Dialyse aktuell 2012; 16(05): 306-307
DOI: 10.1055/s-0032-1320084
Forum der Industrie
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

7. Interaktives Nephrologisches Experten-Forum: Leitlinien-Update – Steht ein Paradigmenwechsel in Hinblick auf das Serumkalzium an?

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Publication Date:
15 June 2012 (online)

 
 

Das 7. Interaktive Nephrologische Experten-Forum in Frankfurt fand Mitte März unter dem Vorsitz von Prof. Kai-Uwe Eckardt, Erlangen/Nürnberg, unter dem Motto "Leitlinien hoch 4" statt, da 2012 gleich 4 neue Guidelines der KDIGO-Initiative (KDIGO: "Kidney Disease: Improving Global Outcomes") publiziert werden. Diese sind insofern von Bedeutung, da sich die Initiative das Ziel gesetzt hat, hochwertige, evidenzbasierte Leitlinien zu den wichtigsten Fragestellungen der Nierenheilkunde aufzulegen. Die Teilnehmer hatten in Frankfurt die Gelegenheit, vorab die wichtigsten Empfehlungen der teilweise noch unpublizierten und im Reviewprozess befindlichen Leitlinien zu erfahren.

Prof. Jürgen Floege, Aachen, stellte die KDIGO-Leitlinie zur Behandlung von Glomerulonephritiden vor, während PD Carsten Willam, Erlangen/Nürnberg, die kürzlich publizierte Leitlinie zum akuten Nierenversagen [ 1 ] erläuterte. Prof. Lars-Christian Rump, Düsseldorf, hob die Eckpunkte der KDIGO-Leitlinie zur Therapie mit Antihypertensiva bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung (CKD: "chronic kidney disease") vor, der zufolge vor allem der Albuminuriestatus über den Blutdruckzielwert entscheidet. Bei Patienten mit Albuminurie sollte der Blutdruck tiefer gesenkt werden als bei normalbuminurischen Patienten (< 130/80 mmHg vs. ≤ 140/90 mmHg). Die vierte Leitlinie, die ebenfalls tiefergehend besprochen wurde, war die zur Behandlung der renalen Anämie.

Eisensubstitution als erste Therapieoption bei Dialysepatienten mit renaler Anämie

Wie Prof. Gert Mayer, Innsbruck (Österreich), ausführte, sollte bei therapienaiven, anämischen Patienten zunächst immer die Eisensubstitution die Behandlung der Wahl sein. Denn wie Stancu et al. [ 2 ] aufzeigten, sind bei über der Hälfte der CKD-3–5-Patienten die Eisenspeicher erschöpft. Die neuen Leitlinien empfehlen daher eine Substitution, wenn eine Eisensättigung von 30 % oder weniger und ein Ferritinwert von 500 ng/ml oder weniger vorliegt, wobei die intravenöse Gabe vorzuziehen ist [ 3 ].

Mayer machte auch auf eine interessante Wechselwirkung zwischen Eisensubstitution und Phosphathomöostase aufmerksam: So hatten Schouten et al. [ 4 ] einen Anstieg der FGF-23-Werte (FGF: "fibroblast growth factor") und dadurch eine Abnahme der Serum-Phosphat-Werte unter intensivierter Eisentherapie beobachtet. Allerdings räumte Mayer ein, dass auch gegenteilige Daten vorlägen, denen zufolge ein Eisenmangel das FGF-23 erhöht. Solange diese Wechselwirkung nicht eindeutig erforscht sei, sollten bei Prädialysepatienten die Eisenspeicher zwar aufgefüllt, aber von einer hoch dosierten Eisentherapie abgesehen werden.

Eine ergänzende Gabe zu den Erythropoese stimulierenden Agenzien (ESA) sei aber immer ratsam, da auch Eisen die Hb-Werte (Hb: Hämoglobin) erhöht und so eine Dosisreduktion der kostspieligen ESA ermöglicht. Wie Prof. Helmut Geiger, Frankfurt, in einem begleitenden Pressegespräch ausführte, steht mit Ferrlecit® ein geeignetes Präparat zur Verfügung, das nicht nur kostengünstig und gut verträglich ist, sondern zu dem auch langjährige Erfahrungen vorliegen.


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KDIGO-Leitlinie zu Mineral- und Knochenstoffwechselstörungen rät zur strikten Phosphatkontrolle

Auch die bereits vor 3 Jahren publizierte CKD-MBD-Leitlinie (Leitlinie zur Klinischen Diagnostik, Bewertung, Vorbeugung und Behandlung von Störungen des Mineral- und Knochenstoffwechsels bei chronischer Nierenerkrankung) [ 5 ] war Gegenstand der Diskussionen. Denn noch immer haben chronisch nierenkranke Patienten ein dramatisch erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, das mit dem Erkrankungsgrad steigt [ 6 ].

