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DOI: 10.1055/s-0033-1343371
Therapeutisches Erstgespräch bei Demenz – Die erste Begegnung positiv prägen
Verantwortlicher Herausgeber dieser Rubrik:
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
03. April 2013 (online)
- Der telefonische Erstkontakt
- Das therapeutische Erstgespräch
- Die Rahmenbedingungen
- Gesprächsbeginn und Aufklärung über die Intervention
- Besichtigen statt begehen
- Ausblick auf die nächste Einheit
Nicht nur im Privatleben oder in Bewerbungsgesprächen – der erste Eindruck zählt auch beim therapeutischen Erstkontakt mit Demenzerkrankten und deren Angehörigen. Wer ein paar Regeln befolgt, kann die Begegnung positiv beeinflussen und den Weg für den weiteren Therapieprozess ebnen.
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Julia Eisold


Julia Eisold, Diplom-Ergotherapeutin seit 1999, arbeitete von 2008 bis 2010 im Leuchtturm-Projekt Demenz „ERGODEM“ – Effektivität einer optimierten Ergotherapie im häuslichen Setting. Von 2011 bis 2012 war sie sowohl im Parkinsonzentrum/Neurologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden tätig als auch freiberuflich in einer Praxis. Derzeit ist sie fachliche Leiterin einer Ergotherapiepraxis in der Oberlausitz.
Der erste Eindruck, den die Ergotherapeutin bei einem Klienten und dessen pflegendem Angehörigen erweckt, ist ein sehr sensibler Moment. Er kann nachhaltig über den weiteren Verlauf der Intervention entscheiden. Darum sollte dieser Kontakt von einer vertrauensvollen Kommunikation und Kooperation aller Beteiligten geprägt sein. Empathie und eine gute Kommunikationsfähigkeit der Therapeutin sind Voraussetzung [1]. Nur damit gelingt es ihr, die Erlebenswelt des Klienten und seines pflegenden Angehörigen zu verstehen und deren Bedürfnisse zu erfassen.
Der telefonische Erstkontakt
Der erste Kontakt zu einem Klienten läuft meist über das Telefon. Wesentliches Ziel dabei ist die Vereinbarung eines Termins für die erste Einheit. Bereits hier berücksichtigt die Therapeutin grundlegende Regeln: Sie achtet auf ein gemäßigtes Sprechtempo und wählt einfache, kurze Sätze. Damit gibt sie dem Gesprächspartner Struktur, Sicherheit und genügend Zeit, um reagieren und verbindliche Absprachen treffen zu können.
Falls der Klient selbst am Telefon ist, trifft sie die Absprachen mit ihm so, dass er Zeit hat, alles zu notieren. Es ist jedoch unabdingbar, im Anschluss daran den pflegenden Angehörigen hinzuzuziehen, damit beide „Parteien“ von Anfang an gleichberechtigt sind und ein verbindlicher Termin entsteht. Dadurch vermittelt die Therapeutin zudem, dass sowohl Klient als auch pflegender Angehöriger in den ersten Einheiten unbedingt anwesend sein sollten.
Gut gerüstet für den Hausbesuch
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> Ziehen Sie die Straßenschuhe vor dem Wohnbereich aus – als konventionelle Geste zur Achtung des Privatraumes. Fragen Sie nach den Gepflogenheiten in den Haushalten vor Ort.
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> Entweder haben Sie bereits ein geeignetes Paar Schuhe dabei, oder die „Hausschuhe“ werden Ihnen vom pflegenden Angehörigen oder dem Klienten bereitgestellt. Das lockert die Situation häufig auf und erleichtert die Kontaktaufnahme.
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> Ein Namensschild an Ihrer Kleidung kann beim Klienten einen Wiedererkennungseffekt bewirken. Das hilft ihm, Sie im Gespräch ebenfalls mit Namen ansprechen zu können.
