ergopraxis 2013; 6(01): 26-27
DOI: 10.1055/s-0032-1333450
ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Assessment: BseK-Interview – Probleme aufspüren

Ulrike Weise

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Publication Date:
11 January 2013 (online)

 

Kinder, die Probleme im sozial-emotionalen Bereich haben, verschweigen diese häufig. Um herauszufinden, welche Schwierigkeiten die Kinder mit anderen haben und was sie daran verändern möchten, können Ergotherapeuten ihnen den Auftrag geben, relevante Situationen zu fotografieren. Diese Fotos sind Grundlage für das BseK-Interview.


Ulrike Weise

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Ulrike Weise, Ergotherapeutin MSc, arbeitet seit 1998 im Bereich Pädiatrie (Frühförderung, ambulante Praxis). Seit 2009 ist sie zusätzlich als Lehrende in Bachelorstudiengängen tätig. 2011 schloss sie an der HAWK Hildesheim ihr Masterstudium erfolgreich ab. Ergotherapeuten, die sich für das BseK-Interview interessieren, können sich gerne an sie wenden: ulrike_weise@gmx.net.

Zu Beginn einer ergotherapeutischen Intervention nennen Kinder und ihre Eltern, was sich bei Alltagsaktivitäten verändern soll. Klassische Beispiele sind besser Fahrrad zu fahren oder eine Schleife zu binden. Seit einigen Jahren stehen immer häufiger Schwierigkeiten im Bereich der sozial-emotionalen Kompetenz im Mittelpunkt der Behandlung. Eltern berichten, dass ihre Kinder Probleme in der Interaktion mit Freunden, Familienmitgliedern oder Lehrern haben. Allerdings: Die meisten Kinder erzählen nur ungern darüber. Einige stellen ihre Beziehungen zu anderen Personen übertrieben positiv dar. Mit bestehenden Assessments wie dem COPMa-kids oder dem COSA ist es häufig schwierig, Probleme im sozial-emotionalen Bereich zu erheben [1, 2].

Wie nehmen Kinder Beziehungen wahr?

Das BseK-Interview ermöglicht, Betätigungsbedürfnisse hinsichtlich sozial-emotionaler Kompetenz gemeinsam mit Grundschulkindern im Alter von sieben bis zehn Jahren mit ADHS zu benennen. Diese Kinder sind eine häufige Klientengruppe in der Ergotherapie [3]. Neben den klassischen Hauptsymptomen wie Impulsivität, Überaktivität und Unaufmerksamkeit weisen sie häufig Probleme im sozial-emotionalen Bereich auf [4]. Wie aber nehmen die Kinder die Beziehungen zu Bezugspersonen in verschiedenen Betätigungen wahr, zum Beispiel beim Hausaufgabenmachen oder beim Fußballspielen? Mithilfe des BseK-Interviews erfahren Ergotherapeuten, welche Probleme die Kinder bei den Betätigungen erleben und was sie daran verändern möchten. Das Assessment misst allerdings nicht die Fertigkeiten eines Kindes im sozial-emotionalen Bereich.

Den ergotherapeutischen theoretischen Rahmen bildet das kanadische Modell CMOP-E [5]. Das Interview wurde so konzipiert, dass es trotz der ADHS-Symptome durchgeführt werden kann.


Phase 1: Das Kind bekommt einen Auftrag

Das Interview teilt sich in zwei Phasen und findet an zwei Terminen statt (Abb. 1). Bereits in der ersten Therapieeinheit kann die Therapeutin das BseK-Interview einsetzen. Dafür sollte sie 10 bis 20 Minuten einplanen - je nach Erklärungsbedarf des Kindes. In dieser ersten Phase informiert sie das Kind über Grund und Ablauf des Interviews. Zudem gibt sie ihm den Auftrag, für das Interview in der zweiten Phase fünf Fotos zu machen. Darauf sollen Betätigungen und Situationen zu sehen sein, die für das Kind wichtig sind. Abschließend klären Therapeutin, Kind und Eltern organisatorische Fragen, zum Beispiel zur Kamera oder zum Interviewtermin. Das Kind macht die Fotos bis zum Interview in der zweiten Phase.


Phase 2: Das Interview zum Problem

Die Therapeutin führt das BseK-Interview in der zweiten Phase mit dem Kind durch. Sie wählt einen gemütlichen, reizarmen Raum. Zur Vorbereitung überlegt sie mit dem Kind, wo das Gespräch im Raum stattfindet. Dann erläutert sie kurz das Gesprächsziel und gibt dem Kind einen Ablaufplan. Das Kind kann darauf jeden beendeten Teilschritt abhaken und weiß somit, wo es sich im Gespräch befindet. Die Ergotherapeutin erklärt, dass man nichts Falsches sagen kann, dass man jederzeit nach Pausen fragen darf oder dass man sich ausreden lässt. Nachdem das Kind seine fünf Fotos kurz beschrieben hat, wählt es ein Foto aus, über das es zuerst erzählen möchte.

