Kontra
Immerhin, das Betreuungsrecht (BtG), wird als sinnvoll angesehen. Wenn mit mangelhafter
Realisierung die Betreuungspraxis gemeint ist, ist die Bewertung bitter. Nun lässt
sich aus Sicht der Betreuungspraxis Ähnliches über die Psychiatrie und die psychiatrische
Praxis feststellen: Psychiatrie ist sinnvoll, die Ausführung häufig mangelhaft.
Es bei dieser gegenseitigen, wenig differenzierten Beurteilung zu belassen, wäre aber
nicht nur falsch, sondern auch fahrlässig den Menschen gegenüber, die zu einem hohen
Prozentsatz sowohl auf Betreuung als auch auf eine psychiatrische Versorgung angewiesen
sind und häufig auch auf deren Zusammenarbeit. Deswegen sollte es um Differenzierung
und gemeinsamer Problembearbeitung und nicht um gegenseitige Verurteilung gehen. Wissen
bietet sich in der Regel als Grundlage für Verständnis und Zusammenarbeit an. Dabei
gehe ich davon aus, dass die Aufgabenstellung der Psychiatrie mehr bekannt ist als
die der Betreuung.
Betreuungsrecht sinnvoll
Wie sollte es anders sein: Auch wir halten das BtG für sinnvoll, obwohl wir gerade
vor dem Hintergrund der Behindertenrechtskonvention (BRK) einen erheblichen Reformbedarf
feststellen. Bleiben wir aber beim gültigen Recht.
Sinnvoll ist, dass ein „Volljähriger (der) aufgrund einer psychischen Krankheit oder
einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz
oder teilweise nicht besorgen (§ 1896 BGB)“ kann, durch die Betreuung eine Unterstützung
erhält.
Die große Schnittmenge von zu psychiatrischen PatientInnen und BetreuungsklientInnen
erfordert eine Arbeitsbeziehung zwischen Psychiatrie und Betreuung, die häufig durch
gegenseitige unerfüllbare Erwartungen belastet wird. Im Betreuungsrecht (BtG) heißt
es zur Aufgabenstellung: „Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu
besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl (…) gehört auch die Möglichkeit,
im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen
zu gestalten. (…) Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies
dessen Wohl nicht zuwiderläuft (…). Der Betreuer (hat) dazu beizutragen, dass Möglichkeiten
genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 1901, 2 und 3 BGB).“
Angelegenheiten, so definieren wir aus fachlicher Sicht, sind wunsch- und wohlbegründete
Anliegen und Probleme, die von der KlientIn nicht mehr erkannt oder deren Sinn ganz
oder teilweise nicht verstanden wird und keine entsprechende Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeit
besteht.
Wir stehen also nur auf der subjektiven Seite der KlientInnen. Wir nennen unsere Tätigkeit Besorgungsleistung.
Damit erhalten KlientInnen eine jeweils erforderliche Zurüstung zum Selbstmanagement
und zur Selbstverantwortung unter Berücksichtigung des Willens (Lebensentwurf) und
des Wohls. Dieser Prozess ist gemeinsame „Produktion von Wohlfahrt“. Das ist einer
medizinischen Behandlung ähnlich. Der Arzt ist auf die Mitwirkung des Patienten angewiesen.
Die Besorgungsleistung erfolgt in Abgrenzung zur Versorgungsleistung (klar definierten
Aufträge z. B. in der Pflege, pädagogischen Hilfen etc.). Die Besorgung bezieht sich
ggf. auf alle Lebensbereiche, also nicht nur auf die Behandlung.
Würde Betreuung allein als Instrument verstanden z. B. zur Durchsetzung eines ärztlichen
Behandlungsvorschlags auch gegen den Willen des Klienten, muss das zu Differenzen
in der Arbeitsbeziehung führen. Sinnvoll wäre eine Darstellung der Notwendigkeit der
Behandlung. Wir sind dann in der Lage im Austausch mit dem Klienten zum Selbstmanagement
und zur Selbstverantwortung ganz oder teilweise zuzurüsten, um zu einer akzeptierten
Behandlung zu kommen. Das ist der Sinn von Betreuung.
Ausführung mangelhaft
Damit zur Betreuungspraxis, die wie in der Überschrift signalisiert, als mangelhaft
empfunden wird. Betreuungspraxis ist die Leistung, die durch die BetreuerInnen (nicht
von Gerichten und Behörden) erbracht wird. Ein Vergleich: Würde von einer psychiatrischen
Versorgung erwartet, dass der Patient auch gepflegt oder seine Wohnung gereinigt wird,
was dann aber nicht erfolgt, geräte diese in ein schlechtes Licht, weil die Erwartung
nicht erfüllt würde.
