NOTARZT 2013; 29(01): 1-2
DOI: 10.1055/s-0032-1332837
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

In memoriam Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. mult. Friedrich Wilhelm Ahnefeld

In memoriam Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. mult. Friedrich Wilhelm Ahnefeld
L. Lampl
1   Bundeswehrkrankenhaus, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Luftrettungsstation „Christoph 22“
,
P. Sefrin
2   Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte e.V. – agbn
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Publication Date:
22 February 2013 (online)

Mit großer Trauer und Betroffenheit haben wir von der Familie die Nachricht erhalten, dass am 29.11.2012 im Alter von fast 89 Jahren unser hochgeschätzter akademischer Lehrer und Vorreiter der Notfallmedizin, Prof. Dr. Dr. F. W. Ahnefeld, verstorben ist. Mit seiner Familie trauert weit über Ulm, und sicher auch über Deutschland hinaus, die gesamte anästhesiologische, notfall- und intensivmedizinische Fachwelt, gemeinsam mit zahllosen Kolleginnen und Kollegen, deren Lebensweg durch das Wirken des Verstorbenen maßgeblich beeinflusst und geprägt worden ist.

Prof. Ahnefeld war mit Sicherheit einer der großen Pioniere und Bahnbrecher für das heutige Gesamtfachgebiet der Anästhesie, Schmerztherapie, Intensiv- und Notfallmedizin. Besonders für seine notfallmedizinischen Konzepte darf getrost das Wort „genial“ verwendet werden, wenn man der inhaltlichen Definition folgt, dass „Genie“ darin besteht, mit klaren Visionen und Konzepten an Punkten der Zeitenwende das künftige Geschehen maßgeblich und dauerhaft zu prägen. Dies zeigt sich nicht nur aus dem – zugegeben – umschriebenen Blickwinkel im tagtäglichen Betrieb der von Ahnefeld ins Leben gerufenen Luftrettungsstation Ulm, sondern auch im gesamten Bereich der Notfall- und Rettungsmedizin.

Ahnefeld entstammte einer traditionellen preußischen Familie und wurde am 12.1.1924 in Woldenberg/Neumark geboren. Sein Medizinstudium begann er 1942 in Posen, unterbrochen durch Einsatz an der Ostfront und schwere Verwundung konnte er nach Kriegsende sein Studium an der Universität Münster fortsetzen und erhielt 1951 in Düsseldorf Approbation und Promotion. Nach eineinhalb Jahren pharmakologischer Tätigkeit unter Prof. Weese in Elberfeld erfolgte die Facharztweiterbildung zum Chirurgen in Essen und Bochum. 1958 trat er als Sanitätsoffizier in die noch junge Bundeswehr ein. Von 1959 – 1962 absolvierte er seine Facharztweiterbildung für Anästhesie unter Prof. Dr. R. Frey an der Universität Mainz, dem ersten Ordinarius für Anästhesiologie. In diese Zeit fällt auch die spezielle Aufgabenstellung der Reorganisation der Rettungsdienste mit den wissenschaftlichen Schwerpunkten der Schocktherapie, der Beatmung, der kardiopulmonalen Reanimation und insbesondere der Entwicklung der „Rettungskette“, erstmals veröffentlicht 1970 in der Zeitschrift „Der Internist“ (Internist 11, 41 – 46). Daraus ergaben sich zahlreiche internationale Kontakte zu großen Namen der Medizin wie Prof. Safar, Pittsburgh, Prof. Lassner, Paris, oder Prof. Ruben, Kopenhagen. In dieser „Liga“ verschaffte der Verstorbene über alle Jahre der deutschen Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin Geltung und Ansehen. Ebenfalls in Mainz erfolgte 1964 die Habilitation, deren Thema „Der Schock bei Verbrennungsverletzten, klinische und tierexperimentelle Untersuchungen“ wohl als Grundakkord für die Schwerpunkte und die Breite des späteren Fachwirkens angesehen werden darf. Von ihm stammt auch – daraus resultierend – der Begriff der „Verbrennungskrankheit“ (Langb Arch Chir 329 [1971]). 1968 erfolgte der Wechsel an das neu gegründete Bundeswehrkrankenhaus Ulm in der Funktion des Chefarztes und – in Personalunion – des Abteilungsleiters für Anästhesiologie an der noch jungen Universität Ulm. 1973 schließlich wurde Prof. Ahnefeld auf den Lehrstuhl für Anästhesiologie der Universität Ulm berufen.

