Ziemlich genau 30 Jahre ist es her, dass sich Jugend- und Gesundheitsforscher zuerst
               aus Großbritannien, Finnland und Norwegen, dann auch aus Dänemark und Österreich zusammen
               setzten und die Vereinbarung trafen, international vergleichende Forschung zur Jugendgesundheit
               einzuleiten. Sie störte das Defizit an wissenschaftlich abgesicherten Informationen
               und Daten, das sie in ihren Ländern verzeichneten, aber mehr noch das Problem, diese
               Daten international nicht miteinander vergleichen zu können. Jedes Land hatte zwar
               seine eigene Forschungstradition in diesem Bereich, aber Erhebungstechnik und Methodik
               wichen so deutlich voneinander ab, dass keine Quervergleiche möglich waren.
            Früh wandten sich die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die
               Weltgesundheitsorganisation mit ihrem Regionalbüro in Kopenhagen. Dort wurde die Initiative
               begrüßt und fortan mit in das Arbeitsprogramm aufgenommen. Das international vergleichende
               Forschungsvorhaben „Health Behaviour in school-aged Children (HBSC)“ war geboren [1]. Es dauerte noch 10 Jahre, bis der Initiatorenkreis an mich herantrat und fragte,
               ob ich als Principal Investigator für Deutschland fungieren wolle. Seinerzeit lief
               in Bielefeld der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich „Prävention und Intervention
               im Kindes- und Jugendalter“, der mehrere international vergleichende Vorhaben auch
               zur Jugendgesundheit umfasste. Da 1993 auch die erste deutsche School of Public Health,
               die Fakultät für Gesundheitswissenschaften, an der Universität Bielefeld gegründet
               worden war und ich als erster Dekan fungierte, war der Standort Bielefeld geradezu
               prädestiniert, die Koordinierungsrolle für Deutschland zu übernehmen.
            Das Konzept des Jugendgesundheits-Surveys HBSC passte nahtlos in die theoretische
               Ausrichtung sowohl des Sonderforschungsbereiches als auch der Forschungsgruppen an
               der Fakultät für Gesundheitswissenschaften. Die Kernidee war und ist, das Gesundheitsverhalten
               und das Gesundheitsbewusstsein von Jugendlichen in den ersten Jahren der Pubertät
               systematisch zu erforschen und bei der theoretischen Analyse interdisziplinäre Ansätze
               zu verwenden. In Bielefeld hatten wir zur damaligen Zeit den Begriff „Gesundheit“
               gerade neu konzipiert. Auf den Spuren der Weltgesundheitsorganisation hatten wir ihn
               aus den engen Bezügen des spezialisierten Krankheitsversorgungssystems gelöst. Der
               neue Gesundheitsbegriff betonte – im Gegensatz zum bis dahin vorherrschenden Ansatz
               – die Verankerung von Wohlbefinden in allen Dimensionen des täglichen Lebens. Gesundheit
               ist demnach beeinträchtigt, wenn sich in einem oder mehreren dieser Bereiche Anforderungen
               ergeben, die von der Person in der jeweiligen Phase im Lebenslauf nicht erfüllt und
               bewältigt werden können. Die Beeinträchtigung kann sich, muss sich aber nicht, in
               Symptomen der sozialen, psychischen und physisch-physiologischen Auffälligkeit manifestieren
               [2]
               [3].
            Das internationale HBSC-Forschungsteam ging von der gleichen Gesundheitsdefinition
               aus. Das Gesundheitsverhalten von Jugendlichen wurde im sozialen ebenso wie im biologischen
               Kontext thematisiert. Das Gesundheitsverhalten Jugendlicher wurde als Teil ihres Lebensstils
               konzipiert, und dieser Lebensstil wiederum wurde ganz stark im Zusammenhang mit den
               objektiven sozialen Lebensbedingungen als Determinanten von Gesundheit und Krankheit
               wahrgenommen. Diese Schwerpunkte sind bis heute die Orientierungspunkte für die international
               vergleichenden Untersuchungen geblieben [4]. Der klugen Weichenstellung des Initiatorenteams zu Beginn der 1980er Jahre kann
               man also nur größten Respekt bezeugen.
