Zahnmedizin up2date 2015; 9(04): 329-352
DOI: 10.1055/s-0033-1358159
Kieferorthopädie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Durchbruchstörungen bleibender Zähne

Teil 1: Ursachen und Ausprägung
Juliane Dürwald
,
Chris Köbel
,
Karl-Heinz Dannhauer
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Publication Date:
22 July 2015 (online)

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Einleitung

Kenntnisse der physiologischen Gebissentwicklung und denkbare Abweichungen davon sind wichtige Voraussetzungen für die Beurteilung zahlreicher, auch schon im Milchgebiss auftretender Gebissfehlbildungen. Von der Geburt bis zum Erwachsenenalter unterliegt die menschliche Dentition zahlreichen Einflüssen.

Die morphologische und vertikale Entwicklung der Zähne von Milch- und permanentem Gebiss sowie das Entstehen der Zahnbögen werden definitionsgemäß als Dentition (lat. dentire = „zahnen“) bezeichnet. Das Gebiss des Menschen durchläuft 2 Dentitionen (Diphyodontie). Dabei bewegt sich der Zahnkeim vom Ort seiner Entstehung im Alveolarfortsatz zu seinem funktionellen Platz in der Mundhöhle [1]. Der Durchbruch der Zähne ist ein komplexer Vorgang und zeitlich auf das allgemeine Körperwachstum sowie die Größenverhältnisse von Kiefer und Gesichtsschädel abgestimmt. Bislang sind jedoch weder der Mechanismus noch beeinflussende Faktoren vollständig verstanden.

Definition

Dentition = morphologische und vertikale Entwicklung der Zähne von Milch- und permanentem Gebiss sowie das Entstehen der Zahnbögen.

Der Zahndurchbruch kann generell verfrüht (Dentitio praecox), zeitgerecht oder verspätet (Dentitio tarda) erfolgen. Eine Störung des physiologischen Zahndurchbruchs ist häufig lokal bedingt, wobei dabei meistens nur einzelne Zähne betroffen sein können. Auch bei Patienten mit systemischen oder syndromalen Erkrankungen können Verzögerungen sowie Störungen des Eruptionsweges einzelner, meist aber mehrerer Zähne auftreten. In sehr seltenen Fällen handelt sich um eine nicht syndromale primäre Durchbruchstörung, über die erstmals Proffit und Vig (1981) als Primary Failure of Eruption (PFE) berichteten [2].

Bei der Diagnosestellung „Durchbruchstörung“ spielt der Zahnarzt eine entscheidende Rolle, da er die betroffenen Patienten vielfach seit frühester Kindheit regelmäßig betreut. Klinisch und (familien-)anamnestisch können bereits Verdachtsmomente bestehen (Abb. [1]). Beim Hinweis auf eine Durchbruchstörung sollte die Vorstellung beim Kieferorthopäden initiiert werden.

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Abb. 1 Klinische Hinweise einer Durchbruchstörung. a 7-jähriger Junge mit Persistenz der Zähne 61, 62; Zahn 11 ist bereits durchgebrochen. Verdacht auf Durchbruchstörung des Zahnes 26. b Persistenz des 2. Milchmolaren im 3. Quadrant bei einer 13-jährigen Patientin mit Verdacht auf Aplasie des permanenten Nachfolgers in der lateralen Okklusionsansicht. c ausgeprägtes Diastema divergens bei einem 8 Jahre alten Mädchen mit Verdachtsdiagnose einer zusätzlichen Zahnanlage (Mesiodens) im Oberkiefer.

Merke: Ursachen eines gestörten Zahndurchbruchs können lokal bedingt an einzelnen Zähnen oder gehäuft bei syndromalen Erkrankungen auftreten. Sehr selten besteht die Möglichkeit einer primären Durchbruchstörung (PFE). Dem betreuenden Hauszahnarzt obliegt eine wichtige Rolle bei der Diagnosestellung „Durchbruchstörung“. Eine interdisziplinäre Therapieplanung mit dem Kieferorthopäden sollte grundsätzlich immer erwogen werden.

Klinische und anamnestische Hinweise auf eine Durchbruchstörung
  • Persistenz von Milchzähnen

  • seitenungleicher Durchbruch

  • Lücken bzw. Platzüberschuss im Zahnbogen

  • ausgeprägter Platzmangel bei Aufwanderung von Seitenzähnen

  • Dystopien und Lockerungen permanenter Zähne

  • sagittale und transversale Asymmetrien

  • Mittellinienverschiebungen

  • Durchbruchstörungen in der Familienanamnese

  • Traumata im Milch- und bleibenden Gebiss

  • Syndrome oder systemische Erkrankungen

Nachfolgend werden wichtige Aspekte von Störungen des physiologischen Zahnwechsels erläutert.