Fortschr Neurol Psychiatr 2012; 80(10): 559
DOI: 10.1055/s-0032-1325380
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mehr körperliche Aktivität: Schrittzähler für unsere Patienten

More Physical Activity: Pedometers for our Patients
J. Kornhuber
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Publication Date:
02 October 2012 (online)

Körperliche Aktivität hat bekanntermaßen breite gesundheitsfördernde Wirkungen; aus psychiatrischer Sicht sind die antidepressiven [10] [11] und demenzpräventiven Effekte [8] [16] hervorzuheben. Es ist jedoch schwierig, lang anhaltende Verhaltensänderungen bei körperlich inaktiven Personen zu induzieren. Die Bewegungstherapie wird typischerweise nach der Entlassung aus stationärer psychiatrischer Behandlung nicht weitergeführt. Dies liegt aber auch an den betreuenden Ärzten, die sich nicht immer um die ambulante Weiterführung der stationären Anwendungen kümmern. Eine Lösung dieses Problems kann in niederschwelligen, motivierenden und breit verfügbaren Angeboten wie Schrittzählern bestehen. Schrittzähler sind Geräte in Streichholzschachtelgröße, die mit unterschiedlichen Techniken [1] die Anzahl der Schritte erfassen und rückmelden.

Schrittzählern haben vielfältige Vorteile: Sie sind klein und preiswert (keine teure Kleidung oder Ausrüstung erforderlich; keine teuren Mitgliedsbeiträge in Vereinen oder Verträge in Fitnessstudios). Die Anwendung von Schrittzählern ist wenig aufwendig (keine Anfahrtswege zur Sporthalle, Fitnessstudio oder Tennisplatz; kein Erlernen neuer Fertigkeiten; die Anwendung ist sehr einfach) und mit geringem Verletzungsrisiko verbunden (akute Verletzungen oder chronisch-degenerative Veränderungen). Die quantitative Rückmeldung durch die Schrittzähler wirkt motivierend [14] und hilft, Fehleinschätzungen bezüglich der eigenen Bewegung zu korrigieren. Die Nutzung des Schrittzählers kann zu besseren Sozialkontakten mit Familienmitgliedern, Nachbarn oder Freunden führen, mit denen die Spaziergänge unternommen werden, oder die z. B. bei abendlichen Spaziergängen im Wohnviertel getroffen werden. Die Außenaktivität führt zu vermehrter Lichtexposition und könnte auch darüber antidepressiv wirken. Die durch Spaziergänge ermöglichte aktivere Wahrnehmung tages- oder jahreszeitlicher Wechsel kann zu einer optimierten chronobiologischen Anpassung und besserem Nachtschlaf führen. Die Zeit beim Spaziergang gibt Zeit zum Nachdenken, zum Ordnen der abgelaufenen oder zum Planen der nächsten Tage. Die bislang lästigen Wege zum Briefkasten oder zum ungünstig gelegenen Parkplatz werden jetzt mit Freude zurückgelegt, weil sie helfen, das Tagesziel zu erreichen. Damit wirken Spaziergänge entspannend. Bei Patienten mit zu geringen Aktivitäten oder fehlender Tagesstruktur kann die Bewegung aktivierend und tagesstrukturierend wirken. Der Einsatz von Schrittzählern hat eine gewisse Parallelität zu den günstigen Einflüssen von Haustieren, insbesondere Hunden, die ebenfalls zu Spaziergängen und körperlicher Bewegung anregen [9] [13].