Das in Ulm durchgeführte wissenschaftliche Programm hatte folgende Schwerpunkte:

  • Bilanzuntersuchungen über den Elektrolytstoffwechsel;

  • die Bedeutung der Spurenelemente, insbesondere des Zinks für den Zellstoffwechsel;

  • Feststellung der Aminosäuremuster bei bestimmten Traumen und Erkrankungen, Neuentwicklungen in der parenteralen und enteralen Ernährungstherapie;

  • tierexperimentelle Studien über die Möglichkeiten der Langzeitbeatmung;

  • experimentelle Untersuchungen über Fragen der Verbrennungsbehandlung;

  • ausgewählte Fragestellungen der Notfall- und Katastrophenmedizin.

Nur mit höchster Achtung kann man – und das auch nur unvollständig – rückblickend zusammenführen, mit welch umfangreichen Arbeitsfeldern im universitären und fachlichen Bereich dies vergesellschaftet war: Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes, Dekan der Klinisch-medizinischen Fakultät der Universität Ulm, Ärztlicher Direktor des Klinikums der Universität Ulm, Lehrstuhlinhaber für Anästhesiologie bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1992, Präsident und später Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, um nur einige Schlaglichter aufzuführen. Damit untrennbar verbunden ist ein außergewöhnlich umfangreiches publikatorisches Werk (siehe Sammelband anlässlich des 50. Geburtstags mit derzeit fast 90 Publikationen).

Auf der sehr bewegenden Trauerfeier wurden von den Trauerrednern zwei besonders hervorstechende Eigenschaften des Verstorbenen hervorgehoben, nämlich sein Familiensinn und seine außergewöhnliche Selbstdisziplin. Diese vor allem auch gedankliche und konzeptionelle Disziplin konnten wir ebenso wie seine bestechende geistige Klarheit bis ins höchste Alter immer wieder staunend beobachten, wenn er uns als Gast die Ehre gab, beispielsweise bei der 40-Jahr-Feier der Luftrettungsstation Ulm wie als viel begehrter Referent oder Organisator vieler notfallmedizinischer Symposien. Diese Eigenschaften sind es auch, mit denen er uns Ansporn und Vorbild bleiben wird.

Ahnefeld entstammte einer Familie mit preußischer Tradition. Auch wenn der Zeitgeist unserer Tage mit dem Wort von den „preußischen Tugenden“ nicht sehr viel anzufangen weiß, so kann nicht bestritten werden, dass es sie – im besten Sinne – dennoch gibt. Sie waren zweifellos tragende Säule des Lebens und des Gesamtwerkes von F. W. Ahnefeld. Vielleicht kommt man ihrem Gehalt näher, wenn man den altrömischen Begriff der „Virtus“ betrachtet: Da das Wort „Tugend“ auch hier nicht wirklich taugt, muss man umschreiben: „Virtus“ umfasst zwei tragende Persönlichkeitssäulen, nämlich die Selbstdisziplin einerseits und die unbedingte Verpflichtung auf das Gemeinwohl andererseits. In diesem Licht wird uns der Verstorbene in Erinnerung bleiben. Dafür stehen in der Tradition seiner Familie wohl auch die Vornamen Friedrich Wilhelm, immerhin die Vornamen des Großen Kurfürsten und mehrerer nachfolgender preußischer Könige.

Bestechend wird in Erinnerung bleiben, mit welcher selbstverständlichen Klarheit und mit welchem Selbstbewusstsein gegenüber anderen, meist älteren Fachgebieten, Ahnefeld die Positionen des noch jungen Faches vertreten hat. Wenn beispielsweise in einem 1977 erschienenen Lehrbuch der Chirurgie der Einleitungssatz steht „Die Chirurgie ist so alt wie die Menschheit“, so findet sich in Ahnefelds „Sekunden entscheiden“ aus dem Jahr 1967 der Einleitungssatz „Die Wiederbelebung ist so alt wie die Menschheit“. Der Verstorbene hat dies als nicht beabsichtigten Zufall bezeichnet, wir sehen darin jedoch eine selbstbewusste Vertretung der Positionen unseres Fachgebiets im gleichberechtigten Konzert mit anderen. Und wie die Präsidentin der DGAI nach ihrer Trauerrede richtigerweise feststellte, gilt nun für uns sicher der Spruch „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“.

