Die Niereninsuffizienz ist eine häufige Begleiterkrankung bei Diabetes mellitus, die
mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist, wie Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Hamburg,
berichtete. So zeigte eine Metaanalyse der Emerging Risk Factors Collaboration [
1
], dass die reduzierte Lebenserwartung von Diabetikern nicht nur auf kardiovaskuläre
Todesfälle, sondern in etwa einem Drittel der Fälle auf nicht-vaskuläre Komplikationen
zurückzuführen ist. Renale Erkrankungen erhöhten die Sterblichkeit von Diabetikern
um den Faktor 3. Die Analyse evaluierte die Daten von über 123 000 Todesfällen unter
820 900 Patienten mit Diabetes aus 97 prospektiven Studien mit Langzeitverläufen,
entsprechend 12,3 Millionen Patientenjahren. Die Häufigkeit von Nephropathien bei
Diabetikern zeigte die Querschnittsstudie DEMAND [
2
]: In einer klinik-basierten Kohorte von über 11 500 Patienten mit Typ-2-Diabetes
hatten etwa 60 % eine Nephropathie und etwa 50 % wiesen eine Mikro- oder Makroalbuminurie
auf. "Jeder zweite Patient ist also betroffen", so Müller-Wieland. Dies zeige die
enorme klinische Bedeutung der Nephropathie bei Typ-2-Diabetes und dessen medikamentöser
Therapie mit Antidiabetika.
Behandlungsoptionen bislang begrenzt
Behandlungsoptionen bislang begrenzt
Die chronische Niereninsuffizienz wird gemäß der Kidney Disease Outcomes Quality Initiative
(KDOQI) anhand der glomerulären Filtrationsrate (GFR) in fünf Stadien eingeteilt (Tab. [
1
]) [
3
]. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz stoßen die meisten oralen Antidiabetika
an ihre Grenzen, wie die entsprechenden Fachinformationen zeigen: Metformin etwa ist
ab Stadium 3 (GFR < 60 ml/min) kontraindiziert, Sulfonylharnstoffe ab Stadium 4 (GFR
< 30 ml/min), auch GLP (Glucagon-like Peptide)-1-Analoga sind nur mit Einschränkungen
zugelassen. Die Behandlungsoptionen für die antihyperglykämische Therapie von Patienten
mit Typ-2-Diabetes und chronischer Niereninsuffizienz waren bislang also limitiert.
Tab. 1 Einteilung der chronischen Niereninsuffizienz gemäß der National Kidney Foundation
(NKF) [
3
].
Mit der Zulassungserweiterung von Sitagliptin (Januvia®) steht jetzt eine Option zur
Verfügung, die in allen Stadien der Niereninsuffizienz eingesetzt werden kann. Im
Januar dieses Jahres hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA den DPP (Dipeptidylpeptidase)-4-Hemmer
in reduzierter Dosierung auch zur Anwendung bei Typ-2-Diabetikern mit moderater und
schwerer Nierenfunktionsstörung – einschließlich der terminalen Niereninsuffizienz
– zugelassen.
Sitagliptin jetzt in allen Stadien der Niereninsuffizienz zugelassen
Sitagliptin jetzt in allen Stadien der Niereninsuffizienz zugelassen
Der EMA-Entscheid beruht auf den positiven Daten zweier Parallelgruppenstudien, in
denen multizentrisch, doppelblind und randomisiert die Wirksamkeit und Sicherheit
von Sitagliptin über 54 Wochen bei Typ-2-Diabetikern mit Niereninsuffizienz im Vergleich
zu dem Sulfonylharnstoff Glipizid untersucht wurden. Die Patienten waren mindestens
30 Jahre alt, der HbA1c-Ausgangswert war 7–9 %. Primäre Endpunkte in beiden Studien waren die Änderung des
HbA1c-Wertes gegenüber dem Ausgangswert nach 54 Wochen, die Inzidenz symptomatischer Hypoglykämien
und gastrointestinaler Nebenwirkungen; sekundärer Endpunkt war die Veränderung des
Körpergewichts.
In der Studie von Arjona Ferreira et al. [
4
] wurden 423 Patienten mit moderater bis schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 50–30
ml/min bzw. < 30 ml/min) eingeschlossen. Sie erhielten 1:1 randomisiert in Abhängigkeit
der GFR täglich 50 mg (moderat) beziehungsweise 25 mg (schwer) Sitagliptin oder Glipizid
(Startdosis 2,5 mg/d, Dosisanpassung im Ermessen des Prüfarztes nach glykämischer
Kontrolle nach oben oder unten, Höchstdosis 10 mg BID). Unter Sitagliptin betrug die
HbA1c-Senkung nach 54 Wochen im Mittel 0,76 %, unter Glipizid 0,64 % (Abb. [
1
]). Die Gruppendifferenz betrug –0,11 % (95 % KI [–0,29 %; 0,06]). "Der Unterschied
war damit nicht signifikant, die Wirksamkeit vergleichbar", kommentierte Müller-Wieland.
Symptomatische Hypoglykämien kamen unter Sitagliptin mit 6,2 % gegenüber 17,0 % unter
Glipizid signifikant seltener vor (p = 0,001) (Abb. [
2
]). Signifikante Unterschiede zeigten sich auch hinsichtlich der Entwicklung des Körpergewichts:
Während Patienten unter Sitagliptin im Mittel 0,6 kg abnahmen, nahmen Patienten in
der Vergleichsgruppe 1,2 kg zu (signifikanter Gruppenunterschied nach 54 Wochen: p
< 0,001). Beide Substanzen wurden gut vertragen, die Inzidenz gastrointestinaler Nebenwirkungen
wie abdominelle Schmerzen, Diarrhoe, Übelkeit und Erbrechen war in beiden Gruppen
vergleichbar selten.
