Fortschr Neurol Psychiatr 2013; 81(9): 481
DOI: 10.1055/s-0033-1355471
Editorial
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Autoimmune Enzephalitiden – faszinierende Beispiele interdisziplinärer neuropsychiatrischer Erkrankungen

Encephalitis due to Autoimmune Processes: Intriguing Neuropsychiatric Disorders
G. R. Fink
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Publication Date:
28 August 2013 (online)

Die aktuelle Ausgabe der Fortschritte enthält einen Fortbildungsartikel zu autoimmun verursachten Enzephalitiden [1]. Autoimmune Enzephalitiden sind eine echte Erfolgsgeschichte und ein Musterbeispiel für die rasante und faszinierende Entwicklung, die unsere Fächer in den letzten Jahren durchmachen: Autoimmune Enzephalitiden können heute mithilfe der Autoantikörper bezüglich ihrer Prognose, ihrem Ansprechen auf die Therapie und der Wahrscheinlichkeit einer paraneoplastischen Ätiologie differenziert werden [1]. Tab. 1 der Arbeit von Leypoldt listet die vielen derzeit bekannten, klinisch relevanten Autoantikörper und ihre Antigene und ordnet diesen die relevanten klinischen Syndrome und häufigsten Tumoren zu [1]. Natürlich kommt der paraneoplastischen Ätiologie eine eigene diagnostische, therapeutische und prognostische Bedeutung zu, da hier weniger die immunsuppressive Therapie als die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund steht. Nicht weniger interessant und klinisch relevant sind jedoch die nicht paraneoplastischen autoimmun verursachten Enzephalitiden – zumal eine ganze Reihe der Autoantikörper sowohl paraneoplastisch als auch nicht paraneoplastisch auftreten und dies mit differenzieller Häufigkeit.

Nach gegenwärtigem Wissensstand ist die NMDA-Rezeptor-AK-Enzephalitis die häufigste autoimmun verursachte Enzephalitis. Hier finden sich – altersabhängig – in bis zu 50 % der Fälle Teratome, wobei Ovarialteratome die häufigste Ursache der paraneoplastischen NMDA-Rezeptor-AK-Enzephalitis sind. Es lohnt sich in Erinnerung zu rufen – es ist gerade einmal etwas mehr als fünf Jahre her, dass dieses Erkrankungsbild beschrieben wurde (mit einer weiblichen Patientenpopulation, die alle ein Teratom hatten). Innerhalb von wenigen Jahren ist aus dem „Kolibri“ ein Erkrankungsbild geworden, das auf neurologischen Intensivstationen regelmäßig anzutreffen ist und von dem man schätzt, dass es ca. 4 % (!) aller Enzephalitiden ausmacht [2]. Unter neuropsychiatrischen Gesichtspunkten ist interessant, dass viele der Patienten nach einer möglichen Phase mit Prodromi (ähnlich einer Virusinfektion) neuropsychiatrische Symptome entwickeln: Apathie, Depression, Angst, affektive Störungen werden schnell gefolgt von Gedächtnisstörungen, Dyskinesien, epileptischen Anfällen und Bewusstseinsstörungen. Nicht wenige von uns haben mittlerweile Patienten erlebt, die zunächst unter der Annahme einer Depression psychiatrisch gesehen und behandelt wurden, oder die wegen Gedächtnisstörungen den Neurologen aufsuchten, bevor zunehmende affektive Störungen, epileptische Anfälle oder Bewusstseinsstörungen letztlich dann den korrekten diagnostischen Weg wiesen. Ein interdisziplinäres Erkrankungsbild, das uns an unsere gemeinsamen Wurzeln wie auch unsere Verbindungen paradigmatisch erinnert. Erschwert wird die rechtzeitige Diagnose aber auch dadurch, dass immer häufiger auch weniger schwere Fälle erkannt werden.

Die NMDA-Rezeptor-AK-Enzephalitis ist auch ein Beispiel dafür, wie differenziert inzwischen Pathomechanismen aufgeklärt sind. In den betroffenen Hirnregionen findet sich kein Infiltrat oder Gewebeuntergang. Vielmehr kommt es durch eine Antikörper-Antigen-Interaktion auf der Oberfläche der Nervenzelle zu einer Rezeptor-Kanal-Funktionsstörung, die zu einer (reversiblen) Rezeptor-Internalisierung und damit Inaktivierung führt. Werden die Autoantikörper entfernt, bilden sich die NMDA-Rezeptoren erneut und es kann zur Remission kommen.

Man schätzt, dass autoimmune Enzephalitiden ca. 20 % aller Enzephalitiden ausmachen [2]. Es lohnt sich also, hier am Ball zu bleiben und sich über den neuesten Kenntnisstand grundlegend zu informieren. Hierzu ist die Arbeit von Leypoldt gut geeignet. Nicht zuletzt zeigt die Arbeit aber auch: Neurologie und Psychiatrie bleiben spannend!

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Prof. Dr. Gereon R. Fink
 
  • Literatur

  • 1 Leypoldt F. Autoimmune Enzephalitiden. Fortschr Neurol Psychiat 2013; 81: 523-538
  • 2 Granerod J, Ambrose HE, Davies NW et al. Causes of encephalitis and differences in their clinical presentations in England: a multicentre, population-based prospective study. Lancet Infect Dis 2010; 10: 835-844