Ähnlich verhält es sich mit der Betreuung. Beispiel: Der Nachbar ist zu laut. Es wird
erwartet, dass er „entmündigt“ und ins Heim gebracht wird. Es besteht gleichzeitig
die „negative Erwartung“, also Angst vor einer „Entmündigung“ durch die Betreuung
(Entmündigung ist seit 1992 nicht mehr möglich!). Oder: Die Vorstellung des Klienten
beim Psychiater wird als Pflicht verstanden. Diese Erwartungen kann nicht erfüllt
werden, obwohl aus fachlicher Sicht die erbrachte Betreuungsleistung gut ist.
Die Aufgabe der Betreuung besteht darin, die Wünsche der Menschen unter Beachtung
ihres Wohls umzusetzen und nicht, die Erwartungen Dritter zu erfüllen. Wir nennen
Betreuung deswegen Be- und nicht Entrechtung. Von daher kann die Beurteilung der Betreuungspraxis
als mangelhaft u. U. auf der Grundlage falscher Erwartungen und eines falschen Verständnisses
vom Sinn des Gesetzes erfolgt sein.
Zugegebenermaßen liegt die Beurteilung der Betreuung nicht allein an dem Missverständnis
gegenüber dem BtG und der Praxis. Es gibt mindestens zwei weitere Faktoren, die sich
im Prinzip auch in der psychiatrischen Praxis finden lassen: Die Berufsausübung erfolgt
unterschiedlich und die Rahmenbedingungen begrenzen die Qualität.
Ich bleibe bei den Rahmenbedingungen, da die Betrachtung einer individuellen Berufsausübung
in allen Berufen zumindest nur zum Teil als prinzipielles Problem betrachtet werden
kann.
Die Notwendigkeit der Anerkennung einer professionellen Betreuung wird mittlerweile
fast nur noch von der Regierung bestritten. Entwickelt ist ein Verfahren (Betreuungsmanagement).
Kenntnisse in vielen Bereichen – auch medizinische – sind vorzuhalten. Nach 20 Jahren
BtG ist das in einer Ausbildung (Master) zu gewährleisten. Die geforderte Qualität
und eine unabhängige Unterstützung und Vertretung von KlientInnen ist nur durch berufliche
Unabhängigkeit und in Selbstverwaltung zu sichern. Die Politik verweigert diese Grundlagen.
Und dabei verfügen fast alle Berufsinhaber in der Regel über Hochschulabschlüsse und
über Lebens- und Berufserfahrung.
Die materielle Absicherung der Berufsinhaber ist desaströs. Erwartungen an die Betreuung
sind häufig auch wegen der Zeitbemessung pro Fall (Pauschalen) von 3,2 Stunden im
Schnitt pro Monat pro Klient nicht erfüllbar. Darin enthalten sind Zeiten für die
aufsuchende Arbeit (Wege zum Klienten, zum Arzt usw.), Durchsetzung von Ansprüchen
gegenüber Verwaltung und Versicherung (immer mehr Klagen). Deswegen kollidiert z. B.
eine sinnvolle Begleitung in die psychiatrische Praxis (Sicherung des Zugangs zur
Behandlung) mit einer Wartezeit dort von 1 – 2 Stunden, plus An- und Abreise mit der
wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Denn auch über die Stundensätze von (in der höchsten
Stufe) 44 Euro pro Stunde ist keine Kompensation der geringen Zeitkontingente möglich.
Den Gesetzgeber – um auf das Betreuungsrecht zurückzukommen – interessiert das wenig.
Ausbildung, Qualitätssicherung und berufliche Selbstverwaltung, so wird befürchtet,
trägt zur Kostensteigerung bei. Spätestens im Zusammenhang mit der Anerkennung der
Behindertenrechtskonvention als geltendes Recht halten wir dieses Umgehen für skandalös.
Fazit
Das sinnvolle Betreuungsrecht, durch das der Volljährige, der seine Angelegenheiten
nicht besorgen kann, eine Unterstützung in Form einer Betreuung erhält, gerät vor
dem Hintergrund der Rahmenbedingung und eines Reformstaus immer mehr unter Druck.
Dem BtG und der Praxis droht damit eine Sinnentleerung.
Die Bewertung der Praxis als mangelhaft ist häufig mit Erwartungen konfrontiert, die
prinzipiell nicht erfüllbar sind. Und es bieten z. B. nicht vorhandene Zugangsvorausetzung
zum Beruf und eine fehlende Qualitätssicherung vielfältige Möglichkeiten für die Berufsausübung.
Es ist auch darauf zu verweisen, dass immer mehr die Psychiatrie betreffende Regelungen
in das BtG geschrieben werden und zu weiteren Belastungen/Erwartungen beitragen. Ich
nenne hier nur die Patientenverfügung und die Verpflichtungen im Zusammenhang bzgl.
der Zwangsmedikation. Betrachten wir auch noch die stationäre und ambulante psychiatrische
Versorgungssituation, ergibt sich eine schwierige Situation für PatientInnen und KlientInnen,
Psychiatrie und Betreuung, sodass sich aus meiner Sicht deutlich eher gemeinsame Kampffelder
entdecken lassen als mehr oder weniger schmeichelhafte Zuweisungen von Qualitätsprädikaten.