            Für Deutschland brachte die Beteiligung von der ersten Stunde an die Chance, an international
               abgestimmten Untersuchungen teilzunehmen und damit schon in den 1990er Jahren die
               Voraussetzungen dafür zu schaffen, forscherische Kapazitäten und finanzielle Möglichkeiten
               für Untersuchungen von überregionaler Bedeutung einzuleiten. Die Beteiligung am HBSC-Forschungsteam
               wirkte aber auch nach innen, indem die zunächst nur auf das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen
               bezogenen Jugendgesundheitsstudien nach dem internationalen Forschungsprotokoll im
               Laufe der Jahre auf immer mehr Bundesländer ausgedehnt wurden. Durch das Team in Bremen
               (Petra Kolip), Berlin und Hamburg (Ulrike Ravens-Sieberer), Dresden (Wolfgang Melzer),
               Halle (Mathias Richter) und Frankfurt (Andreas Klocke) ist inzwischen innerhalb der
               Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der des HBSC-Konsortiums eine Erfassung gesundheitlich
               relevanter Daten für Jugendliche der Altersgruppe 11, 13 und 15 Jahre möglich geworden,
               mittels derer systematische regionale Vergleiche erfolgen können. Die Untersuchungen
               werden im Rhythmus von 4 Jahren wiederholt, sodass zuverlässige und mit sicherer Methodik
               abgesicherte Zeitreihen gebildet werden können. Auf diese Weise stehen auch für die
               innerdeutsche Diskussion in Theorie und Praxis Daten für Trendanalysen zum Gesundheitsverhalten,
               Gesundheitsbewusstsein und subjektiven Gesundheitsstatus dieser Altersgruppe zur Verfügung.
               Sie liefern zuverlässige und belastbare Informationen für die Jugendgesundheitspolitik
               und die Gesundheitsförderung in verschiedensten Bereichen. Eine ganze Reihe von präventiven
               Strategien konnten in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Interpretation der
               Daten von HBSC Deutschland entwickelt und systematisch überprüft werden. So konnte
               beispielsweise die Tabak- und Alkoholpolitik in Deutschland in die öffentliche Diskussion
               gerückt werden, was schließlich dazu führte, dass der Konsum von Alkopops deutlich
               abgesunken ist, und der Tabakkonsum auf einem historisch bisher nie dagewesenen Tiefstand
               ist.
            An diesen Beispielen lässt sich erkennen, wie eine nach strengen methodischen Kriterien
               durchgeführte, regelmäßig wiederholte und damit Trendaussagen ermöglichende und internationale
               Referenzen herstellende wissenschaftliche Forschung auf Dauer nicht nur wissenschaftliche,
               sondern auch praktische Effekte im Bereich des Gesundheitsverhaltens erzielen kann.
               Neben dem Tabak- und Alkoholkonsum sind inzwischen auch alle anderen in den HBSC-Studien
               erfassten Gesundheitsindikatoren mit in diese Diskussion eingegangen. Auch zu geschlechtsspezifischen
               Mustern in Gesundheitsverhalten und Gesundheitswahrnehmung ist im Laufe der letzten
               10 Jahre bereits so viel an Erkenntnissen gewonnen worden, dass erste effiziente Präventions-
               und Förderstrategien entwickelt wurden. Diese Ergebnisse werden in Praxis und Politik
               immer stärker herangezogen, um geschlechtssensible Präventionsstrategien und Programme
               der Gesundheitsförderung zu entwickeln.
            Insgesamt ist HBSC International und HBSC Deutschland also eine wissenschaftliche
               Erfolgsgeschichte mit Ausstrahlung auf den Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung.
               Die in diesem Themenheft versammelten Beiträge der heute in Deutschland tätigen Forschungsteams
               und des HBSC-Konsortiums bezeugen den erreichten hohen methodischen und theoretischen
               Forschungsstand. Meinen beiden Nachfolgerinnen in der Funktion des Principal Investigators
               für Deutschland und der Leitung des WHO Collaborating Center for Child and Adolescent
               Health Promotion – Prof. Ulrike Ravens-Sieberer und Prof. Petra Kolip – möchte ich
               deswegen nachdrücklich für ihre engagierte Arbeit danken, die auch dieses Themenheft
               möglich gemacht hat.