Frauenheilkunde up2date 2014; 8(3): 173-177
DOI: 10.1055/s-0032-1325081
Forum
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das Mädchen mit Hochwuchs

Helmuth G. Dörr
Further Information

Publication History

Publication Date:
24 June 2014 (online)

Einleitung

In der Laienpresse finden sich regelmäßig Berichte über die Jugend, die immer größer wird. Der Klub „Langer Menschen Deutschland e. V.“ definiert Hochwuchs bei Mädchen ab einer Endgröße von mehr als 180 cm. Nach den Wachstumsdaten von Reinken und van Oost ist eine Frau schon hochwüchsig, wenn sie größer als 177,2 cm (= 2-fache Standardabweichung über dem Mittelwert) ist [1]. Die 3-fache Standardabweichung liegt bei 182,3 cm. Nach der S1-Leitlinie „Hochwuchs“ der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin liegt ein Hochwuchs vor, wenn die Körperlänge/Körperhöhe oberhalb der > 97. Perzentile gesunder Kinder liegt [2]. Als Referenzen für gesunde Kinder werden in Deutschland verschiedene Wachstumsstudien benutzt, wie z. B. die Zürcher Longitudinale Wachstumsstudie von Prader et al. oder die schon erwähnte Studie von Reinken und van Oost [1], [3].

Wird ein Mädchen mit Hochwuchs vorgestellt, dann ist es v. a. wichtig, dass man die Normvarianten von den pathologischen Formen abgrenzt. Man kann den Hochwuchs in verschiedene Formen einteilen. Ein primärer Hochwuchs liegt bei einer Störung des Skelettsystems infolge eines genetischen Defektes oder einer pränatalen Störung vor. Dazu gehören auch:

  • familiärer oder konstitutioneller Hochwuchs

  • konstitutionelle Entwicklungsbeschleunigung

  • syndromaler Hochwuchs

Ein sekundärer Hochwuchs liegt vor bei Störungen aufgrund eines Überschusses an Aufbaustoffen (z. B. Adiposogigantismus) oder bei endokrinen Erkrankungen (z. B. Pubertas praecox vera, Wachstumshormon [GH]-produzierender Tumor). Eine andere Klassifikation teilt die Störungen nach dem vermehrten Wachstum in die folgenden 3 Gruppen ein:

  • Störungen mit generalisiertem Wachstum (z. B. konstitutioneller Hochwuchs, Wachstumsstörungen bei hormonellen Erkrankungen, bei genetisch determinierten Störungen oder bei Syndromen wie z. B. Beckwith-Wiedemann-Syndrom)

  • Störungen mit regionalem Wachstum (z. B. familiärer Makrozephalus)

  • Störungen mit spezifischem Wachstum, wie z. B. Adipositas beim Prader-Willi-Syndrom

Im amerikanischen Sprachgebrauch werden diese Störungen als „Overgrowth Syndromes and Disorders“ bezeichnet.

Störungen mit einem überschießenden Wachstum sind bereits bei Geburt klinisch ausgeprägt (z. B. Neugeborene diabetischer Mütter). Hier lassen sich z. T. einige Gemeinsamkeiten erkennen, wie z. B. Körpergewicht > Körperlänge, Assoziation mit anderen Fehlbildungen, erhöhtes Neoplasierisiko und/oder mentale Retardierung.

In diesem Beitrag soll nur auf einige wichtige klinische Hochwuchsformen bei Mädchen eingegangen werden, die in der Tabelle [1] nach Normvarianten und pathologischen Störungen aufgelistet sind.

Tabelle 1 Klinische Einteilung der verschiedenen Hochwuchsformen.

Normvarianten

  • konstitutioneller (familiärer) Hochwuchs

  • konstitutionelle Entwicklungsbeschleunigung

pathologische Hochwuchsformen

  • endokrine Störungen, z. B.:

    • hypophysärer Hochwuchs (GH-produzierender Tumor)

    • Hyperthyreose

    • Pubertas praecox vera/Pseudopubertas praecox

  • Stoffwechselstörungen, z. B.:

    • Marfan-Syndrom

    • Homocystinurie

  • konnatale Syndrome wie z. B.:

    • zerebraler Gigantismus (Sotos-Syndrom)

    • Beckwith-Wiedemann-Syndrom

  • Adipositas („Adiposogigantismus“)

  • chromosomale Aberrationen wie z. B.Triple-X Syndrom

 
  • Literatur

  • 1 Reinken L, van Oost G. Longitudinale Körperentwicklung gesunder Kinder von 0 bis 18 Jahren. Körperlänge/-höhe, Körpergewicht, Wachstumsgeschwindigkeit. Klin Pädiatr 1992; 204: 129-133
  • 2 S1-Leitlinie, AWMF-Register Nr. 027/024.
  • 3 Prader A, Largo RM, Molinari L, Issler C. Physical growth of Swiss children from birth to 20 years of age. First Zurich longitudinal study of growth and development. Helv Paediatr Acta Suppl 1989; 52: 1-125
  • 4 Tanner JM. Prediction of adult height from height and bone age in childhood: a new system of equations (TW Mark II) based on a sample including very tall and very short subjects. Arch Dis Child 1983; 58: 767-776
  • 5 Greulich WW, Pyle SI. Radiographic Atlas of Skeletal Development of the Hand and Wrist. Stanford: Stanford University Press; 1959
  • 6 Tanner JM, Healy MJR. Assessment of Skeletal Maturity and Prediction of Adult Height (TW3 Method). Oxford: Elsevier LTD; 2001
  • 7 Bayley N, Pinneau S. Tables for predicting adult height from skeletal age. J Pediatr 1952; 14: 432-436
  • 8 Brämswig J. Diagnostik und Therapie des Hochwuchses. Monatsschr Kinderheilkd 2004; 152: 509-516
  • 9 Weimann E, Bergmann S, Böhles HJ. Oestrogen treatment of constitutional tall stature: a risk-benefit ratio. Arch Dis Child 1998; 78: 148-151
  • 10 Venn A, Bruinsma F, Werther G et al. Oestrogen treatment to reduce the adult height of tall girls: long-term effects on fertility. Lancet 2004; 364: 1513-1518
  • 11 Hendriks AEJ, Laven JSE, Valkenburg O et al. Fertility and ovarian function in high-dose estrogen-treated tall women. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: 1098-1105
  • 12 Hendriks AE, Laven JSE, Valkenburg O et al. Fertility of tall girls treated with high-dose estrogen, a dose-response relationship. J Clin Endocrinol Metab 2012; 97: 3107-3114
  • 13 Binder G, Grauer ML, Wehner AV et al. Outcome in tall stature. Final height and psychological aspects in 220 patients with and without treatment. Eur J Pediatr 1997; 156: 905-910
  • 14 Dörr HG. Hochwuchs. In: Schulte H, Allolio B. Praktische Endokrinologie. 2. Aufl. München: Elsevier Verlag; 2010: 117-124
  • 15 Weimann E. Medikamentöse Therapie des konstitutionellen Hochwuchses. Monatsschr Kinderheilkd 2000; 148: 818-827