikoreduktion betrug 16 %. Die Substanz ist der erste orale Thrombozytenaggregationshemmer, der die kardiovaskuläre Sterblichkeit von ACS-Patienten im Vergleich zu Clopidogrel in einer kontrollierten klinischen Studie signifikant senken konnte (4,0 versus 5,1 %, p = 0,001). Die relative Risikoreduktion der kardiovaskulären Mortalität lag in PLATO bei 21 % (Abb. [ 1 ]) [ 5 ]. In der Subgruppe der Patienten, die maximal 150 mg Azetylsalizylsäure eingenommen hatten, lag die relative Risikoreduktion sogar bei 29 % (absolute Risikoreduktion 1,3 %; p < 0,0001) (Tab. [ 1 ]).

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Abb. 1 Signifikant stärkere Senkung der kardiovaskulären Mortalität durch Ticagrelor (nach [ 1 ]).
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Tab. 1 Resultate der PLATO-Studie im Überblick und bezogen auf Subgruppen (nach [ 13 ]).

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Effekt in allen Subgruppen ausgeprägt

Vorteile zeigte Ticagrelor auch bei den sekundären Endpunkten (Tab. [ 1 ]). So traten Myokardinfarkte allein in 5,4 % der Fälle auf, im Clopidogrelarm waren 6,4 % der Patienten davon betroff en. Verstarben unter Ticagrelor 3,8 % der Patienten aufgrund kardiovaskulärer oder zerebrovaskulärer Ursachen, waren dies unter Clopidogrel 4,8 % [ 6 ]. Auch bei Patienten mit Nicht-ST-Hebungsinfarkt und instabiler Angina pectoris wies Ticagrelor eine signifikant höhere Wirksamkeit als der Komparator auf: Die Inzidenz des kombinierten primären Studienendpunkts sank Daten einer Subgruppenanalyse mit mehr als 11 000 Studienteilnehmern zufolge signifikant um relative 17 % (10,0 vs. 12,3 %, p = 0,001) [ 7 ].

Darüber hinaus führte Ticagrelor in der Subgruppe der STEMI-Patienten zu einer relativen Risikoreduktion des primären Endpunkts um 13 % [ 8 ]. Sogar noch effektiver war die Therapie mit Ticagrelor bei STEMI-Patienten, die ASS in niedriger Dosierung erhielten: Die relative Rate des kombinierten primären Endpunkts sank bei diesen Patienten im Vergleich zu Clopidogrel signifikant um 28 % (6,2 vs. 8,5 %; HR 0,72; p = 0,0007) [ 13 ]. Auch beim sekundären Wirksamkeitsendpunkt kardiovaskulär-bedingter Tod zeigte sich in dieser Patientengruppe ein Vorteil für Ticagrelor: Die relative Risikoreduktion betrug hier 27 % (Tab. [ 1 ]).


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Weniger Stentthrombosen – unabhängig vom Stenttyp

Bei 60,6 % der Patienten wurden vor Studienbeginn bzw. im Studienverlauf ein oder mehrere Stents implantiert. Auch in diesem Patientenkollektiv verhindert Ticagrelor Thrombosen wirkungsvoller als Clopidogrel [ 9 ]: Unter der Kombinationstherapie von Ticagrelor und ASS sank das Risiko für eindeutige Stentthrombosen im Vergleich zu Clopidogrel plus ASS signifikant (1,37 vs. 1,93 %, HR 0,67, p = 0,009) – und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen STEMI oder einen NSTEMI handelte sowie unabhängig vom eingesetzten Stenttypen (mit Medikamenten beschichtete oder unbeschichtete Stents). Zudem verminderte Ticagrelor in PLATO das Risiko bedeutender erster (HR = 0,84, p < 0,001) und nachfolgender klinischer Ereignisse (HR = 0,80, p < 0,001) sowie deren Gesamtzahl [ 10 ].

Zusatznutzen bestätigt

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 15. Dezember 2011 als Abschluss der frühen Nutzenbewertung von Ticagrelor nach § 35a SGB V einen Beschluss veröffentlicht, in dem für Ticagrelor ein Zusatznutzen für folgende Indikationen anerkannt wurde:

  • beträchtlicher Zusatznutzen bei Patienten mit NSTEMI und instabiler Angina pectoris,

  • nicht quantifizierbarer Zusatznutzen bei STEMI-Patienten mit perkutaner Koronarintervention (PCI), die einen ischämischen Schlaganfall oder eine transitorische ischämische Attacke hatten oder älter als 75 Jahre sind und nicht für eine Behandlung mit Prasugrel in Frage kommen.

Für die folgenden Patientengruppen konnte kein Zusatznutzen festgestellt werden:

  • STEMI-Patienten, die eine PCI erhielten (mit Ausnahme der oben genannten),

  • STEMI-Patienten, die einen Bypass erhielten,

  • STEMI-Patienten, die medikamentös behandelt wurden.

Ticagrelor gilt nach § 106 Abs. 5a SGB V in den Indikationen, in denen der G-BA dem Wirkstoff einen Zusatznutzen zugesprochen hat, als Praxisbesonderheit [ 13 ]. Die Verordnung dieser Substanz wird im Falle einer Richtgrößenprüfung aus dem Praxisbudget herausgerechnet. Es gibt keine Erstattungsausschlüsse für Ticagrelor.


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Anwendbar bei einem breiten Patientenspektrum

Letztlich waren die Daten der PLATO-Studie auch ausschlaggebend für die Empfehlung der Kombinationstherapie aus Ticagrelor plus ASS für alle Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom – unabhängig von der Behandlungsstrategie und einer Clopidogrelvorbehandlung – in den Leitlinien der "European Society of Cardiology" (ESC) mit einem Evidenzgrad IB [ 11 ], [ 12 ]. Die Einnahme der Substanz soll mit einer Initialdosis von 180 mg begonnen und dann mit 90 mg 2-mal täglich fortgesetzt werden. Es wird empfohlen, die Therapie wenn möglich bis zu 12 Monate fortzuführen [ 6 ].

Mit Ticagrelor behandelte Patienten zeigten in PLATO häufiger leichte Blutungen wie Nasenbluten oder Hämatome sowie ein erhöhtes Risiko für schwere Blutungen, die nicht auf eine koronare Bypassoperation zurückzuführen waren. Die Gesamtzahl der schweren Blutungen unter Ticagrelor war jedoch nicht häufiger als unter Clopidogrel (11,6 vs. 11,2 %, p = 0,43). Zu den Nebenwirkungen von Ticagrelor gehören Dyspnoe und bradykarde Ereignisse [ 5 ].

Bettina Reich, Hamburg

Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung der AstraZeneca GmbH, Wedel.
Die Autorin ist freie Journalistin.


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1 Platelet Inhibition and Patient Outcomes




 
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Abb. 1 Signifikant stärkere Senkung der kardiovaskulären Mortalität durch Ticagrelor (nach [ 1 ]).
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Tab. 1 Resultate der PLATO-Studie im Überblick und bezogen auf Subgruppen (nach [ 13 ]).