Nachdem die Ergotherapeutin Ablauf und Zeitrahmen des Erstgesprächs erläutert hat, kann sie nachfragen, ob auf der Verordnung ein Vermerk für die Behandlung im Hausbesuch vorliegt. Wenn dem so ist, weist sie darauf hin, dass die Therapie in der häuslichen Umgebung des Klienten stattfinden wird. Dadurch hat er die Möglichkeit, sich auf eine vermutlich ungewohnte Behandlungssituation einzustellen. Sollte auf dem Rezept kein Hausbesuch vermerkt sein, kann das Erstgespräch auch in den Praxisräumen stattfinden. Die Therapeutin sollte dann aber eine änderung initiieren. Sie kann anbieten, dem verordnenden Arzt für entsprechende Rückfragen zur Verfügung zu stehen, oder diesen mit dem Einverständnis des Klienten selbst kontaktieren.
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Das therapeutische Erstgespräch
Im Idealfall findet das Erstgespräch gemeinsam mit dem Angehörigen beim Klienten statt. Der Therapeutin sollte bewusst sein, dass ihr „Eindringen“ in eine Privatsphäre mit Verunsicherung verbunden sein kann. Diese wird verstärkt, wenn der Klient nicht (mehr) sicher ist, wer ihm da begegnet und mit welchen Absichten sich „die Fremde“ bei ihm vorstellt. Es kann passieren, dass er es trotz Terminvereinbarung ablehnt, an diesem Tag Besuch zu empfangen. Darauf sollte die Therapeutin vorbereitet sein und die Reaktion nicht „persönlich nehmen“. Ein ruhiges Auftreten, bei dem sie sich und ihr Anliegen kurz vorstellt, kann die Situation entspannen. Nicht selten fühlen sich Angehörige beschämt. Sie kennen derartige Reaktionen wahrscheinlich aus früheren Situationen, wissen jedoch nicht, wie die noch fremde Therapeutin darauf reagiert. Diese sollte in so einem Fall vermitteln, dass sie:
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> das Verhalten des Klienten als eine normale Reaktion versteht,
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> seinen Wunsch respektiert und
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> es nicht für sinnvoll erachtet, Druck auf ihn auszuüben.
Möglicherweise ist der Klient damit einverstanden, wenn die Therapeutin zunächst allein mit dem Angehörigen spricht.
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Die Rahmenbedingungen
Für das Erstgespräch bietet sich ein reizarmer, ruhiger und gut ausgeleuchteter Platz mit einem Tisch an. Oftmals schlagen der Klient oder sein Angehöriger einen Ort vor. Sofern die genannten Bedingungen erfüllt sind, empfiehlt es sich, diesem Vorschlag zu folgen. Es kann sich also ergeben, dass das Erstgespräch im Wohnzimmer auf der Couch stattfindet. Im Gesprächsverlauf ist es wichtig, dass Klient und Angehöriger immer wissen und mitentscheiden können, welche Belange und Anliegen sich die Therapeutin notiert. Die Gesprächstechnik des Paraphrasierens hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Hierbei wiederholt die Therapeutin die Aussagen des Klienten und des Angehörigen sinngemäß und verbindet sie mit der Frage, ob sie das Anliegen richtig verstanden habe [2]. Dadurch entsteht eine Situation der aktiven, transparenten und wertschätzenden Zusammenarbeit. Um sich selbst ebenfalls Notizen machen zu können, sollten auch dem Klienten und seinem Angehörigen Stift und Notizzettel vorliegen.
Da beim klientenzentrierten Ansatz der Klient im Mittelpunkt steht, nimmt die Therapeutin mit angemessener Distanz möglichst rechts von ihm Platz, der pflegende Angehörige links vom Klienten – bei Linkshändern umgekehrt. So ergibt sich für den Klienten und dessen Angehörigen eine optimale Einsicht, wenn die Therapeutin Notizen vornimmt, ohne dass die schreibende Hand den Schreibbogen verdeckt. Die Therapeutin sollte eine den Gesprächspartnern zugewandte Körperhaltung einnehmen und Blickkontakt ermöglichen [3].
