Zeitschrift für Palliativmedizin 2012; 13(4): 170
DOI: 10.1055/s-0032-1318824
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Buchbesprechung – Ethische Entscheidungen in der Politik

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Publication Date:
19 July 2012 (online)

Corinna Jung

2012, 189 Seiten, Kohlhammer, 39,90 €, ISBN 978-3-17-022124-6

Patientenverfügungen drücken das Bedürfnis von Menschen aus, Einfluss auf ihr Lebensende nehmen zu können. Impulse aus der Hospiz-Idee wirken seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts auf Vorstellungen unserer Zivilgesellschaft im Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden. Dies hat Auswirkungen auf Verständnis und Zugang zum Lebensende in unserer Wissensgesellschaft.

Corinna Jung führt den Leser freundlich, verständlich und anspruchsvoll in theoretische Hintergründe ein und stellt das Interview als Instrument ihres methodischen Vorgehens in der Erschließung der beratenden Kommissionen dar. Mit diesem Rüstzeug versehen, nimmt die Autorin den Leser mit auf ihre Reise durch den Beratungsprozess, der in die Formulierung des Gesetzes zur Patientenverfügung von 2009 mündet.

Schritt für Schritt werden Elemente und Ebenen vorgestellt, die ihrer abschließenden Analyse zu Grunde liegen. Nähe und Distanz zu Interviewpartnern und Arbeitsweisen der beiden Kommissionen werden nicht verdunkelt, sondern sind angenehm schlüssig wahrnehmbar. In dieser Transparenz gibt ihre Darstellung dem Leser den Spielraum einen eigenen Standpunkt einzunehmen. So manches Mal wüsste man gerne, welche reale Person sich hinter ihren Interviewpartnern verbirgt. Aber das Erstaunliche gelingt: die Anonymisierung eines öffentlichen Prozesses.

In der Medizin sind wir eher damit vertraut, Ergebnisse und Fakten präsentiert zu bekommen. Dies führt immer wieder dazu, dass Wissen, was an den Prozess des Entstehens gebunden ist, mit dem Abschluss einer Untersuchung nur bedingt oder nicht mehr verfügbar ist.

Palliative Care und Hospiz-Idee sind im Sinne Hannah Arendts politisch und innovativ: „Was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, ist seine Fähigkeit zu handeln; sie befähigt ihn, sich mit seinesgleichen zusammenzutun, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, sich Ziele zu setzen und Unternehmungen zuzuwenden, die ihm nie in den Sinn hätten kommen können, wäre ihm nicht diese Gabe zuteil geworden: etwas Neues zu beginnen.“[1]

So verstanden, wünsche ich dem Buch eine breite aufgeschlossene, nicht-soziologische Leserschaft, die sich dazu anregen lässt, nicht nur interdisziplinären und multiprofessionellen sondern auch transdisziplinären Fragestellungen nachzugehen. Nichtforschende Leser können sich inspirieren lassen, Gestaltungsräume im Palliativkontext zu identifizieren und Möglichkeiten politischer Beratungstätigkeit zu reflektieren. Das Buch weckt Interesse, Fragestellungen im eigenen Handlungsfeld auf soziologische Implikationen zu untersuchen.

Bernadette Fittkau-Tönnesmann MPH
Leiterin der Christophorus Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit im Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München koordinierte 1999 bis 2001 die „Arbeitsgruppe Vorsorge“ am Bayerischen Staatsministerium der Justiz

1 Arendt, Hannah (2003): Macht und Gewalt, 15. Auflage, Piper, München

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