PPH 2013; 19(05): 280
DOI: 10.1055/s-0033-1357507
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Messies, ein schönes Chaos

Contributor(s):
Christoph Müller
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Publication Date:
24 September 2013 (online)

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(Schlütersche Verlagsanstalt)

Für das persönliche Umfeld ist das Messie-Syndrom ein Grauen. Für die betroffenen Menschen erscheint es immer wieder auch als Faszinosum. Der Film „Messies, ein schönes Chaos“ ist ein Dokumentarfilm der besonderen Art. Der Schweizer Filmemacher Ulrich Grossenbacher hat sich mit seiner Kamera auf die Spuren von vier Menschen gemacht, die ein Leben zwischen Genialität und Überforderung erleben.

Es ist Karl, der darauf stolz ist, dass er in seinem kultivierten Chaos immer wieder etwas findet, mit dem er Film-und Theaterproduktionen aus der Patsche hilft. Es ist aber auch Karl, der erleben muss, dass ihm seine Ehefrau Trudi nach vier Jahrzehnten die Pistole auf die Brust setzt und dem gemeinsamen Eheleben ein Ultimatum setzt. Es ist nicht nur so, dass die beiden im gemeinsamen Haus kaum noch einen Fuß voreinander bekommen. Durch das Versinken zwischen Gerümpel sind auch ihre sozialen Strukturen im Nichts verschwunden, selbst zu den eigenen Kindern.

Es sind jedoch nicht nur die ernsten Momente, die den Film „Messies, ein schönes Chaos“ prägen. Tragikomisch wirkt es, wenn Thomas inmitten seiner scheinbaren Verwahrlosung mit dem Trikot eines bekannten spanischen Fußballvereins umherläuft, auf dessen Rücken nur ein Name steht: „Messi.“ Absurd wirkt es aber auch, wenn Elmira, mit einem Lächeln im Gesicht, in ihrem Durcheinander äußert: „Irgendwie ist es wie beim Bergsteigen.“ Für den Zuschauer erscheint vieles, was der Film „Messies, ein schönes Chaos“ zeigt, befremdlich.

Doch schafft es der Filmemacher Ulrich Grossenbacher mit seiner Kamera, die Multidimensionalität der Verwahrlosung einzufangen. Es sind die Zeitungshaufen und Blechreste, die den Sinn für das Symbolische und das Zeichenhafte in den Bildern aufleben lassen. Genauso hat man den Eindruck, dass man in die Schuhe der Angehörigen schlüpft, wenn er typische Szenen wiedergibt, wenn zum Beispiel eine Frau das Gespräch mit dem Ehemann sucht.

Für den psychiatrischen Praktiker wird in dem Film „Messies, ein schönes Chaos“ deutlich, welche Ausmaße das Messie-Syndrom wirklich hat. Es ist nicht nur so, dass die Menschen ihre Wohnungen und Häuser bis an die Grenzen der Belastbarkeit vollstellen. Sie gehen so weit, dass sie sogar mehrere Scheunen mieten, um ihrer eigenen Leidenschaft (oder auch dem eigenen Leiden) gerecht zu werden. Es ist eine große Fähigkeit zur Empathie, die den Film „Messies, ein schönes Chaos“ auszeichnet. Es ist die Bereitschaft, sich auch auf die kleinen Situationen im Alltag einzulassen, wenn die Nachbarn im Treppenhaus abgepasst werden, um daraufhin das Chaos wieder anzupassen.

Spannend erscheint es auch, dem existentiellen Sinn des Messie-Alltags nachzusinnen. Wenn man sich dem liebevollen wie kritischen Blick Grossenbachers öffnet, stellen sich Fragen: Suchen die Messies ihre Identität im selbstgeschaffenen Krempel-Chaos? Suchen Sie den Sinn des Lebens, den Zeitgenossen beispielsweise in der Religion suchen? Oder ist es einfach nur die Freude am eigenen Flohmarkt? Schließlich hört man auch: „Bei mir im Haus ist es wie in einem Lexikon. Nur das Lexikon kann man nicht anfassen.“ Der Film „Messies, ein schönes Chaos“ macht ein Phänomen wirklich greifbarer.

Christoph Müller