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DOI: 10.1055/s-0032-1322528
Editorial
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
17. Juli 2012 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,


Die Anwendung von Zwang gehört eher zu den tabuisierten und wenig attraktiven Betätigungsfeldern. Vielfach als „Dirty Work“ bezeichnet, kennen wir systematische Forschung zu diesem Thema erst seit den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aber auch nach 30 Jahren Forschung sind die Erkenntnisse eher dürftig; wir wissen immer noch zu wenig darüber, welche Zwangsmaßnahmen wie wirken und auch belastbare Zahlen über die Anzahl durchgeführter Maßnahmen sind kaum vorhanden.
Eine wesentliche Erkenntnis der Forschung ist bisher, dass Zwangsmaßnahmen nicht isoliert dem Verhalten der Patienten zugeschrieben werden können, sondern dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Der Niederländer Henk Nijman und seine Kollegen entwickelten ein „vorläufiges Modell zur Aggression auf Psychiatrischen Akutstationen“ (Nijman et al. 1999). Demnach gilt es zwischen Variablen der Station, des Patienten und des Personals zu unterschieden. Im Zusammenhang mit unfreiwilligen Aufnahmen ist ein Patient zudem unterschiedlichen Stressoren ausgesetzt, z. B. einer überfüllten Station (umgebungsbezogener Stress), der Angst, nie mehr rauszukommen (kognitiver Stress) oder Personal aus Sicht des Patienten nicht ansprechbar ist (Kommunikationsstress).
Für die psychiatrische Pflege ergibt sich daraus, dass sie im Hinblick auf die Durchführung von Zwangsmaßnahmen, die immer eine juristische Grenzsituation bedeuten, besonders professionell agieren muss. Denn spätestens seit der von der EU unterzeichneten Behindertenkonvention ist klar, dass im Umgang mit psychisch und körperlich kranken Menschen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden darf. Die Vorstellung, dass psychisch Kranke zu krank und damit nicht in der Lage seien, für sich selbst zu entscheiden, lässt sich kaum noch aufrecht erhalten.
Damit der Umgang mit Zwang und Aggression so wenig und so professionell wie möglich erfolgt, braucht es – neben anderen Faktoren – eine informierte und entscheidungskompetente psychiatrische Pflege.
Diese Ausgabe ist vor allem der Arbeit von Michael Löhr geschuldet, der diesen Schwerpunkt umsichtig und kompetent zusammengestellt hat.
Ich wünsche Ihnen – auch im Namen des Fachbeirates – viel Erkenntnis und Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe.
Michael Schulz
Leider hat sich im CNE-Fragebogen der Print-Ausgabe 3-2012 ein Fehler eingeschlichen. Eine korrigierte Fassung ist sowohl auf CNE.online als auch auf https://www.thieme-connect.com/ejournals verfügbar.