Dialyse aktuell 2012; 16(07): 422-423
DOI: 10.1055/s-0032-1328819
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ernährungstherapeutische Maßnahmen – Implementierung in den Praxisalltag

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Publication Date:
17 September 2012 (online)

 
 

Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen, besonders wenn sie dialysepflichtig sind, decken oftmals ihren Nährstoffbedarf nicht über die tägliche Nahrungsaufnahme [ 1 ] . Die Folge ist ein steigendes Risiko für Mangelernährung, die als ein unabhängiger Risikofaktor für Morbidität und Mortalität gilt [ 2 ] . In der Praxis heißt dies, frühzeitig Patienten mit einem Risiko für Malnutrition zu identifizieren und zu therapieren. Keine einfache Aufgabe, denn die Nährstoff- und damit auch die Therapiebedürfnisse sind individuell sehr verschieden. Wie diese Aufgabe dennoch gut gelöst werden kann, erläutert Dr. med. Dr. troph. Jörg Ferber, niedergelassener Internist/Nephrologe (medizinisches Qualitätsmanagement) und Ökotrophologe aus Leverkusen.

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Dr. med. Dr. troph. Jörg Ferber

? Patienten mit chronischer Nierenerkrankung haben ein besonders hohes Risiko für eine Mangelernährung. Welche Faktoren bedingen das? Warum sind die individuellen Anforderungen an die Ernährungstherapie so speziell?

Dr. med. Dr. troph. Jörg Ferber: Das Risiko für eine Mangelernährung ist bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung tatsächlich sehr hoch: Auswertungen von BIA-Messungen (BIA: bioelektrische Impedanzanalyse) in unserer Praxis über mehrere Jahre haben die Angaben in der Literatur bestätigt. Die Prävalenz der Mangelernährung beträgt bei dialysepflichtigen Patienten 20–70 % [ 2 ]. Die Schwankung ist durch die unterschiedlichen Bestimmungsmethoden zu erklären. Bis zu 10 % aller Patienten sind sogar hochgradig mangelernährt [ 3 ]. Die Ursachen sind sehr vielfältig, meist gibt es auch mehrere Gründe [ 3 ]. Das Auftreten einer Urämie führt häufig zu Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Dazu kommt oft eine Appetitlosigkeit, die unter anderem durch die Anhäufung urämischer Toxine hervorgerufen wird. Auch Veränderungen des Geschmacksinns, die Einnahme vieler Medikamente sowie Depressionen tragen zum verminderten Appetit bei.
An der Entstehung einer Mangelernährung ist zudem eine metabolische Azidose bei ungenügender Pufferung ganz entscheidend beteiligt. Sie führt zu einem gesteigerten Proteinkatabolismus, einer vermehrten Oxidation verzweigtkettiger Aminosäuren und verminderter Synthese viszeraler Proteine [ 4 ]. Zudem muss beachtet werden, dass bei jeder Dialysesitzung Eiweiße und andere wichtige Nährstoffe wie Glukose, wasserlösliche Vitamine, Spurenelemente und Carnitin verloren gehen. Der Nährstoffbedarf kann im Krankheitsverlauf sehr variieren, sodass die Anforderungen individuell sehr verschieden sind. Kritische Substanzen müssen je nach Bedarf zusätzlich aufgenommen werden. Verwirrend für den Patienten ist dabei, dass in der prädialytischen Phase eine Reihe von ernährungs-bedingten Verhaltensweisen umgekehrt praktiziert werden mussten. Daher ist es von hoher Bedeutung, sich mit den Patienten sehr intensiv über ihr früheres und jetziges Ernährungsverhalten in gut verständlicher Form auseinander zu setzen.

? Welches sind die Hauptprobleme Ihrer Patienten in Bezug auf Ernährung und was können Sie dagegen tun?

Ferber: Die Hauptprobleme für die Patienten sind Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und daraus resultierend die massive Gefahr der Mangelernährung. Sie zu vermeiden, ist ein wichtiges Ziel der Therapie. Deshalb ist eine frühzeitige Diagnose der Mangelernährung, eine Ernährungsberatung sowie eine ernährungstherapeutische Betreuung gemäß dem Stufenschema und den Empfehlungen der "Leitlinien für Enterale und Parenterale Ernährung für Patienten mit Nephrologischen Erkrankungen" [ 2 ], [ 5 ], [ 6 ] ganz wichtig. Zeigt sich ein reduzierter Ernährungszustand, besteht die Indikation für eine unterstützende Ernährungstherapie.
Im ersten Schritt sollte angestrebt werden, durch entsprechende diätetische Maßnahmen die Nährstoffzufuhr zu verbessern. Ist dies nicht erfolgreich, sollte eine enterale Ernährung in Betracht gezogen werden. Zunächst können orale Trinksupplemente hilfreich sein. Zur ergänzenden Ernährung von Dialysepatienten ist Trinknahrung mit hohem Energie- und Eiweißgehalt geeignet. Wenn möglich, sollten die Patienten immer zumindest eine partielle orale oder enterale Ernährung erhalten.
Reicht diese nicht aus, wird die Initiierung einer intradialytischen parenteralen Ernährung (IDPE), also eine Ernährung während der Dialyse, empfohlen. Wichtig ist es, die parenterale Ernährungstherapie immer individuell an die Situation des Patienten und dessen Nährstoffbedarf anzupassen. Die Mehrzahl der Patienten benötigt eine elektrolytfreie, volumenminimierte und sehr proteinhaltige Nährlösung. Der besondere Bedarf an wasserlöslichen Vitaminen wird durch eine Zugabe spezieller flüssiger Vitaminpräparate in die Nährlösung zur IDPE erst kurz vor der Verabreichung gedeckt. Standardprodukte zur parenteralen Ernährung, die diese Zusammensetzung aufweisen, sind nicht im Markt erhältlich.

