ergopraxis 2012; 5(06): 12-14
DOI: 10.1055/s-0032-1319814
wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
15 June 2012 (online)

 

Geistig behindert und psychisch erkrankt – Emotionales Entwicklungsniveau ausschlaggebend

Menschen mit einer geistigen Behinderung erkranken vergleichsweise häufig an psychischen Störungen. Um dieser Klientel geeignete Interventionen anbieten zu können, sollte die psychiatrische Diagnostik ihr emotionales Entwicklungsalter ermitteln. Dazu eignet sich das Schema der emotionalen Entwicklung (SEO), wie die Fachärztin Dr. Tanja Sappok und ihre Kollegen vom Evangelischen Krankenhaus Königin-Elisabeth-Herzberge in Berlin an einem konkreten Fall demonstrieren.

In ihrem Fallbeispiel beschreiben die Forscher einen 28-jährigen Klienten, der nach einer frühkindlichen Hirnhautentzündung eine mittelgradige geistige Behinderung entwickelte. Bis zu seiner Einweisung in die Psychiatrie lebte er in einer betreuten Wohneinrichtung und besuchte täglich eine Förderinstitution. Dort fiel der Klient verstärkt durch plötzliche Affektausbrüche auf, in denen er seine Bezugspersonen beschimpfte und tätlich angriff. Das Behandlungsteam ermittelte anhand des SEO sein emotionales Entwicklungsalter, das einem Kind zwischen sechs und 18 Monaten entsprach. Das intellektuelle Entwicklungsalter des Klienten lag hingegen zwischen vier und sieben Jahren. Aufgrund seines höheren kognitiven Entwicklungsniveaus wurde er von seiner Umwelt häufig überschätzt. Folglich fühlte er sich im Alltag emotional überfordert und reagierte mit Störungsverhalten. Das Behandlungsteam empfahl daher den Bezugspersonen, den Klienten entwicklungsentsprechend zu fördern und auf seine basalen emotionalen Bedürfnisse einzugehen. Bereits innerhalb eines halben Jahres reduzierten sich daraufhin die Verhaltensauffälligkeiten des Klienten merklich.

Aus Sicht der Forscher sollte die Therapieund Förderplanung neben dem kognitiven Leistungsniveau auch das emotionale Entwicklungsalter betroffener Klienten berücksichtigen, um deren psychische Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung optimal zu unterstützen.

dawo

Fortschr Neurol Psychiat 2012; 80: 154-161


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Essstörungen – Tägliche Aktivitäten und Routinen verändert

Internationale Klassifikationssysteme wie das DSM-IV betrachten Essstörungen vorrangig aus einer funktionalen Perspektive, die sich auf physische Symptome konzentriert. Die Ergotherapeutin Michelle Elliot von der University of Southern California, USA,entwickelte eine handlungsorientierte Sichtweise darauf.

Die Forscherin beschäftigte sich am Beispiel der Anorexia nervosa damit, wie Essstörungen die täglichen Aktivitäten eines Menschen beeinflussen. Häufig nehmen Betroffene ihre Störung nicht als solche wahr. Sie konstruieren sich eine „figured world“ - eine alternative Lebensvorstellung, in der sie Identität erfahren, sich gegenüber anderen abgrenzen und Orientierung finden. Aus dieser Perspektive heraus betrachten sie klinische Symptome wie rigide Essensmuster oder Perfektionismus als Bestandteil ihrer individuellen Art, am Leben zu partizipieren. In einer „Als ob“-Lebensform richten sie Aktivitäten und Rituale an ihren störungsbedingten Bedürfnissen aus und kontrollieren oder beschränken sich. Sie konzentrieren sich beispielsweise beim Kochen darauf, Nahrungsmittel exakt abzuwiegen, Fette zu entfernen oder Rezepte anzupassen. Und anstatt sich nach einem langen Arbeitstag auszuruhen oder mit Freunden zu treffen, steht abends oft ein intensives Sporttraining auf dem Programm.