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Gesprächsbeginn und Aufklärung über die Intervention
In der ersten Einheit stellt sich die Therapeutin selbst sowie ihre Tätigkeit kurz vor. Außerdem gibt sie dem Klienten und seinem Angehörigen in einem offen geführten Gespräch die Möglichkeit, frei zu erzählen. Dabei beobachtet sie Stimmung und mögliche Spannungsfelder zwischen ihren beiden Gesprächspartnern. Hier hat sie bereits die Möglichkeit, erste Anliegen zu registrieren. In der Wohnung aufgestellte Fotos oder in der Schrankvitrine ausgestellte Sammlungen bieten eine gute Möglichkeit, den Klienten nach biografischen Ereignissen und für ihn wichtigen Aspekten seiner Lebensgeschichte zu fragen – beispielsweise Elternschaft, Heirat oder Beruf. So fühlt er sich angenommen, und der Angehörige kann unterstützende Informationen geben. Die offene Gesprächsführung ermöglicht es der Therapeutin, stets im Austausch zu bleiben und eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung aufzubauen.
Ferner ist es wichtig, Zeit für die Beantwortung von Fragen einzuplanen und die Erwartungen der Gesprächspartner an die Intervention zu erfragen. Nicht selten zeigt sich, dass Klienten und ihre Angehörigen zunächst die Erwartungshaltung haben, die Therapeutin werde konkrete Lösungen und Behandlungsvorschläge für die genannten Probleme bereithalten. An dieser Stelle ist es wichtig, über die therapeutische Grundhaltung und den Aspekt der Klientenzentrierung aufzuklären. Man kann beispielsweise sagen, dass die Lebensgeschichte von Klienten ebenso individuell ist wie ihre Anliegen. Erläutern Sie dem Klienten und seinem Angehörigen, dass es im Rahmen der Intervention vielmehr darum gehen wird, individuelle Lösungen gemeinsam zu entwickeln. Vermitteln Sie Ihren Gesprächspartnern, dass sowohl der Klient als auch sein Angehöriger „aktive Mitgestalter“ des therapeutischen Prozesses sind und dass Sie Ihre Rolle eher darin sehen, den Prozess fachlich teilnehmend und strukturierend zu begleiten. Ihr Wunsch als Therapeutin ist vielmehr, dass der Klient und sein Angehöriger auch nach Beendigung der Behandlung eigenständig weiterarbeiten können. Diese Chance ist größer, wenn sie in der Therapie die Erfahrung machen, über eigene Strategien zur Problemlösung zu verfügen oder diese entwickeln zu können. über die „Hilfe zur Selbsthilfe“ kann die Therapeutin vermitteln, dass sie Mitverantwortung für die Gestaltung der Intervention tragen und die Therapeutin als „unterstützender Partner“ zur Verfügung steht.
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Besichtigen statt begehen
Sofern es die Zeit zulässt, schließt sich an den therapeutischen Erstkontakt eine Wohnraumbegehung an. Erklären Sie die Notwendigkeit dieser Maßnahme mit dem Hausbesuch als besondere Intervention. Bei der gemeinsamen Begehung gilt es, Barrieren und Gefahrenquellen sowie die daraus resultierenden Probleme zu erfassen. Die Therapeutin greift diese nach Möglichkeit im Behandlungsverlauf auf, gestaltet sie gemeinsam mit dem Klienten und seinem Angehörigen um bzw. baut sie ab. Das gilt speziell für Gefahrenquellen, die mit einem erhöhten Sturzrisiko oder dem Risiko für eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Bewohner verbunden sind. Das können „Stolperfallen“ wie Teppichkanten und freiliegende Kabel, aber auch frei zugängliche gesundheitsgefährdende Stoffe, ein schlecht beleuchteter Eingangsbereich oder eine nicht gesicherte Grundstücksbegrenzung sein. Diese Gefahren sollte die Therapeutin direkt ansprechen und gemeinsam mit ihren Gesprächspartnern nach einer Lösung suchen. Das kann bedeuten, dass für den losen Teppich ein geeigneterer Platz gefunden werden muss. Zudem sollte sie bereits vorhandene Umweltanpassungen oder Hilfsmittel erfassen.
