PPH 2013; 19(02): 60
DOI: 10.1055/s-0033-1338149
PPH|Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Brunos Welt Pizza Quattro Lingue

Bruno Hemkendreis
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Publication Date:
20 March 2013 (online)

Eigentlich habe er keinen Grund, sich zu beklagen: Er leide keinen Hunger, sei nicht arm, für seine 61 Jahre gehe es ihm körperlich noch einigermaßen gut, dennoch habe er seit Monaten keinen Spaß mehr am Leben, an nichts. Im Grunde sei er ein undankbarer Versager.

Marco Pedri kam in den 1970er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland. Er hat hart gearbeitet und gespart, um sich dann später seinen Traum zu erfüllen: eine eigene Pizzeria. Diese ist über Jahre gut gelaufen, bis vor drei Jahren seine Frau Maria gestorben ist. Sie haben keine Kinder bekommen können, wahrscheinlich habe das auch an ihm gelegen. Nach dem Tod seiner Frau habe er das Geschäft vernachlässigt, keinen Sinn mehr im Leben gesehen und keine Kraft mehr gehabt. Er habe das Restaurant dann vermietet und immer mehr Zeit auf dem Sofa vor dem Fernseher verbracht, nicht mehr richtig schlafen können und im Herbst den Entschluss gefasst, mit allem Schuss zu machen.

Herr Pedri wurde nach einem Suizidversuch mit Schlaftabletten von der Intensivstation in die Psychiatrie verlegt. Er litt an einer schweren Depression, die sich hauptsächlich in massivsten Selbstvorwürfen und Selbstentwertungen zeigte. Nach Wochen intensivster Bezugsarbeit gab es hier und da mal kleine Lichtblicke, beispielsweise eine kleine Skulptur, die er in der Ergotherapie modelliert, und nicht sofort als misslungen verworfen hatte. Und dann gab es ein echtes Highlight: Nachdem er von seiner Bezugspflegerin nach sehr viel Motivationsarbeit überredet worden war, abends Pizza für die ganze Station zu backen, gab es richtig dickes Lob von allen Seiten, und Herr Pedri konnte etwas lächeln.

Am nächsten Morgen fand die Oberarztvisite statt, Herr Pedri ging – für seine Verhältnisse – relativ entspannt hinein und kam völlig niedergeschlagen heraus. Er berichtete, dass er den beiden Ärzten über seine ersten kleinen Fortschritte habe berichten wollen. Der Oberarzt kam aus einem arabischen Land und sprach ausreichend bis mangelhaft Deutsch, der Stationsarzt aus Osteuropa und konnte nur ungenügend Deutsch. Die beiden hätten ihn offensichtlich nicht oder völlig unterschiedlich verstanden und sich im Laufe der Visite heftig darüber gestritten, was wer verstanden habe. Dabei hätten die beiden sich wiederum gegenseitig auch nicht wirklich verstanden. Er sei ja als junger Mann aus Italien auch ohne Deutschkenntnisse hierhergekommen und wisse, wie schwer das sei. Also habe er es als seine Pflicht gesehen, zwischen den beiden zu vermitteln. Dabei habe er jedoch völlig versagt, das sei ihm überhaupt nicht gelungen. Es habe sich wieder einmal ganz deutlich gezeigt, dass er zu nichts nütze sei.

Vor kurzem hat der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke, gefordert: „Ein Arzt aus einem Drittland muss mehr können, als in der Nachtschicht Pizza zu bestellen.“ [1]

Es ist immer besser, sich vor der Visite beim Pflegepersonal zu informieren. Und dann kann es manchmal besser sein, doch einfach nur eine Pizza zu bestellen.

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  • Literatur

  • 1 Wegener B. Knie brochen. Muss gucken. Die Welt 06.11.2012;