Solche symptomatischen Verhaltensweisen erfüllen in der „figured world“ alle Anforderungen, welche Ergotherapeuten an bedeutungsvolle Betätigungen stellen: Sie besitzen für die Betroffenen Sinn, sind zweckgerichtet und unterstützen tägliche Routinen. Daher sollten sich Therapeuten nicht nur mit dem Bedeutungscharakter von Handlungen auseinandersetzen, sondern auch mit ihrem Krankheitspotenzial. Sie können Klienten darin unterstützen, aus ihrer „Als ob“-Lebens-form auszusteigen, indem sie gemeinsam überlegen, wie die Erkrankung das tägliche Handeln verändert hat. Daraus können neue Handlungsmöglichkeiten entstehen.

fk

CJOT 2012; 79: 15-22


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Anorexia Nervosa – Diagnostische Kriterien

Das übersteigerte Wahrnehmen und Beobachten von Körper und Gewicht tritt zunehmend in jüngerem Alter auf. Der Erkrankungsgipfel liegt bei 12 bis 16 Jahren.

  1. Die Betroffenen weigern sich, das Minimum des für ihr Alter und ihre Körpergröße normalen Körpergewichtes zu halten.

  2. Sie haben eine ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme oder davor, dick zu werden - trotz eines bestehenden Untergewichts.

  3. Die Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körpergewichts ist gestört. Das Körpergewicht oder die Figur haben einen übertriebenen Einfluss auf die Selbstbewertung oder das Leugnen des Schweregrades des gegenwärtig geringen Körpergewichts.

  4. Bei postmenarchealen Frauen, also nach der ersten Regelblutung, kann eine Amenorrhoe auftauchen. Das heißt, es bleiben mindestens drei aufeinanderfolgende Menstruationszyklen aus.

fk

Pädiatrie up2date 2008; 3:375-389


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Gartenarbeit in der Ergotherapie – Stärkt Wohlbefinden und Selbstbewusstsein

Nach aktuellem Selbstverständnis unterstützen Ergotherapeuten ihre Klienten darin, für sie bedeutungsvolle Betätigungen auszuführen. Gartenarbeit kann für den Klienten eine bevorzugte Tätigkeit darstellen und somit als therapeutische Aktivität dienen. Die Ergotherapeutin Tania Wiseman untersuchte gemeinsam mit der Gemeindearbeiterin Michelle York in einer systematischen Übersichtsarbeit, wie Menschen die Gartenarbeit erfahren und welche Bedeutung sie dieser beimessen.

Die Forscher recherchierten in elektronischen Datenbanken wie CINAHL, Science-Direct und PsycINFO nach hochwertigen qualitativen Studien. Die von ihnen aufgestellten Einschlusskriterien erfüllten nur vier Studien, an denen Menschen mit und ohne psychische oder neurologische Erkrankungen teilnahmen. Demnach stärkt die Gartenarbeit das Wohlbefinden der Befragten und wirkt sich positiv auf ihr Selbstbewusstsein aus. Der Garten bietet ihnen eine natürliche Umgebung, um sich selbst neu zu erfinden und auszuprobieren. Dabei vermittelt ihnen die Natur das spirituelle Gefühl, mit etwas Echtem verbunden zu sein. Während der Gartenarbeit können sie neue Fertigkeiten erlernen oder verloren gegangene Fähigkeiten wieder entwickeln und einen positiven Kontakt zu anderen Menschen aufbauen.

Gartenarbeit kann Menschen also darin unterstützen, ihr persönliches und soziales Leben positiv zu verändern. Aus Sicht der Forscher sollten Ergotherapeuten diese Betätigungsmöglichkeit nicht nur im klinischen Setting anbieten, sondern ihre Kompetenzen zunehmend auch in gemeindenahe Angebote einbringen.

fk

BJOT 2012; 75: 76-84


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