PPH 2013; 19(03): 164-165
DOI: 10.1055/s-0033-1345706
Quintessenz
Für Sie gelesen: Aktuelle Studien
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Burn-out in der Psychiatrischen Pflege: Analyse einer systemisch-familientherapeutischen Intervention und die Relevanz für die Psychiatrische Pflege

Contributor(s):
Regine Kuck
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Publication Date:
23 May 2013 (online)

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(Georg Thieme Verlag)

Fragestellung: Wie nachhaltig ist der Einfluss einer systemtherapeutischen erweiterten Behandlung auf das Belastungserleben und das Teamklima auf psychiatrischen Akutstationen?

Hintergrund: Das Thema Burn-out ist ein stets brisanter werdendes Thema und wird in geradezu inflationärer Weise diskutiert. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)[1] ist das Burn-out, für das es bisher keine einheitliche Definition und Symptombeschreibung gibt, in Deutschland ein Phänomen, das vor allem bei Beschäftigten im Gesundheitswesen auftritt.

Auch psychiatrisch Pflegende sind davon betroffen, wenn auch weniger im Vergleich zu somatisch Pflegenden [2]. Durch die Orientierung an kurativen Modellen, die aus der Somatik übertragen werden und auf eine Wiederherstellung des ursprünglichen Gesundheitszustands abzielen, wurden bislang Erschöpfungszustände gefördert [3]. Laut Haun et al. „droht eine ressourcenaufwendige Überbewertung unrealistischer Zielvorstellungen bei vernachlässigter Orientierung am eigentlichen therapeutischen Entwicklungsprozess“[3].

Hypothese und Methoden: Ausgangspunkt war die These, dass eine Ressourcenstärkung auf individueller und institutioneller Ebene auf das Ausbrennen von Mitarbeitern am Arbeitsplatz protektiv wirken kann [3]. Auf dieser Basis erstellten Zwack und Schweitzer eine multizentrische Pilotstudie ([ Glossar ]) „Systemtheoretische Methoden psychiatrischer Akutversorgung“ (SYMPA). Ermittelt werden sollte der nachhaltige Einfluss einer systemischen Therapie in der akutpsychiatrischen Behandlung.

Mittels systemtherapeutischer Ansätze wurde auf je zwei Akutstationen in drei allgemeinpsychiatrischen Kliniken (eine Station schied 2005 aus) ein erweitertes und strukturiertes Behandlungskonzept integriert [3]. Von 2003 bis 2005 wurden die multidisziplinären Teams, flankierend zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit, von Psychotherapeuten in Ausbildung für „Systemische Therapie und Beratung“ geschult. Das Forschungsteam wollte herausfinden, wie sich das Teamklima und das Belastungserleben der Beschäftigten durch die Schulungsmaßnahme hinsichtlich des Burn-out-Risikos verändern.

Dazu wurden zunächst eine Prä- und Postbefragung ([ Glossar ]) in den Jahren 2003 und 2005 mithilfe der deutschen Fassung des Maslach Burnout Inventory (MBI-D; [ Glossar ]) durchgeführt. Außerdem wurde im Jahr 2008 eine Drei-Jahres-Follow-up-Befragung zur Nachhaltigkeit der Effekte mit Hilfe des MBI-D und der deutschen Version des Teamklima Inventar (TKI s. [ Glossar ]), eines Instruments zur ordinalskalierten Erfassung ([ Glossar ]) der „Arbeitsatmosphäre für Innovationen und Effektivität in Teams“[4], durchgeführt. Zusätzlich wurden 2008 mit 56 leitfadengestützten Interviews die multidisziplinäre Kooperation und das Teamklima ausführlich erfasst [3].

Ergebnisse: Die Prä- und Postbefragungen zeigten, dass es zwar bezogen auf die Therapieergebnisse der Patienten keinen signifikanten Unterschied gab. Dafür aber eine erhöhte Selbstwirksamkeit der Probanden und ein erhöhtes Kompetenzerleben in der therapeutischen Arbeit zu verzeichnen waren [3].

An der Drei-Jahres-Follow-up-Studie beteiligten sich 51 Personen (69,9 Prozent), davon waren 70,9 Prozent Pflegekräfte und 19,6 Prozent Ärzte und Therapeuten anderer Berufsgruppen. Hinsichtlich der Burn-out-Tendenz zeigte sich, dass das Depersonalisationserleben 2008, im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Messungen, signifikant sank und die persönliche Erfüllung der Probanden signifikant zunahm [3].

