DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2012; 10(4): 1
DOI: 10.1055/s-0032-1315182
DO | Editorial
Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart · New York

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Publication Date:
26 October 2012 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

war vor 20 Jahren die Osteopathie in Deutschland noch so gut wie unbekannt, so hat sie sich in Deutschland mittlerweile sowohl bei Therapeuten als auch bei Patienten gut etabliert. Es ging alles verhältnismäßig schnell. Wenn ein Prozess so rasch voranschreitet, ist es immer gut, sich kurz zu besinnen, worum es denn eigentlich ursprünglich ging. Es wird heutzutage nämlich viel über Osteopathie geredet, behauptet und angenommen. Aber: Was ist eigentlich Osteopathie?

Man sagt: Osteopathie ist eine Philosophie. Oder ist es viel eher ein Konzept? Manche behaupten, es ist sowohl als auch. Alles schön und gut; nur, worin liegt dann der Unterschied? Geschichtlich wie etymologisch gesehen ist Osteopathie vorerst eine Philosophie, die Still dann in einem Konzept darzustellen versucht hat. Nichts ist schwieriger als das, nämlich Worte zu finden, die dem Leser oder Zuhörer auch wirklich deutlich machen, was genau gemeint ist. Jene Worte Stills wurden in den darauffolgenden Jahren weitergereicht. Inwiefern dies dem Original noch nahe kommt, ist eine Frage, die es heute mehr als je zu lösen gilt. Wer auch immer sich die Frage stellt, was Osteopathie ist, kommt sowieso nicht um die Person Still herum. Die Frage könnte also auch lauten: Wer war denn eigentlich Andrew Taylor Still? Wie viel wissen wir wirklich über diesen Mann? Ein Interview mit der Historikerin Carol Trowbridge wirft ein völlig neues Licht auf den Menschen hinter diesem Namen.

Osteopathie ist angeblich auch eine Wissenschaft. Und diese entwickelt sich mit raschen Schritten. Inwiefern kann die Wissenschaft der Daten und Fakten dabei der Philosophie als Fundament dienen? Außerdem weiß doch jede Osteopathin und jeder Osteopath eines mit Sicherheit: Osteopathie ist Anatomie und nochmals Anatomie. Nur, was ist damit gemeint? Mehr noch, wie viel von dieser oder jener alten Wissenschaft ist denn heute wirklich noch notwendig, um aus philosophischer Sicht konzeptuell osteopathisch arbeiten zu können? In einer Epoche, in der die Anatomie durch neueste Erkenntnisse immer mehr in Bedrängnis ist, lassen wir am besten Still selbst zu Worte kommen.

Und letztendlich wird behauptet, Osteopathie sei eine Kunst. Dies ist eine ziemlich weit gefasste Definition. Soll dies künstlerisch verstanden werden? Bezieht es sich auf die Hand und deren Fähigkeiten? Inwiefern ist die Osteopathie denn kreativ? Sind wir in der Lage, mittels Osteopathie Neues zu schaffen? Oder war es schon immer vorhanden und besteht die Kunst der Osteopathie lediglich darin, dies zum Ausdruck kommen zu lassen? Sollte Letzteres der Fall sein, so stellt sich wie bei der menschlichen Entwicklung die Frage: Was sind die Prinzipien und Mechanismen? Nun, hat nicht gerade Still mit „seiner Osteopathie“ bereits versucht, diese Frage für uns zu lösen?

Was ist Osteopathie? Eine interessante Frage, die in der heutigen technokratisch orientierten Gesellschaft aktueller ist als jemals zuvor. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Suche nach den Antworten.

Jean-Paul Höppner