Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81(12): 677-678
DOI: 10.1055/s-0033-1356119
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Beim Sterben helfen

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S. Lorenzl
1   Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum Großhadern der Universität München
2   Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin, Klinikum Großhadern der Universität München
,
M. Dieterich
1   Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum Großhadern der Universität München
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Publication Date:
04 December 2013 (online)

Der Begriff der Sterbehilfe ist sehr vieldeutig und im juristischen Sinne zu vage formuliert. Zudem ist er durch die Medien emotionalisiert und mit vielfachen Bildern verbunden; denken wir nur an Terri Shiavo aus den USA oder an Filme wie „Million Dollar Baby“. Die Unterscheidung der verschiedenen Formen der „Sterbehilfe“ führt daher immer wieder zu Unsicherheiten, wann eine lebenserhaltende Maßnahme abgebrochen werden darf und wann nicht. Insbesondere für die rechtliche Beurteilung ist die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe nach wie vor maßgeblich. Dabei wird in drei Kategorien unterschieden: Man spricht von einer passiven, einer indirekten sowie einer direkten (oder aktiven) Sterbehilfe. Die aktive Sterbehilfe bezeichnet das aktive Eingreifen in den Sterbeprozess mit der Zielsetzung, den Patienten auf seinen Wunsch hin zu töten. Dies ist in Deutschland nach dem Strafgesetzbuch (§ 216 StGB) verboten. Unter passiver Sterbehilfe versteht man das Unterlassen oder Abbrechen lebensverlängernder Behandlungsmaßnahmen und unter indirekter Sterbehilfe ist die Lebensverkürzung primär nicht intendiert, sondern wird als unbeabsichtigte Nebenfolge einer medizinisch notwendigen Behandlung (z. B. einer hochdosierten Schmerztherapie) in Kauf genommen. Die Durchführung leidenslindernder Maßnahmen ist dabei ethisch wie rechtlich gleichermaßen geboten.

Damit der mit diesen verschiedenen Begriffen verbundenen Verwirrung begegnet werden kann, empfiehlt der Nationale Ethikrat folgende begriffliche Unterscheidungen:

  1. Das Sterbenlassen eines Patienten durch Verzicht auf eine lebensverlängernde Behandlungsmaßnahme (passive Sterbehilfe)

  2. Durchführung indizierter Therapien am Lebensende, die möglicherweise den Sterbeprozess beschleunigen (indirekte Sterbehilfe)

  3. Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe, direkte Sterbehilfe, assistierter Suizid)

Der aktuelle Artikel von Kratz und Mitarb. [1] geht auf dieses wichtige Thema der Sterbehilfe bei Demenz ein, einer besonderen Situation, da die Fähigkeit, den eigenen Willen zu bilden und zu artikulieren, beeinträchtigt ist. Der Artikel versucht die Begriffe besser abzugrenzen, was lobenswert ist, aber leider nur teilweise gelingt. Erneut werden die Begriffe missverständlich eingesetzt, wenn von aktiven Handlungen durch das Beenden der künstlichen Ernährung gesprochen wird, wobei dies ganz klar unter dem Begriff „passive Sterbehilfe“ einzuordnen ist. Unverständlich wird der Artikel im Bereich der Abgrenzung direkter und indirekter Sterbehilfe, denn dort wird von einer „Parallelität“ von zeitlich primär patientengewollter direkter Sterbehilfe, dem Abbruch der kurativen Behandlung (ist eigentlich passive Sterbehilfe = Sterbenlassen) und der „Aufnahme palliativer Behandlung“ mit möglicherweise einhergehender Lebensverkürzung (Durchführung indizierter Therapien am Lebensende = indirekte Sterbehilfe) gesprochen.

Direkte und indirekte Sterbehilfe ist immer klar trennbar, sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich und natürlich auch in der Praxis. Die Therapiezieländerung, wie sie von den Autoren in diesem Abschnitt impliziert wird, weist weder eine zeitliche noch intentionale Parallelität zu therapeutischen Optionen auf. Eine palliative Versorgung ist gerade bei onkologischen oder neurodegenerativen Erkrankungen im Endstadium die logische Folge der Beendigung von Chemotherapien oder lebensverlängernden Maßnahmen.

In dem Fallbeispiel der dementen Frau wird ein wesentlicher Aspekt nicht abgehandelt, die medizinische Indikation. Durch die Anlage einer PEG wird die Erkrankung in keiner Weise therapiert, das Leben aber verlängert, bei gleichzeitig sinkender Lebensqualität. Die Anlage einer PEG bzw. deren weitere Benutzung ist bei Patienten, die nicht mehr selbständig dieser Maßnahme zustimmen können und ihren eigenen Willen nicht mehr äußern können, als Körperverletzung aufgrund einer Zwangsernährung zu werten. Für derartige Maßnahmen besteht keine medizinische Indika tion. Auf die in diesem Zusammenhang wichtige Möglichkeit von Vorausverfügungen hätte man noch deutlicher hinweisen können.

Zusammengefasst muss man sagen, dass in Bezug auf Entscheidungen am Lebensende die Rechtslage eindeutig ist. Wenn der aktuelle, voraus geäußerte oder mutmaßliche Wille des Patienten die Beendigung einer lebenserhaltenden Maßnahme ist, um sterben zu können, dann ist die Beendigung lebenserhaltender Substitutionen (inklusive künstlicher Hydrierung und Nutrition):

  • strafrechtlich zulässig und geboten (egal in welchem Krankheitsstadium), während eine Weiterbehandlung eine strafbare Körperverletzung darstellt (BGH 13.09.1994),

  • vormundschaftsrechtlich bei Dissens zwischen Arzt und Betreuer gerichtlich zu prüfen (BGH 17.3.2003),

  • zivilrechtlich gegen die Institution erzwingbar und als Unterlassungsanspruch einklagbar (BGH 8.6.2005).

Es geht aus diesen BGH-Urteilen hervor, dass strafrechtliche Risiken bei Demenz, insbesondere in der dargestellten Kasuistik, nicht gegeben sind. Bei fehlender medizinischer Indikation sind Eingriffe an Menschen, die sich nicht äußern können und die von Lebensqualität nicht profitieren, sondern bei denen das Leiden nur verlängert wird, als Körperverletzung zu werten. Die palliative Medizin lindert das Leiden und schließt dabei nicht aus, dass in Einzelfällen die Anlage einer PEG eine sinnvolle Maßnahme ist. Dies muss allerdings jeweils medizinisch überprüft werden (medizinische Indikation!).

Wir hoffen, noch etwas mehr Klarheit in die schwierigen Begriffsbestimmung beim Thema Sterbehilfe gebracht zu haben – ein Thema, mit dem wir bei der immer älter werdenden Bevölkerung immer häufiger konfrontiert werden.

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PD. Dr. S. Lorenzl
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Prof. Dr. M. Dieterich
 
  • Literatur

  • 1 Kratz T, Vogel R, Eberling J et al. Strafrechtliche Risiken der Sterbehilfe bei Demenz-Orientierungssicherheit durch die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs?. Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81: 678-687