Erhöhte Serum-Phosphat-Werte sind mit einem signifikant schlechteren Überleben assoziiert [ 7 ], weshalb die KDIGO-Leitlinien zu einer strikteren Kontrolle als die Vorgängerleitlinien raten: Bei Nierenpatienten sollen die Phosphatwerte in Richtung des für die Allgemeinbevölkerung geltenden Normalbereichs gesenkt werden. Rein diätetisch ist das kaum ohne ein erhebliches Malnutritionsrisiko zu leisten, weshalb in den meisten Fällen eine Phosphatbindertherapie begonnen werden muss. Phosphat wurde als Risikofaktor in den Leitlinien von 2009 deutlich in den Mittelpunkt gerückt. Allerdings trat die Bedeutung hoher Serum-Kalzium-Werte etwas in den Hintergrund und sollte, so Prof. David A. Bushinky, Rochester (USA), in einer zukünftigen Überarbeitung der Leitlinien stärker reflektiert werden.


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Neben der Phosphatkontrolle ist auch die Kalziumrestriktion eine wichtige Maßnahme

Dass nicht nur hohes Phosphat, sondern auch eine Kalziumbeladung der Patienten die Gefäßkalzifizierung beschleunigt, schilderte Bushinsky eindrucksvoll in seinem Vortrag. Beide – sowohl erhöhte Serum-Phosphat- wie auch Serum-Kalzium-Spiegel – aggravieren die Kalzifizierung von weichen Gefäßmuskelzellen, wie Yang et al. bereits 2004 [8] experimentell gezeigt hatten (Abb. [ 1 ]).

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Abb. 1 Zeitlicher Verlauf der Mineralisierung von SMC in der Gegenwart von erhöhtem Phosphat mit oder ohne erhöhtem Kalzium.
Ca = Kalzium, P = Phosphat, SMC = "smooth muscle cells"

Sogar in der Normalbevölkerung geht die Kalziumbeladung mit einer erhöhten Gefäßverkalkung einher – das haben Osteoporoseerhebungen [ 9 ] bereits vor einiger Zeit ans Licht gebracht. Dass diese Gefahr bei nierenkranken Patienten noch um ein Vielfaches höher ist, kann zum einen damit erklärt werden, dass bei urämischen Patienten mit dem Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR) auch die UrinKalzium-Ausscheidung abnimmt [ 10 ].

Zudem sei das Einströmen von Kalziumionen in die Extrazellulärflüssigkeit (was physiologisch durch Azidose, sekundären Hyperparathyreoidismus sowie Gabe von aktivem Vitamin D – also typischen Begleitumständen der CKD – begünstigt wird) mit der Zunahme der vaskulären Kalzifizierung assoziiert. Um ein besseres Outcome bei Nierenpatienten zu erreichen, müsse daher eine Erhöhung der extrazellulären Kalziumkonzentration unbedingt vermieden werden.

Wie schwer das in der Praxis umzusetzen ist, illustrierte Bushinsky anhand der neu publizierten Daten von Spiegel et al. [ 11 ]: Während nierengesunde Menschen unter Diät mit 2 g Kalzium/d eine neutrale Kalziumbilanz haben, ist diese bei CKD-Patienten unter gleicher Diät bereits deutlich positiv. Folglich warnte Bushinsky davor, nierenkranke Patienten mit Kalzium zu beladen – sei es durch die Gabe von aktivem Vitamin D, das die Kalziumspiegel erhöhen kann, hohem Dialysatkalzium oder durch eine kalziumhaltige Phosphatbindertherapie.


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Erhalt der Kalziumhomöostase unter Therapie mit Sevelamer

Wie Bushinsky exemplarisch vorrechnete, kann ein Patient, der mit einer Dialysat-Kalzium-Konzentration von 1,25 mmol/l dialysiert und mit aktivem Vitamin D behandelt wird, durch die Umstellung auf eine kalziumfreie Phosphatbindertherapie eine neutrale Kalziumbalance erreichen [ 12 ] – und damit auch seine Gefäßgesundheit schützen.

Bereits eine tägliche Kalziumzufuhr von 1,5 g führe bei Vitamin-D-naiven Patienten zum Einströmen von Kalzium in die Extrazellulärflüssigkeit, was durch die Gabe von Calcitriol oder anderen Vitamin-D-Analoga noch verstärkt würde. In der Modellberechnung kam es bei einem Patienten unter Vitamin-D-Therapie und einer diätetischen Kalziumzufuhr von 2,0 g pro Tag zu einer jährlichen Kalziumakkumulation von 6,5 % des Gesamtkörperkalziums.