Flankierend dazu zeigte die Interviewauswertung, dass besonders die fachliche Aufwertung der Pflege als bedeutungsvoll gesehen wurde [3]. Dies zeigte sich, indem die pflegerischen Mitarbeiter im multidisziplinären Team gleichberechtigte Gesprächspartner wurden und neben einer Kompetenzerweiterung ein gesteigertes Wirksamkeitserleben und Selbstbewusstsein im Patientenkontakt wahrnehmen konnten. Da Pflegende therapeutische Aufgaben übernahmen, veränderte sich die Arbeitsteilung, was zur Entlastung beitrug. Bezogen auf das TKI, dessen Reliabilität nach Aussage der Autoren eingeschränkt ist, zeigte sich lediglich für das Item „Aufgabenorientierung“ eine signifikante Unterscheidung zwischen 2003 und 2008 [3]. Wobei diesbezüglich die hohe Fluktuationsrate der Assistenzärzte hinderlich war, da dies dauerhafte Anlernprozesse mit sich brachte. Die Leitfadeninterviews ([ Glossar ]) zeigten, dass eine offenere Kommunikation auf Augenhöhe und ein kooperativerer Umgang empfunden wurden [3].

Diskussion: Die Grenzen der Studie werden ausreichend diskutiert. Haun et al.[3] beschreiben, dass das TKI eine eingeschränkte Reliabilität ([ Glossar ]) hat, da das Instrument nur einen Teilbereich des Teamklimas erfasst. Zudem handelt es sich nicht um eine kontrollierte Studie, sodass Haun et al. vermuten, dass die Effekte auch einer weiterbildungsunabhängigen Reifung der Probanden oder einer Sensibilisierung durch die Präbefragung zugrunde liegen könnten. Bezüglich der leitfadengestützten Interviews geht nicht hervor, auf welcher Grundlage diese erstellt wurden. Relevante Literatur zum Themengebiet wird benannt, die Recherchekriterien und -datenbanken hingegen nicht.

Schlussfolgerungen: Obwohl diese Studie mit quantitativem und qualitativem Design ([ Glossar ]) streng genommen nur für die beschriebenen sechs Stationen gültig ist, und die Inhalte der Weiterbildung nicht detailliert beschrieben werden, ist sie für die Psychiatrische Pflege im Allgemeinen relevant, da das Phänomen Burn-out zunehmend diese Pflegenden betrifft. SYMPA stellt hierfür eine gute Möglichkeit dar, da sie präventiv wirkt und in der Umsetzung als gut geeignet gewertet werden kann. Dennoch wäre eine Bestätigung der Studienergebnisse durch eine randomisierte kontrollierte Studie wünschenswert.

Regine Kuck

Glossar

Multizentrische Studie: Eine multizentrische Studie wird an mehreren Standorten durchgeführt.

Pilotstudie: Pilotstudien sind Studien, die zur Planung und Generierung einer Hauptstudie dienen [5]. Sie sollen eine These auf ihre Tauglichkeit hin prüfen.

Prä- und Postbefragung: Befragung zu Beginn und zum Ende der Studie.

Maslach Burnout Inventory (MBI-D): Das MBI-D ist die deutsche Übersetzung des 1981 entwickelten MBI und erfasst die drei Dimensionen des Burn-out-Syndroms: emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und persönliche Zielerreichung [6].

Teamklima Inventar (TKI): Das TKI ist ein Instrument zur Erfassung der Arbeitsatmosphäre und des Teamklimas in Bezug auf Innovationen. Es erfasst die vier Faktoren Vision, Aufgabenorientierung, partizipative Sicherheit und Unterstützung für Innovationen [7].

Ordinalskalierte Erfassung: Ein ordinalskaliertes Messniveau dient in der quantitativen Forschung zur Erfassung von Merkmalsausprägungen, die in eine natürliche Reihenfolge gebracht werden können.

Leitfadengestützte Interviews: Ein Leitfadeninterview ist eine Methode der qualitativen Sozialforschung. Es werden zuvor festgelegte Fragen gestellt, die jedoch offene Antworten ermöglichen und ein Gerüst und Orientierung für das Gespräch bieten [8].

Reliabilität: Unter Reliabilität versteht man ein Gütekriterium von Tests und Fragebögen. Es wird eine Aussage über die Verlässlichkeit und den Grad der Genauigkeit einer Messung gemacht.

Quantitatives Design: In der quantitativen Sozialforschung werden durch verschiedene Erfassungsarten empirisch gewonnene Daten in Zahlen wiedergegeben.

Qualitatives Design: In der qualitativen Sozialforschung werden nicht-standardisierte Daten erfasst und analysiert.