ergopraxis 2013; 6(07/08): 35-37
DOI: 10.1055/s-0033-1351714
ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Assessment: De Morton Mobility Index (DEMMI) – Mobilitätstest in der Geriatrie

Tobias Braun
,
Christian Grüneberg

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Publication Date:
19 July 2013 (online)

 

Alle gängigen Assessments, die die Mobilität von Patienten in der Geriatrie messen, haben Schwächen. Diese machen es teilweise unmöglich, relevante Fortschritte abzubilden. Der DEMMI, ein neuer Mobilitätstest aus Australien, schafft Abhilfe: Er ist gültig für das gesamte Mobilitätsspektrum, kostenlos und liegt nun in deutscher Version vor.


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Tobias Braun und Christian Grüneberg

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Tobias Braun arbeitet an der Hochschule für Gesundheit (hsg) in Bochum als wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Prof. Dr. Christian Grüneberg ist Dekan des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften und Leiter des Studienbereichs Physiotherapie an der hsg. Die Arbeitsschwerpunkte der beiden liegen unter anderem in der Klinimetrie und der Evidence-Based Practice.

Mobilität und Gehfähigkeit wiederherstellen, erhalten oder verbessern – das sind fast immer relevante Therapieziele der Ergo- und Physiotherapie bei älteren Menschen. Um die Erfolge einer Maßnahme nachzuweisen, bedarf es eines geeigneten Messinstruments. Es sollte praktikabel und kostengünstig sein, nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen, das gesamte Gesundheits- und Mobilitätsspektrum abdecken und die gängigen Anforderungen an relevante Gütekriterien wie Validität und Reliabilität erfüllen.

Bisherige Assessments nicht geeignet

Wie eine australische Forschergruppe um Natalie de Morton in einem systematischen Review feststellte, gab es bis dato noch kein geeignetes Mobilitätsassessment, das all diese Bedingungen erfüllte [1] – weder die mobilitätsbezogene Subskala des Barthel-Index [2] noch die Functional Ambulation Categories (FAC) [3] oder der Timed Up and Go Test (TUG) [4]. So sind die FAC nicht ausreichend sensibel, um Veränderungen bei älteren Patienten mit akuten Beschwerden zu erfassen [5]. Der TUG weist erhebliche Bodeneffekte auf. Das bedeutet, dass circa ein Viertel der Patienten, die wegen akuten geriatrischen Erkrankungen in die Klinik kommen, den Test gar nicht durchführen kann [6]. Auf der anderen Seite weist der TUG bei relativ mobilen Patienten Deckeneffekte auf, sodass sich Verbesserungen kaum noch erfassen lassen. Eine vergleichbare Problematik hat der Barthel-Index: 25 Prozent der Patienten mit Mobilitätsproblemen erzielen hier Punkte im Maximalbereich – ihre Probleme werden somit nicht erfasst [6].


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De Morton Mobility Index (DEMMI)

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Abb.: Copyright Originalversion: de Morton, Davidson & Keating 2007; © Copyright deutsche Version: Hochschule für Gesundheit, Bochum, 2013

Und auch die Elderly Mobility Scale [7], das Hierarchical Assessment of Balance and Mobility (HABAM) [8] und die Physical Performance Mobility Examination [9] bilden den Mobilitätsstand von alten Menschen nicht über das ganze Mobilitätsspektrum ab [1].

Grund genug für Natalie de Morton, im Jahr 2008 den De Morton Mobility Index (DEMMI) zu entwickeln [10]. Das Assessment ist in Australien mittlerweile „State of the Art“ in der Geriatrie und wurde 2011 in einer validierten Version für die Niederlande veröffentlicht [11]. Die Hochschule für Gesundheit in Bochum hat nun den DEMMI ins Deutsche übersetzt und an 131 geriatrischen Patienten im Marien-Hospital in Wattenscheid getestet.


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Der DEMMI

Mittels 15 Items kann der DEMMI den Mobilitätsstatus von geriatrischen Patienten über das gesamte Mobilitätsspektrum abbilden. Er ist hierarchisch aufgebaut – von leicht nach schwer. In fünf Subkategorien (Bett, Stuhl, statisches Gleichgewicht, Gehen und dynamisches Gleichgewicht) testet man jeweils verschiedene Aktivitäten („De Morton Mobility Index“). Im Bett wird der Patient zum Beispiel gebeten, eine Brücke mit dem Becken zu bauen (Item 1), sich auf eine Seite zu rollen (Item 2) und sich aus der Rückenlage an die Bettkante zu setzen (Item 3). Auf dem Stuhl wird geprüft, ob der Patient ohne Unterstützung für 10 Sekunden frei sitzen kann (Item 4). Es folgt die Frage, ob er aus dem Stuhl aufstehen kann und wie viel Unterstützung er dabei benötigt. Im ersten Durchgang (Item 5) sind die Armlehnen als Stütze erlaubt, bei Item 6 dürfen die Arme nicht zu Hilfe genommen werden. Beim Testen des Gangbildes trägt der Patient Schuhe. Er darf Gehhilfsmittel verwenden, die allerdings im Bogen notiert werden. Item 11 bewertet die zurückgelegte Gehstrecke, Item 12 die Selbstständigkeit des Patienten dabei. Den Abschluss bildet das dynamische Gleichgewicht: Kann der Patient einen Stift vom Boden aufheben (Item 13), vier Schritte rückwärtsgehen (Item 14) und so hoch springen, dass beide Füße deutlich vom Boden abheben (Item 15)?