? Wie entscheiden Sie, ob ein Patient eine Ernährungstherapie erhält?

Ferber: Wichtige Hinweise auf den Ernährungszustand und somit auf den Bedarf einer Ernährungstherapie geben die Anamnese und ein Screening mithilfe des Subjective Global Assessments (SGA). Dies wird bei uns durch speziell geschultes Fachpersonal durchgeführt. Aussagekräftig ist auch die BIA-Messung, die bioelektrische Impedanzanalyse, welche eine Ernährungsberaterin mithilfe eines versorgenden Unternehmens auswertet. Zudem führen wir ein regelmäßiges Monitoring bestimmter Blutparameter (wie das Präalbumin und Albumin) durch. Alle Untersuchungen zusammen ergeben ein umfassendes Bild des Risikopotenzials eines Patienten, auf dessen Basis Arzt und Ernährungsberaterin gemeinsam über ernährungstherapeutische Maßnahmen entscheiden können.

? Sie haben eine Ernährungsberaterin (Ökotrophologin) in Ihrer Praxis zur unterstützenden Beratung und Aufklärung Ihrer Patienten etabliert. Welche Erfolge können Sie durch die Ernährungsberatung verzeichnen und wie wirkt sich dies auf die Kostensituation aus?

Ferber: Die Lebensqualität der chronischen nephrologischen Patienten in unserer Praxis (und sicher auch in anderen nephrologischen Praxen) ist meist sehr eingeschränkt. Zunehmend werden die zu behandelnden Menschen älter und ihre Krankheitsbilder komplexer. Es ist bekannt, dass eine Mangelernährung als unabhängiger Prognosefaktor für die Morbidität und Mortalität von Dialysepatienten eingestuft wird [ 2 ]. Deshalb zahlt sich die Ernährungsberatung aus unserer Sicht für die Patienten auf jeden Fall aus. Supplementierende Maßnahmen werden oft nur für eine bestimmte Zeit und nicht dauerhaft benötigt. In der Regel kann es gelingen, den Ernährungszustand zu stabilisieren oder sogar zu verbessern. Das führt zu weniger Komplikationen, einer Minderung der Häufigkeit stationärer Aufenthalte oder deren Verweilzeit, einer Verbesserung der Langzeitprognose und vor allem der Lebensqualität. Zudem wird den Patienten durch Anregung des Appetits wieder eine orale Ernährung ermöglicht. Für Transplantationen kann mithilfe der Ernährungstherapie eine verbesserte Ausgangslage geschaffen werden. Dies alles kann sich positiv auf die Behandlungskosten auswirken.

? Rechnen Sie die Ernährungsberatung ab und wenn ja, bei welchen Patienten?

Ferber: Bislang sind diese Leistungen in unsere Praxisarbeit implementiert und haben noch zu keiner Belastung der Kostenträger geführt. Investieren bedeutet unternehmerisch auch profitieren. Diese oftmals nicht so ohne Weiteres messbare Größe finden wir in einem weniger belasteten Patienten wieder, der mit ebenso weniger negativen Kenngrößen seiner Erkrankung ein höheres Maß an Wohlbefinden rückmeldet. Gleichsinnig dazu ist auch eine Psychologin im Team tätig.

? Anhand welcher Parameter messen und dokumentieren Sie diese Erfolge?

Ferber: Wir dokumentieren beispielsweise die BIA-Messungen als Verlaufsreihen sowie die Präalbumin- und Albuminwerte. Dazu benutzen wir unsere Praxissoftware, in der die Patientendaten gespeichert sind. Ganz wichtig ist es, die Berechnung für den individuellen Nährstoffbedarf des Patienten bei einer IDPE festzuhalten. Somit sind alle Daten verfügbar und für Anfragen dokumentiert. Wenn auch noch keine Marker im Sinne ernährungstherapeutischer Qualitätssicherung in den nephrologischen Systemen vorgeschrieben sind, wie beispielweise in der Qualitätssicherung bei den Dialyseverfahren, sollte man nicht vergessen, dass eine exakte Dokumentation der Vorgehensweise im Bereich der Ernährungsanalyse und der daraus resultierenden Therapie selbstverständlich zu fordern ist. Dies gibt im Praxisalltag auch Sicherheit für den Fall von Anfragen durch die Kostenträger.