Aber sind durch Schrittzähler motivierte Spaziergänge wirklich wirksam? Zur gesundheitsfördernden Wirkung von Schrittzählern liegen inzwischen Kohortenstudien sowie randomisierte kontrollierte Interventionsstudien vor. Die Nakanojo-Studie (Kohortenstudie) findet einen Zusammenhang zwischen Gesundheit und Schrittzahl. Für körperliche Gesundheit sind mehr Schritte notwendig als für geistige Gesundheit. Bei Männern ist allerdings eine metabolische Aktivität, die mindestens dreifach über der metabolischen Grundaktivität liegt, wichtiger als die tägliche Schrittzahl [2] [3]. Wenn sich diese Zusammenhänge in unabhängigen Studien bestätigen, dann sollten gerade Männer Wegstrecken mit Steigungen wählen oder zwischendurch straffer Gehen. Die Walking-for-Wellbeing-in-the-West-Studie (randomisierte kontrollierte Interventionsstudie – RCT) findet nach 12 Wochen Schrittzähler-Intervention positive Effekte auf die Stimmung [4], die auch nach längerer Zeit erhalten bleiben [7]. Laufen hat positive kardiovaskuläre Effekte [12]. Eine Metaanalyse der bislang vorliegenden Kohorten- und Interventionsstudien belegt, dass der Gebrauch eines Schrittzählers die Schrittzahl steigert und zu geringerem BMI sowie systolischem Blutdruck führt [5]. Die Formulierung eines Ziels, z. B. 10 000 Schritte pro Tag, erhöht die gelaufene Schrittzahl [5]. Allerdings ist das häufig formulierte Ziel von etwa 7000 – 10 000 Schritten pro Tag [6] [15] typischerweise nicht durch die tägliche Routine allein zu erreichen. Es bedarf gezielter zusätzlicher Aktivitäten und einer bewussten Investition von Zeit in die körperliche Bewegung.

Aufgrund der geschilderten Überlegungen und Datenlage bieten wir unseren Patienten zusätzlich zum regulären physiotherapeutischen Angebot Schrittzähler an und empfehlen den weiteren Gebrauch nach Entlassung.

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Prof. Dr. Johannes Kornhuber

Ergänzendes Material

 
  • Literatur

  • 1 Allet L, Knols RH, Shirato K et al. Wearable systems for monitoring mobility-related activities in chronic disease: A systematic review. Sensors 2010; 10: 9026-9052
  • 2 Aoyagi Y, Park H, Park S et al. Habitual physical activity and health-related quality of life in older adults: interactions between the amount and intensity of activity (the Nakanojo Study). Qual Life Res 2010; 19: 333-338
  • 3 Aoyagi Y, Shephard RJ. Habitual physical activity and health in the elderly: the Nakanojo Study. Geriatr Gerontol Int 2010; 10 (Suppl. 01) S236-S243
  • 4 Baker G, Gray SR, Wright A et al. The effect of a pedometer-based community walking intervention “Walking for Wellbeing in the West” on physical activity levels and health outcomes: a 12-week randomized controlled trial. Int J Behav Nutr Phys Act 2008; 5: 44
  • 5 Bravata DM, Smith-Spangler C, Sundaram V et al. Using pedometers to increase physical activity and improve health: A systematic review. JAMA 2007; 298: 2296-2304
  • 6 Choi BCK, Pak AWP, Choi JCL et al. Daily step goal of 10000 steps: a literature review. Clin Invest Med 2007; 30: E146-E151
  • 7 Fitzsimons CF, Baker G, Gray SR et al. Does physical activity counselling enhance the effects of a pedometer-based intervention over the long-term: 12-month findings from the Walking for Wellbeing in the west study. BMC Public Health 2012; 12: 206
  • 8 Hamer M, Chida Y. Physical activity and risk of neurodegenerative disease: a systematic review of prospective evidence. Psychol Med 2009; 39: 3-11
  • 9 Jennings LB. Potential benefits of pet ownership in health promotion. J Holist Nurs 1997; 15: 358-372
  • 10 Krogh J, Nordentoft M, Sterne JA et al. The effect of exercise in clinically depressed adults: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Clin Psychiatry 2011; 72: 529-538
  • 11 Mead GE, Morley W, Campbell P et al. Exercise for depression. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009; 4: 1-61
  • 12 Murtagh EM, Murphy MH, Boone-Heinonen J. Walking: the first steps in cardiovascular disease prevention. Curr Opin Cardiol 2010; 25: 490-496
  • 13 Smith B. The “pet effect” – health related aspects of companion animal ownership. Aust Fam Physician 2012; 41: 439-442
  • 14 Snyder A, Colvin B, Gammack JK. Pedometer use increases daily steps and functional status in older adults. J Am Med Dir Assoc 2011; 12: 590-594
  • 15 Tudor-Locke C, Craig CL, Aoyagi Y et al. How many steps/day are enough? For older adults and special populations. Int J Behav Nutr Phys Act 2011; 8: 80
  • 16 Weih M, Degirmenci Ü, Kreil S et al. Physical activity and Alzheimer‘s disease: a meta-analysis of cohort studies. GeroPsych 2010; 23: 17-20