In der Hauptgesprächsphase stellt die Therapeutin allgemeine Fragen zum Foto, damit das Kind über die dargestellte Betätigung erzählt. Um mögliche Probleme in der Interaktion mit Bezugspersonen zu erfahren, stellt sie spezifische Fragen, die sich auf die Situation auf dem Foto und die bisherigen Erzählungen beziehen und sich an den Fertigkeiten der sozial-emotionalen Kompetenz orientieren. Ist zum Beispiel ein Fußballspiel abgebildet, könnte die Therapeutin fragen: „Wenn ihr Fußball spielt, welche Regeln musst du im Umgang mit den anderen Kindern beachten?“, und weiter: „An welche Regeln kannst du dich dabei gut/nicht so gut halten?“ (soziale Fertigkeit „Regeln einhalten“). Die Ergotherapeutin hat hierfür einen Leitfaden zur Verfügung, der Anweisungen und Fragemöglichkeiten aufzeigt.

Nennt das Kind ein sozial-emotionales Problem, setzt die Therapeutin die Veränderungsfrage ein: „Wenn du etwas in der Situation verändern könntest, was sollte dann anders sein?“ So unterstützt sie das Kind darin, ein Betätigungsbedürfnis zu nennen.


Mit Bildkarten die Emotionen konkretisieren

Wenn Kinder die fotografierten Interaktionen nur positiv darstellen und trotz der gezielten Fragen ausweichend antworten, Situationen oder Emotionen nicht benennen, kann die Therapeutin Interaktions- oder Emotionskarten einsetzen. Mit Interaktionskarten verdeutlicht sie, was an einer Situation positiv oder negativ sein kann, zum Beispiel: Eltern loben oder schimpfen. Mit Emotionskarten zeigt sie anhand von Gesichtsausdrücken, wie einem zumute sein könnte [8]. Dabei stellt die Therapeutin immer einen Bezug zum Foto des Kindes her und vermeidet suggestive Fragen. Beschreibt das Kind daraufhin Probleme in der sozial-emotionalen Kompetenz, folgt wiederum die Veränderungsfrage (Abb. 1).

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Abb. 1 Schematischer Ablauf des BseK-Interviews
(Grafik: Angelika Brauner)

Die Betätigungsanliegen des Kindes werden anschließend anhand der COPMa-kids-Skalen nach Wichtigkeit, aktueller Durchführung und Zufriedenheit bewertet [1]. Dann beendet die Therapeutin das Gespräch. Die Interviewdauer liegt je nach Alter des Kindes und seiner Tagesverfassung zwischen 20 bis maximal 40 Minuten. In dieser Zeit werden zwei bis vier Fotos besprochen.


Vier Prinzipien

Das BseK-Interview beinhaltet vier Prinzipien, die wesentliche Merkmale für ein erfolgreiches Interview darstellen: offene Grundhaltung, Visualisierung der Situation, Vorgehensweise und Zielführung. Das bedeutet unter anderem, die Therapeutin setzt überwiegend offene Fragen ein, um nicht in ein Frage-Antwort-Spiel zu verfallen. Sie orientiert sich im Gesprächsund Frageverlauf immer wieder am Foto. Um eine Überforderung des Kindes zu vermeiden, beachtet sie die kognitiven und sprachlichen Fertigkeiten sowie die Aufmerksamkeit des Kindes. Es ist wichtig, sich im Vorfeld intensiv mit diesen Prinzipien zu befassen, um das Interview gezielt zu steuern. Zudem sollte die Therapeutin über Erfahrungen in der klientenzentrierten Gesprächsführung mit Kindern verfügen.


Noch keine Gütekriterien

Das BseK-Interview wurde von 2010 bis 2011 im Rahmen der Masterarbeit der Autorin mit einer Stichprobe von sechs Kindern entwickelt und angewandt. Folgestudien an größeren Stichproben sind notwendig, um die Gütekriterien zu untersuchen. Zu Beginn sind vor allem Inhaltsvalidität und Praktikabilität von Bedeutung [9]. Hier wäre eine breite Anwendung des BseK-Interviews von Ergotherapeuten aus der Praxis sinnvoll. Durch quantitative und/oder qualitative Befragungen könnte man essenzielle Ergebnisse zur Praktikabilität gewinnen und das Assessment entsprechend optimieren. Außerdem sollte ein Expertenpanel das BseK-Interview in Bezug auf seine theoretischen Konstrukte und die formulierten Definitionen überprüfen.


Betätigungsorientiert, aber für eine spezielle Zielgruppe

Das BseK-Interview unterstützt Kernelemente der Ergotherapie, denn es beinhaltet eine betätigungsorientierte Perspektive und verfolgt den klientenzentrierten Ansatz. Es ist sowohl bei der Befunderhebung als auch bei der späteren Evaluation einsetzbar. Das Assessment kann aufgrund seines spezifischen Fokus nicht bei jedem Klienten eingesetzt werden. Eine individuelle Überprüfung ist in jedem Fall erforderlich.





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Abb. 1 Schematischer Ablauf des BseK-Interviews
(Grafik: Angelika Brauner)