Abb. 1 Vergleichbare HbA1c-Senkung [
4
].
Abb. 2 Signifikant weniger Hypoglykämien unter einem DPP-4-Hemmer [
4
].
Nutzen auch bei Niereninsuffizienz im Endstadium
Nutzen auch bei Niereninsuffizienz im Endstadium
An der zweiten Studie von Arjona Ferreira et al. nahmen 129 dialysepflichtige Typ-2-Diabetiker
teil [
5
]. Hier senkte der DPP-4-Hemmer den HbA1c im Mittel um 0,72 %, Glipizid um 0,87 %. Die Reduktion des HbA1c zeigte sich im Verlauf stabil, so Müller-Wieland. Symptomatische Hypoglykämien waren
geringer unter dem DPP-4-Hemmer (6,3 % versus 10,8 %) – bei den schweren Hypoglykämien
war der Unterschied deutlich mit 0 % unter Sitagliptin gegenüber 7,7 % unter Glipizid.
Das Körpergewicht entwickelte sich auch hier unter Sitagliptin günstiger mit einer
Abnahme um 0,3 kg, verglichen mit einer Zunahme von 1,2 kg in der Kontrollgruppe.
Beide Therapieregime wurden auch von den Dialysepatienten gut vertragen.
Breites Indikations- und Kombinationsspektrum
Breites Indikations- und Kombinationsspektrum
Sitagliptin wurde 2007 als erster DPP-4-Hemmer in Deutschland zugelassen und verfügt
in dieser Substanzklasse über das umfassendste Indikationsspektrum bei Typ-2-Diabetes.
Es ist indiziert zur Monotherapie bei Kontraindikationen oder Unverträglichkeit von
Metformin. Der DPP-4-Hemmer kann in der Zweifachtherapie mit Metformin ebenso wie
mit Sulfonylharnstoffen oder mit einem Thiazolidin kombiniert werden, in der Dreifachtherapie
mit Metformin und Sulfonylharnstoff oder Metformin und Thiazolidin. Auch die Kombination
mit Insulin – mit oder ohne Metformin – ist möglich. Mit der aktuellen Erweiterung
der Zulassung kann Sitagliptin nun auch in der Therapie von Patienten mit inadäquat
kontrolliertem Typ-2-Diabetes und eingeschränkter Nierenfunktion angewendet werden.
Bei einer GFR ≥ 50 ml/min wird die Dosis von einmal täglich 100 mg verabreicht. Bei
mäßiger Einschränkung (GFR < 50 ml/min bis ≥ 30 ml/min) wird die Dosis auf 50 mg halbiert,
bei schwerer Einschränkung (GFR < 30 ml/min) oder einer Nierenerkrankung im Endstadium
beträgt die Dosis 25 mg.
Auch bei erhöhten Lipidwerten ist konsequentes Risikofaktoren-Management Pflicht
Auch bei erhöhten Lipidwerten ist konsequentes Risikofaktoren-Management Pflicht
Die chronische Niereninsuffizienz (CKD) zählt heute neben Typ-2-Diabetes und pAVK
zu den "koronaren Risikoäquivalenten". Je weiter die GFR sinke, desto stärker steige
das Risiko, eine kardiovaskuläre Komplikation zu erleiden, erläuterte Professor Dr.
Matthias Blumenstein, München: Bei einer GFR zwischen 45 und 59 ml/min betrug es in
einer Untersuchung das 1,5-fache eines Nierengesunden, bei terminaler Niereninsuffizienz
das 3,5-fache [
6
]. Die Konsequenz: Nach der aktuellen Dyslipidämie-Leitlinie der Fachgesellschaften
ESC und EAS wird CKD-Patienten von vorne herein ein hohes kardiovaskuläres Risiko
zugesprochen.
In zwei großen Statinstudien, 4D und AURORA, gelang es trotz einer ca. 40 %igen LDL-Senkung
jedoch nicht, das Herz-Kreislauf-Risiko niereninsuffizienter Patienten signifikant
zu senken, berichtete Blumenstein [
7
], [
8
]. Diese Studien wurden allerdings mit terminal nierenkranken Patienten durchgeführt,
sodass offen blieb, ob Patienten in früheren Stadien nicht doch profitieren können.
In die Study of Heart and Renal Protection (SHARP) [
9
] wurden CKD-Patienten ohne Zeichen einer KHK eingeschlossen, die zu zwei Dritteln
noch keine Dialyse erhielten. Die Studie mit über 9200 Patienten bot mit einer Laufzeit
von fast fünf Jahren die Chance, den Effekt von Ezetimib/Simvastatin (Inegy®) versus
Placebo auf das kardiovaskuläre Risiko über einen langen Zeitraum zu verfolgen. Ergebnis:
Bei einer LDL-Senkung um 30 % reduzierte sich die Inzidenz schwerer atherosklerotischer
Komplikationen signifikant um 17 % (p = 0,0021). Die Progression der Nierenschäden
wurde jedoch nicht beeinflusst.
Michael Koczorek, Bremen
Symposium "Der kardiometabolische Patient – Die Niere im Fokus", veranstaltet von
der MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar, im Rahmen des 118. Kongresses der Deutschen Gesellschaft
für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden, am 16. April 2012.
Der Text entstand mit freundlicher Unterstützung durch MSD SHARP & DOHME GMBH, Haar.