Wie sehr solche Akkumulationen die Gefäßgesundheit beeinträchtigen, haben bereits viele Studien gezeigt, die die Effekte einer kalziumfreien vs. kalziumhaltigen Phosphatbindertherapie verglichen haben [ 13 ], [ 14 ]: Unter dem kalziumfreien Sevelamer schritt die Verkalkungsprogression deutlich langsamer voran als unter kalziumhaltigen Präparaten. Das bestätigte nun auch eine aktuell publizierte Studie [ 15 ] an nicht dialysepflichtigen CKD-Patienten. In dieser Investigatorstudie von Di Iorio wurde nicht nur ein kalzifizierungsinhibierender Effekt unter Therapie mit Sevelamer beobachtet, sondern sogar auch eine signifikante Outcomeverbesserung (Abb. [ 2 ]). Die Gesamtmortalität über 36 Monate (primärer Endpunkt) war in der Sevelamergruppe gegenüber der Kalziumgruppe signifikant niedriger (12 von 107 vs. 22 von 105, p < 0,05).

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Abb. 2 Bessere Überlebenswahrscheinlichkeit (p < 0,05) unter Sevelamer vs. kalziumhaltigem Phosphatbinder.

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Ist ein Update der CKD-MBD-Leitlinie erforderlich?

Wie Eckardt hervorhob, ist eine Aktualisierung der KDIGO-Leitlinien turnusmäßig alle 5 Jahre geplant, ein Update der Leitlinien zum Mineral- und Knochenstoffwechsel ist also 2014 zu erwarten. Möglicherweise wird darin dann aufgrund der neuen Datenlage Kalzium als Risikofaktor stärker als bisher hervorgehoben werden. Der Stellenwert von Phosphat als Hauptrisikofaktor bleibt aber bestehen: So könnte sogar das FGF-23 als Frühmarker der gestörten Phosphatretention als neues Target eingeführt und möglicherweise auch eine frühere Intervention empfohlen werden. "FGF-23 steigt bereits in den Prädialysestadien. Noch fehlen Daten, aber einiges deutet darauf hin, dass die Phosphatkontrolle bereits dann einsetzen sollte und nicht erst, wenn das Serumphosphat deutlich erhöht ist", so Eckardt.

Dr. Bettina Albers, Weimar

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main.

Die Beitragsinhalte stammten vom 7. Interaktiven Nephrologischen Experten-Forum, Frankfurt am Main, veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg.

Die Autorin ist Mitarbeiterin bei albersconcept, Weimar.


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  • Literatur

  • 1 Clinical Practice Guidelines. Kidney Disease: Improving Global Outcomes Clinical Practice Guidelines on Acute Kidney Injury. Im Internet: http://www.kdigo.org/clinical_prac tice_guidelines_3.php Stand: 12.04.2012
  • 2 Stancu S et al. Am J Kidney Dis 2010; 55: 639-647
  • 3 Rozen-Zvi B et al. Am J Kidney Dis 2008; 52: 897-906
  • 4 Schouten BJ et al. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94: 2332-2337
  • 5 Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD-MBD Work Group. Kidney Int 2009; 76 (Suppl. 113) S1-S130
  • 6 Go AS et al. N Engl J Med 2004; 351: 1296-305
  • 7 Block GA et al. Am J Kidney Dis 1998; 31: 607-617
  • 8 Yang H et al. Kidney Int 2004; 66: 2293-2299
  • 9 Bolland MJ et al. BMJ 2011; 342: d2040
  • 10 Craver L et al. Nephrol Dial Transplant 2007; 22: 1171-1176
  • 11 Spiegel DM et al. Kidney Int 01.02.2012; [epub ahead of print]
  • 12 Bushinsky DA et al. Nephrol Dial Transplant 2012; 27: 10-13
  • 13 Chertow GM et al. Kidney Int 2002; 62: 245-252
  • 14 Block GA et al. Kidney Int 2005; 68: 1815-1823
  • 15 Di Iorio B et al. Clin J Am Soc Nephrol 2012; 7: 487-493

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Abb. 1 Zeitlicher Verlauf der Mineralisierung von SMC in der Gegenwart von erhöhtem Phosphat mit oder ohne erhöhtem Kalzium.
Ca = Kalzium, P = Phosphat, SMC = "smooth muscle cells"
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Abb. 2 Bessere Überlebenswahrscheinlichkeit (p < 0,05) unter Sevelamer vs. kalziumhaltigem Phosphatbinder.