? Wie setzen Sie die Ernährungstherapie trotz des großen Zeitdrucks in Ihrem Praxisalltag um?

Ferber: Das Screening und die Dokumentation übernehmen Mitarbeiter, die speziell im Themenfeld Ernährungstherapie fortgebildet sind. Den Ablauf haben wir inzwischen fest in den Praxisalltag implementiert. Die Ernährungsberaterin übernimmt die Beratung der Patienten und trifft eine Vorauswahl der Maßnahmen. Sie bietet auch eine Ernährungssprechstunde für die Patienten an. Als Nephrologe und Ökotrophologe leite ich dann die ernährungstherapeutischen Maßnahmen in die Wege. Wir nutzen zudem die Unterstützung von externen Versorgern, mit denen unsere Praxis eine vertrauensvolle Zusammenarbeit pflegt. Wir erhalten zum Beispiel Unterstützung bei der BIA-Messung, der patientenindividuellen Verlaufsdokumentation, werden in der Praxis auf den Umgang mit Produkten und Pumpen geschult und haben die Option, an verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen.

? Sie haben eben den individuellen Bedarf dieses Patientenklientels betont und uns Ihre Therapieentscheidung transparent gemacht. In letzter Zeit gibt es verstärkt kassengetriebene Bestrebungen, diesen Entscheidungsablauf und Versorgungsprozess zu automatisieren. Können diese Systeme der komplexen Thematik gerecht werden?

Ferber: Diese Systeme wurden in erster Linie dafür entwickelt, Kosten im Gesundheitssystem einzusparen, was grundsätzlich wichtig ist. Dennoch können diese Systeme nicht die ganze Komplexität des Bedarfs und der Versorgung von Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen erfassen. Ihr spezieller Bedarf an Nährstoffen erfordert in der Regel auch eine sehr individuelle Produktauswahl. Diese Anforderungen und darüber hinaus der Bedarf der Praxis (wie z. B. die Notwendigkeit, die Ernährungstherapie über ein Pumpensystem zu verabreichen) werden beim automatisierten Versorgungsprozess nicht berücksichtigt. Darüber hinaus prüfen die Systeme nicht, ob eine parenterale Ernährung die einzige Therapieoption für den Patienten ist.
Man sollte auch beachten, dass es sich bei der Ernährungstherapie nicht um generische Produkte handelt, die über einen Preisvergleich ausgewählt werden können. Die ausgewählten Produkte verschiedener Hersteller unterscheiden sich meist in ihrer Zusammensetzung, was vor allem vor dem Hintergrund, dass das Programm keine Kompatibilitäts- und Stabilitätsaussagen trifft, ungünstig ist. Die komplexe Therapieentscheidung bei nephrologischen Patienten kann in solch einem System somit nicht zufriedenstellend abgebildet werden. Obwohl der Arzt keinen großen Einfluss mehr auf die Therapie hat, trägt er dennoch nach wie vor die volle Verantwortung.
Nephrologische Patienten weisen eine Mangelernährung nicht erst zum Zeitpunkt der Dialyse auf, sondern entwickeln diese auf dem oft langen, komplexen Weg ihrer Nierenerkrankung. Internistisches und chirurgisches Fachwissen haben in den letzten Jahren die am Ende der Erkrankung stehende Nierenersatztherapie erfolgreich reifen lassen. Als eine dritte Säule sollte nunmehr die Ernährungstherapie hinzu konzentriert und ausgebaut werden. Dabei sollte der Qualitätsanspruch dem Begriff "billig" überlegen sein. Wir sind es unseren Mitmenschen schuldig.

! Herr Dr. Dr. Ferber, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Fresenius Kabi Deutschland GmbH, Bad Homburg.

Das Interview führte Dr. oec. troph. Corinna Kolac, Schöffengrund.


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  • Literatur

  • 1 Burrowes JW et al. J Ren Nutr 2002; 12: 87-95
  • 2 Cano NJM et al. Clin Nutr 2009; 28: 401-414
  • 3 Toigo G et al. Clin Nutr 2000; 19: 197-207
  • 4 de Brito-Ashurst I et al. J Am Soc Nephrol 2009; 20: 2075-2084
  • 5 Cano N et al. Clin Nutr 2006; 25: 295-310
  • 6 Druml W, Kierdorf HP. Aktuel Ernaehr Med 2007; 32 (Suppl. 01) S106-S113

  • Literatur

  • 1 Burrowes JW et al. J Ren Nutr 2002; 12: 87-95
  • 2 Cano NJM et al. Clin Nutr 2009; 28: 401-414
  • 3 Toigo G et al. Clin Nutr 2000; 19: 197-207
  • 4 de Brito-Ashurst I et al. J Am Soc Nephrol 2009; 20: 2075-2084
  • 5 Cano N et al. Clin Nutr 2006; 25: 295-310
  • 6 Druml W, Kierdorf HP. Aktuel Ernaehr Med 2007; 32 (Suppl. 01) S106-S113

 
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