Balint Journal 2013; 14(04): 124
DOI: 10.1055/s-0033-1333734
Buchbesprechung
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E. R. Petzold
1   Kusterdingen
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08 January 2014 (online)

Warum schreibe ich diese Rezension für das Balint Journal? Vordergründig reizt mich eine Übereinstimmung bei den Überschriften, die die Gesprächspartner charakterisieren sollten, so wie Luban Plozza gelegentlich seine Patienten typisierte. Huebschmann charakterisiert seine Gesprächspartner liebevoll und despektierlich: Professor S. ein protestantischer Pädagoge, Dr. W. ein junger Theophysiker, Prof. B. ein führender Arzt, Übergangstil, Prof. W. ein exakter Physiker alter Schule, Dr. B. ein Arzt, der im Unendliche wurzelt, Prof. W. ein ringender Geist, Arztphilosoph und Schwabe, Prof. L. ein gescheiteter, Philosoph und Protestant, Dr. L. ein feuriger Seelenkenner und Paracelsusschüler.

Vor fast 100 Jahren (1913) wurde H. Huebschmann geboren. Er wurde Arzt, aber nicht wie sein Vater Pathologe in Düsseldorf, sondern ‚Arzt für Innere Medizin und Erinnerungsarzt‘ (Psychotherapie) in Heidelberg. So überschrieb er etwas Augen zwinkernd seinen Briefkopf. Was er dann aber schrieb oder was dann in seinen Veröffentlichungen stand, war meist „klar und beschwingt geschrieben“ und – „mit bemerkenswerter Originalität“ (W. Rimpau). Er war immer anregend, mitunter aufregend. Kaum jemand, der die hier wiedergegebenen Gespräche lesen wird, muss sich diesem Urteil anschließen, aber anschließen wird er sich sicher der Einschätzung Rimpaus, dass es sich bei diesen Gesprächsprotokollen um besondere Dokumente handelt. Huebschmann hatte eine kritische Arbeit über G. Galilei geschrieben und diesen quasi verantwortlich für die Sackgasse gemacht, in die uns nach seiner Ansicht die Naturwissenschaftler geführt haben. Eine These, die nicht unwidersprochen blieb. Anerkannt aber wurde das Ringen dieses Arztes, der die „metaphysische Grundschwingung auf decken wollte, die in dem Galilei-Problem stecke“ (S. 242). Viktor v. Weizsäcker sah das Problem weniger bei Galilei, als vielmehr bei Descartes. Aber was wir damit gewonnen haben, mag sich nicht nur H. gefragt haben. Der Descartes’sche Dualismus war genauso in der Welt, wie die Vorherrschaft des Galileischen Grundgedankens des Messens von Naturphänomenen, um sie zu beherrschen. Huebschmanns Arbeit war fast allen o. g. genannten Gesprächspartner bekannt. Innerhalb von 3 Wochen, nämlich vom 13.–30. 9. 1942 hatte er alle Gesprächspartner aufgesucht, die meisten in Berlin, V. v. Weizsäcker in Breslau und Th. Litt in Leipzig. H. hatte die Gespräche unmittelbar danach protokolliert. An jedes Protokoll sind wesentliche Daten der Gesprächspartner angefügt, wer sie waren und was sie taten, Vorträge und Zeitzeugen. In jener dicht gedrängten und bedrängenden Zeit entstanden also diese Dokumente, die eigentlich nie veröffentlicht werden sollten. Sie waren viel zu spontan, authentisch, und charakteristisch wohl für alle Beteiligten, Pädagogen, Theologen, Physiker und Ärzte wie für Huebschmann selbst. Seine Gesprächspartner gehörten bis auf eine Ausnahme zur Generation seines Vaters. Bedeutsam an diesen Dokumenten sind nicht nur Form und Inhalt dieser Gespräche, die Sprache und die Pausen, die durch Zigarren eingeleitet wurden. Man nahm sich die Freiheit über das nachzudenken, was Wissenschaft leisten kann und was nicht. Eindrucksvoll ist die Art und Weise, wie man miteinander spricht, wie H. die jeweilige Stimmung und Themen schildert, wie er Beziehungen skizziert, beispielsweise die zwischen G. v. Bergmann und V. v. Weizsäcker. Bedeutsam schien mir zunächst das fast vollständige Ausblenden des Krieges, dessen Anfang 2½ Jahre schon zurücklag, dessen Ende aber noch keineswegs abzusehen war. Hatte man sich schon daran gewöhnt? Diese Ausblendung war sicher kein unbewusster Akt. Man lebte in einer Diktatur und konnte nie wissen, was weiter getragen und gegen einen selbst verwendet wurde. Einige waren involviert, hatten wichtige Aufgaben an Universitäten und im wissenschaftlichen Senat des Heeressanitätswesens übernommen. Bei ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit hatten sie Angst, sich gegenüber den Physikern zu blamieren, wenn sie sich nicht deren wissenschaftlichen Ansprüchen beugten, den reinen und exakten. 4 aber der 8 Gesprächspartner waren zwischenzeitlich inhaftiert gewesen oder in die Schweiz geflohen, hatten Vortragsverbot. Leibbrand war nach dem 20. Juli 1944 in den Untergrund abgetaucht, später dann war er der einzige deutsche Gutachter im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47. Mitscherlich war als Berichtererstatter bei diesen Prozess (S. A. Mitscherlich: „Die Unfähigkeit zu trauern“). Huebschmann wirkt auf mich wie ein zweiter Galilei, ein nicht katholischer Anti-Galilei. Der erste habe sich törichterweise dazu verleiten lassen in einem Streitgespräch, den Pabst durch seine Äußerungen als dumm erscheinen zu lassen, nur weil er mehr auf Seiten der Tradition stand als G. selbst. Die Personalisierung von Zeitphänomenen war nicht nur damals ein Denkfehler. Er gehört auch heute noch zu den tagtäglichen Machtspielen, über die in fast jeder Tagesschau berichtet wird.

Es ist das eigene Thema, das mich mit Heinrich Huebschmann verbindet, die Anerkennung der Bedeutung der Biografie des Patienten und der (viel zu oft verdrängten) Emotionen (Kränkungen) zu Beginn eines Krankheitsgeschehens und die anticyclische Auseinandersetzung mit eigenen metaphysischen Vorstellungen oder Bedingungen. Schon in seinem ersten Gespräch mit Eduard Spranger kommt H. auf den scheinbar aussichtslosen Kampf Jakobs mit dem Engel zu sprechen und fragt dann unumwunden:

„Können wir Gott alleine finden? Glauben Sie, dass man Gott alleine finden kann?“

Spranger: „Das ist eine sehr schwierige Frage.“ H. : „Ich glaube, dass das nur in Gemeinschaft möglich ist“ (a. a. O. S. 223).

Das glaube ich zwar nicht, aber ich glaube, dass es gut wäre, wenn wir dieser Frage bei Gesprächen mit unseren Patienten nicht ausweichen würden.