Werden Nierenerkrankungen nicht rechtzeitig genug erkannt und behandelt, erhöht sich
das Risiko für eine terminale Niereninsuffizienz. Die Patienten sind dann auf eine
Nierenersatztherapie angewiesen, um zu überleben: Das sind entweder die Transplantation
einer Spenderniere oder eine lebenslange Dialyse mittels Peritonealdialyse (PD) bzw.
Hämodialyse (HD). Weltweit wird die Anzahl dieser Patienten auf 2,7 Millionen Menschen
geschätzt, davon 1,9 Millionen Dialysepatienten. Allein in Deutschland leben rund
100 000 Betroffene. Genaue Daten zur Versorgungssituation standen aber bisher noch
aus.
Haben die Patienten tatsächlich die Möglichkeit, die für sie optimal geeignete Therapie
zu erhalten? Sind sie dazu ausreichend informiert und in der Lage, die richtige Entscheidung
zu treffen? CEAPIR ("Confédération Européenne des Associations des Insuffisants Rénaux"),
die Europäische Konföderation von Patientenverbänden mit Niereninsuffizienz, führte
dazu 2011 die groß angelegte, von der Baxter Deutschland GmbH, Unterschleißheim, geförderte
Patientenbefragung "Patient choice in dialysis and access to treatment" durch (Auszug
siehe Abb. [
1
]). Diese wurde im Frühling im Europäischen Parlament in Brüssel präsentiert. Die
Umfrage zeigt, dass es hier noch großes Optimierungspotenzial gibt und zudem europaweit
gravierende Unterschiede bestehen. So ist zwar der überwiegende Teil der Befragten
(europaweit 63 %, in Deutschland sogar 79 %) mit der Behandlung sehr zufrieden. Wird
die Situation jedoch genauer durchleuchtet, besteht klarer Handlungsbedarf.
Abb. 1 Auszug aus der Auswertung zur Befragung "Patient choice in dialysis and access to
treatment".
Nach den Umfrageergebnissen war ein Drittel der Patienten in Deutschland nicht an
der Therapieentscheidung beteiligt. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass
viele Patienten erst so spät im Erkrankungsverlauf diagnostiziert werden, dass eine
Wahl verschiedener Therapiemöglichkeiten nicht mehr möglich ist. Welche Therapie durchgeführt
wird, hängt aber auch von der individuellen Situation des Patienten ab. Relevante
Parameter sind u. a. familiäre, berufliche und geografische Situation, Organspendebereitschaft
sowie der Wissenstand des Patienten und der behandelnden Ärzte zu den unterschiedlichen
Dialysemöglichkeiten.
Versorgungssituation
Rund 26% der Nierenpatienten in Deutschland erhalten den Goldstandard der Behandlung:
eine Nierentransplantation. Diese ist gleichzeitig mit den insgesamt niedrigsten Gesamtkosten,
der besten Prognose sowie der höchsten Lebensqualität für die Patienten verbunden.
Der überwiegende Teil der Dialysepatienten erhält dagegen eine HD – sie müssen etwa
3-mal pro Woche jeweils für 4–5 Stunden an ein Dialysegerät, meist in einer Klinik,
angeschlossen werden.
Dabei würde der Großteil der Patienten lieber zu Hause behandelt werden, was auch
für das Gesundheitssystem aufgrund der wegfallenden Transportkosten eine große Erleichterung
darstellen würde. Gleichzeitig wären die Patienten unabhängiger von Dialysezentren
und Kliniken, könnten ihren Tagesablauf weitgehend beibehalten und würden ihren Arbeitsplatz
nicht durch die zahlreichen notwendigen Aufenthalte in Kliniken bzw. Dialysezentren
gefährden. Die Realität sieht jedoch anders aus. So erhalten in Deutschland nur rund
0,5 % der Patienten zu Hause die Möglichkeit für eine HD und 4 % können zu Hause eine
PD durchführen. Dabei wird letztere aufgrund der besseren Prognose in den ersten Behandlungsjahren
sowie der längeren Aufrechterhaltung der Nierenrestfunktion zunehmend von den nephrologischen
Gesellschaften favorisiert.
Informationen über Nierenerkrankungen lückenhaft
Informationen über Nierenerkrankungen lückenhaft
Nach den Zahlen der jetzigen Umfrage wissen jedoch die meisten Patienten über mögliche
Alternativen ihrer Behandlung offensichtlich viel zu wenig. Nur 3 von 10 Patienten
in Deutschland gaben an, nicht die Therapie ihrer Wahl zu erhalten. Dies deckt sich
auch mit den Zahlen in Europa. Lediglich 34,5 % der Befragten (in Deutschland 36 %)
gaben an, über Alternativen zu ihrer Behandlung informiert worden zu sein.
Große Mängel bestehen darüber hinaus in der Rehabilitation und im Wissensstand der
Patienten zu ihrer Erkrankung. Fast 2 Drittel der Patienten berichteten, keinerlei
Informationen oder Schulungen dazu bekommen zu haben, wie sie im täglichen Leben ihre
Erkrankung berücksichtigen müssten. In Deutschland äußerten dies sogar 8 von 10 Patienten.
Die Unterstützung durch Spezialisten, wie etwa Diätassistenten, Berater oder Sozialarbeiter,
scheint ebenfalls Lücken aufzuweisen. Rund jeder vierte Befragte klagte in diesem
Bereich über mangelnde Unterstützung. Rund 40 % der Patienten (in Deutschland sogar
50 %) wussten nicht, bei wem sie sich über ihre Behandlung beklagen könnten.
Was ist zu tun?
"Die Ergebnisse zeigen, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben und die Zusammenarbeit
mit allen Beteiligten erforderlich ist, um die Situation zu verbessern", schloss Frieda
Brepoels, Mitglied des Europäischen Parlaments. Dies umfasst insbesondere auch das
Thema Spendernieren. "Die Patienten in Europa müssen überall gleiche Chancen für eine
optimierte Versorgung erhalten. Sie müssen in die Therapieentscheidung eingebunden
werden und ausreichend über alternative Behandlungsmöglichkeiten informiert sein.
Und sie müssen rechtzeitig diagnostiziert werden, damit sie bei dieser wichtigsten
Entscheidung in ihrem Leben ein Wort mitreden können", forderte Lars Engberg, Vizepräsident
von CEAPIR.
Dr. Katrin Wolf, Eitorf
Quelle: Arbeitssitzung im Europäischen Parlament, Brüssel (Belgien), am 26.04.2012