Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2013; 48(1): 48-56
DOI: 10.1055/s-0032-1333079
Fachwissen
Anästhesiologie – Topthema: Awareness
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Awareness – Klinische Relevanz

Awareness – clinical relevance
Stefanie Pilge
,
Gerhard Schneider
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Publication Date:
30 January 2013 (online)

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Zusammenfassung

Awareness ist eine seltene, aber typische Komplikation der Allgemeinanästhesie. Bei Erwachsenen wird eine Inzidenz von 0,1–0,2% bis zu 1% (Risikokollektiv) beschrieben; bei Kindern ist sie deutlich höher anzunehmen mit 0,2–1,2%. Die Begriffe „Awareness“ und „unerwünschte intraoperative Wachheit“ werden häufig synonym verwendet und beziehen sich beide „nur“ auf intraoperative Wachheit mit expliziter Erinnerung.

Wachheit während Allgemeinanästhesie kann alsein psychisches Trauma (gemäß DSM-IV/ICD-10)definiert werden. Die Entwicklung psychischer Folgesymptome bis hin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung ist möglich. Eine Empfehlung des wissenschaftlichen Arbeitskreises Neuroanästhesie der DGAI über den perioperativen Umgang mit Awareness entstand in Anlehnung an die Empfehlungen der American Society ofAnesthesiologists (ASA).

Der Beitrag geht auf Risikofaktoren und Folgen von Awareness ein, erläutert die Möglichkeiten zur Detektion intraoperativer Wachheit und postoperativer Erinnerung und gibt Empfehlungen zur Prävention von und zum Umgang mit Awareness.

Abstract

Awareness is a rare but typical complication during general anesthesia, with a reported incidence of 0.1– 0.2% to 1% (high risk patients) in adults and probably much higher in children with 0.2 –1.2%. Awareness is defined as consciousnessduring general anesthesia with explicit (conscious) recall of memories.

Wakefulness during anesthesia can meet DSM-IV criteria of trauma. Significantlong-term psychological sequelae (e.g. post–traumatic stress disorder) may occur.Recommendations of the German Society of Anesthesiologists have been developed according to the ASA Task Force for intraoperative awareness and brain function monitoring.

The article focuses on risk factors and sequelae of awareness, explains the options for detection of intraoperative wakefulness and postoperative memories and makes recommendations for preventionand handling of awareness.

Kernaussagen

  • Es wird empfohlen, Risikopatienten für Awareness zu identifizieren durch eine fokussierte Anamnese für bzw. klinische Untersuchung auf die bisher bekannten Risikofaktoren.

  • Zumindest Patienten mit erhöhtem Risiko für Awareness sollten präoperativ aufgeklärt werden.

  • Benzodiazepine können negative psychologische Folgen durch einen dissoziierten Amnesieprozess verstärken. Neuromuskuläre Blockaden wurden mit einer erhöhten Inzidenz von Awareness und psychologischen Langzeitfolgen assoziiert.

  • Kommerziell erhältliche EEG-basierte Narkosetiefemonitore können derzeit nicht als Standard zur Awareness-Prävention empfohlen werden – Einzelfallentscheidungen für Hochrisikopatienten können sinnvoll sein. Die Geräte wurden nicht mit EEG-Daten von Kindern trainiert.

  • Intraoperativ sollen möglichst verschiedene Modalitäten zur Erfassung der Narkosetiefe eingesetzt werden. Bei Hochrisikopatienten empfiehlt sich als Erweiterung des klinischen Monitorings die isolierte Unterarmtechnik. Vermutet man Wachheit während der Allgemeinanästhesie, sollte der Patient unverzüglich und ruhig angesprochen werden.

  • Für die klinische Routine der postoperativen Visite wird die wiederholte Anwendung eines strukturierten Interviews mit gezielten Fragen nach Awareness bei Erwachsenen empfohlen. Für ein semi-strukturiertes Interview bei Kindern gibt es noch keinen einheitlichen Konsens.

  • Spätestens nach 4 Wochen Symptompersistenz besteht die Indikation zur psychotherapeutischen Behandlung mit traumakonfrontativen Verfahren gemäß Leitlinien.

Ergänzendes Material