Laryngorhinootologie 2013; 92(10): 679
DOI: 10.1055/s-0033-1353144
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief

J. Pfeiffer
1    Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Poliklinik, ­Universitätsklinikum Freiburg (Direktor: Professor Dr. med. Dr. h.c. R. Laszig)
,
G. J. Ridder
1    Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Poliklinik, ­Universitätsklinikum Freiburg (Direktor: Professor Dr. med. Dr. h.c. R. Laszig)
2   HNO am Theater, Freiburg (Professor Dr. med. G. J. Ridder)
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08 October 2013 (online)

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Leserbrief zur Veröffentlichung von H. Rudert: „Bericht über die iatrogene Verletzung einer Arteria carotis interna bei Adenotomie“ In: Laryngo-Rhino-Otologie 2013; 92: 256–257

Mit Interesse haben wir den Artikel von H. Rudert über die iatrogene Verletzung einer Arteria carotis interna (ACI) bei einer Adenotomie mit letalem Verlauf bei einem 4-jährigen Mädchen zur Kenntnis genommen. Wir können hierbei die Darstellung des Autors, dass Verlaufsvarianten der ACI auch aus Gründen der Embryonal- und Fetalentwicklung „nur“ im Oropharynx und nicht im Nasenrachen vorkommen würden, so nicht unkommentiert lassen [1] [2] [3]. Sowohl unsere eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen [4] und klinischen Erfahrungen [5] als auch die Durchsicht der internationalen Literatur können diese These nicht bestätigen.

Die ACI läuft im zervikalen Abschnitt normalerweise geradlinig zur Schädelbasis mit einem alters- und gewichtsabhängigen Abstand zur Pharynxwand, der bei Erwachsenen durchschnittlich 25 mm zur Tonsillenbucht und 15 mm zum Nasenrachen beträgt [3] [6]. Nach anatomischen Gesichtspunkten werden parapharyngeale Verlaufsvarianten der ACI in Tortuosity, Kinking, und Coiling eingeteilt [7] [8]. Die Angaben zur Inzidenz dieser Aberrationen variieren in der Literatur stark; sie wird für die Normalbevölkerung zwischen 10 und 40% angegeben [1] [2] [6] [9] [10]. Dass extrakranielle Verlaufsvarianten der ACI bei Erwachsenen und alten Menschen deutlich häufiger beschrieben werden als bei Kindern ist neben dem altersbedingten Degenerationsprozess der Gefäßwand im Alter auch dem einfachen Umstand geschuldet, dass in jüngeren Jahren viel seltener eine radiologische Bildgebung der Kopf-Hals-Region durchgeführt wird als im Alter [9] [10] [11] [12]. Wir konnten mittlerweile bei 150 Patienten mit hochgradigen Aberrationen der extrakraniellen ACI digitale Bilddatensätze auswerten, dabei aber nur 10 Fälle bei Kindern dokumentieren. Wir haben gezeigt, dass hierbei die Ausprägung der Aberration nicht mit dem minimalen Abstand der ACI zur Pharynxwand und der Gefahr einer Gefäßverletzung korreliert [4]. Insbesondere fanden wir auch bei Kindern Kinking oder Coiling im Nasopharynx oder am Übergang zwischen Naso- und Oropharynx, und zwar nicht nur hinter der Tonsillenloge, sondern auch mittig unmittelbar hinter der Pharynxwand. Unseres Erachtens kann hierbei das Gefäß bei einer Adenotomie mit vergleichsweise schlechterer Übersicht mindestens ebenso leicht verletzt werden wie eine aberrierende ACI hinter der Tonsillenloge bei einer Tonsillektomie. Interessanterweise sahen wir bei Erwachsenen eine komplette Schlingenbildung der ACI (Coiling) besonders häufig nah an der Schädelbasis; da diese Verlaufsvariante aber primär aus einer fetalen Fehlentwicklung zu resultieren scheint, muss davon ausgegangen werden, dass sie bei diesen Patienten auch schon im Kindesalter vorlag.

Zusammenfassend sind somit extrakranielle ACI-Aberrationen auch bei Kindern und Jugendlichen wesentlich häufiger als ­allgemein angenommen, insbesondere auch im Nasenrachen. Wir sind daher der Meinung, dass diese Verlaufsvarianten für das Risiko einer Gefäßverletzung im Rahmen einer Adenotomie mit potentiell letalem Verlauf durchaus von signifikanter Bedeutung sein können. Wie von Rudert beschrieben muss intraoperativ stets palpatorisch und inspektorisch nach Pulsationen gefahndet werden; im Zweifelsfall sollte aber auch eine ACI-Aberration differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Diese wesentlichen Erkenntnisse haben nicht nur für jeden operativ tätigen HNO-Arzt sondern auch für den medizinischen Sachverständigen große Bedeutung im Hinblick auf die klinische Relevanz und die objektive Bewertung von extrakraniellen Verlaufsvariationen der hirnversorgenden Arterien bei vermeintlich kleinen Routineeingriffen im HNO-Bereich.