Die Wohnraumbegehung erfordert eine rücksichtsvolle, akzeptierende und sachliche Vorgehensweise und sollte nicht den Charakter einer „Begutachtung“ haben. Sicherlich kann eine strukturierte Erhebung anhand eines Wohnraumerfassungsbogens ein umfassenderes Bild und spezifischere Informationen liefern. Auch kann man dadurch das Risiko minimieren, ein wichtiges Detail zu übersehen. Die praktische Erfahrung zeigt jedoch, dass eine Wohnraumbegehung (insbesondere zu Beginn des therapeutischen Kontaktes) von dem Klienten und seinem pflegenden Angehörigen als „massives Eindringen“ in die Privatsphäre erlebt und dann auch verweigert werden kann. Empfehlenswert ist daher, die Wohnraumbegehung eher im Sinne einer „Besichtigung“ durchzuführen, bei der die Therapeutin mögliche Probleme zunächst „gedanklich“ registriert und sich gegebenenfalls Notizen macht, die sie anschließend mit dem Klienten und dem pflegenden Angehörigen offen bespricht. Dazu gehört auch die Beratung und Versorgung mit Hilfsmitteln.
Der optimale Ablauf
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> Vorstellung der Therapeutin und ihrer Tätigkeit
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> Erläuterung der Vorzüge des häuslichen Settings und der Rahmenbedingungen
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> Aufklärung über die geplante Intervention und das Beantworten von Fragen
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> Klären der Erwartungen von Klient und Angehörigem
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> erste Erhebung befundrelevanter Daten
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> nach Möglichkeit Besichtigung des häuslichen Wohnraumes
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> übergabe und Erläuterung eines Tätigkeitsprofils
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> Vorschau und kurzer Einblick in die Inhalte des COPM-Bogens
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Ausblick auf die nächste Einheit
Zum Abschluss des Erstgesprächs kann die Therapeutin einen Ausblick auf die nächste Einheit geben. Dann wird die strukturierte Erfassung individueller Betätigungsanliegen mittels COPM im Vordergrund stehen. Als Vorbereitung kann sie den COPM-Bogen bereits einführen und erläutern. Somit haben ihre Gesprächspartner einen Einblick in die thematischen Inhalte der nächsten Therapieeinheit(en). Zudem kann die Therapeutin darum bitten, bereits im Vorfeld auf Aktivitäten und Betätigungen zu achten. Als unterstützende Maßnahme kann sie einen Beobachtungsbogen zur systematischen Erfassung von Alltagstätigkeiten aushändigen. Sie bittet Klient und Angehörigen, die Tätigkeiten eines (typischen) Tages zu dokumentieren und die entsprechende Dauer zu notieren. Auf dem Beobachtungsbogen für den Klienten können sie zusätzlich vermerken, ob dieser eine Tätigkeit selbstständig, unter Aufsicht oder mit fremder Hilfe ausführt. Demgegenüber notiert der Angehörige das subjektive Belastungserleben, welches mit einer bestimmten Tätigkeit verbunden war. Die gemeinsame Analyse dieser Tätigkeitsprofile in der nächsten Einheit kann wertvolle Hinweise über Vorlieben sowie die Aufgaben- und Rollenverteilung zwischen Klient und Angehörigem im Alltag liefern. Bereits hier können sich Hinweise auf mögliche Betätigungsanliegen ergeben, zum Beispiel die Entlastung des Angehörigen. Sie können eine Grundlage für die Hypothesenbildung bei der sich anschließenden Befunderhebung mittels COPM bilden.
Es kann vorkommen, dass die Befunderhebung ein Betätigungsanliegen identifiziert, das eine zuvor abgelehnte Wohnraumbegehung erforderlich macht. In diesem Fall kann die Therapeutin die Notwendigkeit einer Besichtigung noch einmal gezielt begründen. Da Klient und Angehöriger das Betätigungsanliegen selbst benennen, äußern sie die Idee meist von selbst.
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