Therapeuten wenden den DEMMI in der beschriebenen Reihenfolge an, erklären alle Aufgaben ihren Patienten und demonstrieren diese – falls erforderlich. Die Aufgaben sollte man nicht durchführen, wenn sie dem Untersucher oder dem Patienten widerstreben. Die Bewertung findet anhand des ersten Testversuchs statt, eine Rückmeldung über die erbrachte Leistung wird nicht gegeben.


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Die Auswertung

Die meisten Items bewertet man mit 0 Punkten oder einem Punkt – je nachdem, ob die Aktivität durchgeführt werden kann oder nicht. Bei manchen Items sind maximal zwei Punkte zu vergeben, um so das Level an Unterstützung bzw. die Quantität der Gehstrecke nochmals differenzierter zu bewerten. Der Tester addiert schließlich die Punkte zu einem Rohwert (maximal 19 Punkte) und wandelt diesen aufgrund statistischer Gründe mithilfe einer Umrechnungstabelle in den DEMMI-Score (0 bis 100 Punkte) um („DEMMI-Rohwert Umrechnungstabelle“).


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Gute Gütekriterien

In ihren Studien zum DEMMI konnten de Morton und ihr Team bezüglich der Gütekriterien gute Ergebnisse nachweisen. So gibt es sowohl eine hohe Korrelation zwischen zwei unabhängigen Testern [10, 11, 12] als auch eine gute Sensibilität für Veränderungen. Mittlerweile gibt es mehrere Arbeiten, in denen Forscher die Validität des DEMMI untersuchten. Die relevantesten Ergebnisse sind folgende: Der DEMMI korreliert gut bis stark mit dem HABAM (r = 0,91), dem Barthel-Index (r = 0,68) [10], dem TUG (r = − 0,73), dem Chair Rise Test (r = − 0,69) und dem 10-Meter- Gehtest (r = −0,69– −0,74) [11, 12]. Außerdem unterschieden sich die DEMMI-Mittelwerte der Patienten, die nach dem Klinikaufenthalt nach Hause gehen konnten, signifikant von denen, die in eine Reha mussten [10, 12]. In einer Validierungsstudie mit 106 akutgeriatrischen Patienten zeigten sich weniger als 1 Prozent Bodenund nur 3,8 Prozent Deckeneffekte [10]. Auch unsere Durchführbarkeitsstudie zeigte, dass von 131 nur zwei Patienten (1,5 Prozent) nicht testbar waren, dies allerdings aus kognitiven Gründen.

INTERNET

Formular und Instruktionsvideos

Testbogen und Testanweisungen in deutscher Sprache gibt es zum kostenlosen Download unter www.hs-gesundheit.de > „ Physiotherapie“ > „Projekte“.

Instruktionsvideos zum DEMMI bei Patienten mit verschiedenen Mobilitätsleveln finden Sie unter www.demmi.org.au . Die Videos erleichtern die Durchführung des Assessments.


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Praktikabel für jedermann

Da man man keine speziellen Materialien benötigt, kann man den DEMMI überall einsetzen, und das in circa 10 Minuten [10, 11]. Um ihn anzuwenden, bedarf es unserer Meinung nach keiner speziellen Ausbildung. Durch sorgfältiges Lesen der Testinstruktionen und das Anschauen der Instruktionsvideos („Internet“) qualifiziert sich jeder aus dem interprofessionellen Team zur Durchführung, egal ob Ergo- oder Physiotherapeut, Pfleger oder Arzt. Der DEMMI kann als kostengünstiges, sicheres, einfach zu erlernendes und anzuwendendes Assessment bezeichnet werden. Er ist in der Lage, Behandlungserfolge sensitiv nachzuweisen, Behandlungsbedarf aufzuzeigen und könnte als objektive Grundlage für die Beurteilung der Effektivität therapeutischer Maßnahmen dienen – sowohl im stationären als auch im ambulanten Setting.


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Abb.: Copyright Originalversion: de Morton, Davidson & Keating 2007; © Copyright deutsche Version: Hochschule für Gesundheit, Bochum, 2013