Ahnefeld wird von vielen als der „Vater“ des modernen Rettungswesens gesehen. Er hat die Notfallmedizin und das Rettungswesen entscheidend geprägt. Davon zeugt eine Vielzahl vom Initiativen. So war er schon 1970 beim 2. Rettungskongress des DRK – viele weitere trugen seine Handschrift – maßgeblich an dessen Forderungen beteiligt, die wie die Forderung nach einer einheitlichen Notrufnummer erst heute 2012 nach über 40 Jahren umgesetzt werden. Zur gleichen Zeit wurde bereits das Berufsbild des Rettungssanitäters gefordert – eine heute hoch aktuelle Forderung. Aber nicht nur die Re-Organisation des Rettungsdienstes war ihm ein Anliegen, sondern auch die technische Umsetzung der neuen Möglichkeiten der Notfallmedizin. So sollte die 1968 neu geschaffene DIN Norm 75080 für Krankenwagen schon 1970 durch eine Vakuummatratze und aufblasbarer Schienen ergänzt werden. Auf seine Initiative und auf die Verbindung zur Bundeswehr ging die Einbeziehung von Hubschraubern in den Rettungsdienst zurück. Zur Verbesserung der präklinischen und der klinischen Versorgung sollte eine „Katalogisierung der Krankenhäuser“ als Anlaufstelle für den Rettungsdienst erfolgen, was heute der Spezialisierung für bestimmte Notfalldiagnosen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Trauma) entspricht. Vorläufer für die heute selbstverständlichen Intensivstationen sollten „interdisziplinäre Reanimationseinheiten“ sein. Die heutige Diskussion über die Einrichtung von Zentralen Notaufnahmen wurde von ihm vorweg genommen mit seinem Vorschlag der Schaffung von „ interdisziplinären zentralen Aufnahmeeinheiten für Notfallpatienten zur Klärung der Prioritäten der Versorgung und zur Festlegung derjenigen medizinischen Disziplinen, die seine endgültige Versorgung durchführen sollten“. Den Wegbegleitern ist das Ringen um Definitionen von Begriffen der Notfallmedizin unvergesslich, die sich teilweise bis in die späte Nacht erstreckten (z. B. die Abgrenzung von Notfall und Akutfall).

Prof. Ahnefeld war mit seinen Visionen eines modernen Rettungswesens seiner Zeit weit voraus, was alle, die mit ihm zusammen arbeiten durften, überraschte. Andererseits hat er damit die Weichen für die Zukunft gestellt. Es gelang ihm durch seine schlagende Argumentation, andere zu überzeugen und mit ins Boot zu nehmen, sodass wir als seine Wegbegleiter uns noch heute bemühen, sein Erbe in die politische Diskussion einzubringen. Bewundert haben wir nicht nur seine Überzeugungskraft, sondern auch sein Engagement, das er dem Rettungsdienst neben seinen anderen Aufgaben entgegenbrachte.

Prof. Ahnefeld hinterlässt seine Gattin, 4 Kinder und 13 Enkelkinder. Ihnen gilt unser aufrichtiges Mitgefühl. Die letzten Jahre hat er – wie er selbst sagte – als Familienmensch verbracht und sich mit einem feinen Schuss an Selbstironie dabei als „ungelernte Hilfskraft in der Betreuung seiner Enkelkinder“ bezeichnet. Und so klang die Trauerfeier in bewegender Weise und authentisch aus mit der Melodie „O mein Papa“.

Nun lebt Prof. Ahnefeld nicht mehr, uns bewegen Schmerz und Trauer. Noch leise zwar, kündigt sich aber doch bereits an, was das tragende Gefühl im Rückblick auf Dauer hoffentlich sein wird: Eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass wir ihn gehabt haben.

Prof. Dr. L. Lampl, Ulm

Prof. Dr. P. Sefrin, Würzburg