Indikationen und Wahl des Implantats
Indikationen und Wahl des Implantats
Bei den Indikationen für die Implantation einer Ellenbogenprothese ist grundsätzlich
zu unterscheiden, ob eine akute Verletzung bzw. deren Folgen vorliegt oder ob es sich
um degenerative Veränderungen oder Gelenkschäden im Rahmen von Systemerkrankungen
handelt. Abhängig davon sollte auch die Wahl des Implantats getroffen werden. Zur
Auswahl stehen Prothesen als reiner Oberflächenersatz sowie gekoppelte bzw. teilgekoppelte
Modelle. Aufgrund der erhöhten Lockerungsraten der gekoppelten Modelle werden heute
fast ausschließlich teilgekoppelte Prothesen verwendet. Die starr gekoppelten Prothesen
führten über eine verstärkte mechanische Belastung, v. a. im Bereich der humeralen
Komponente, zu hohen Lockerungsraten. Alle aktuellen teilgekoppelten Modelle besitzen
eine zusätzliche Bewegungsmöglichkeit für Varus/Valgus von ca. 6–8°. Überwiegend verfügen
die Prothesen außerdem über einen sog. humeralen Flansch (z. B. Coonrad-Morrey) an
der ventralen Prothesenseite, um die Zug- und Druckbelastung sowie Torsionskräfte
zu vermindern ([Abb. 1]).
Abb. 1 a bis c Beispiele für gängige teilgekoppelte Prothesenmodelle: Coonrad-Morrey (a), Latitude (b) und Discovery (c).
Im Rahmen von Frakturen besteht die Indikation für eine primäre Implantation z. B.
bei schweren C-Frakturen des distalen Ellenbogens nach AO-Klassifikation oder komplexen
Luxationsfrakturen, die mit konventionellen Operationstechniken nicht zufriedenstellend
rekonstruiert werden können. Auch bei einem Verlust der Kondylen ist die Verwendung
einer gekoppelten Prothese durch die alleinige Verankerung im Markraum, bei Verwendung
langstieliger Schäfte, möglich. Ist eine schlechte Knochenqualität, z. B. im Rahmen
einer Osteoporose, vorbestehend, bei der eine stabile osteosynthetische Versorgung
nicht erreichbar erscheint, ist ebenfalls eine Prothesenimplantation zu erwägen. Auch
bei A- oder B-Frakturen nach AO-Klassifikation kann bei ausgeprägten und/oder schmerzhaften
vorbestehenden Gelenkdestruktionen, z. B. im Rahmen einer rheumatischen Arthritis,
eine Indikation vorliegen. Bei dem zunehmenden Anteil an geriatrischen Patienten spielen
auch die dann in der Regel vorhandenen multiplen Begleiterkrankungen ggf. eine Rolle.
Die Entscheidung für eine Prothese kann bei solchen Patienten auch gestellt werden,
um das Risiko für perioperative Komplikationen zu vermindern. Hierbei kann die sonst
meistens notwendige Bauchlagerung vermieden werden. Zusätzlich liegt die Dauer des
Eingriffs deutlich unter der einer herkömmlichen Gelenkrekonstruktion. Postoperativ
ist keine Ruhigstellung durch eine Gipsschiene oder sogar einen additiven Fixateur
externe notwendig und die Patienten können sich direkt postoperativ bewegen und mit
einer Physiotherapie beginnen. Bei stark erhöhtem Narkoserisiko sollte jedoch die
Alternative einer konservativen Therapie, auch bei zu erwartenden schlechten Ergebnissen,
diskutiert werden. Weitere Möglichkeiten ergeben sich für eine sekundäre Implantation
im Rahmen der Versorgung von posttraumatischen Arthrosen, gelenknahen Pseudarthrosen
sowie als „salvage procedure“ bei gescheiterten Osteosynthesen oder Implantatversagen.
Hauptziel der primären Implantation bei Unfallverletzten ist die Erhaltung der Beweglichkeit
sowie eine Verkürzung der Rekonvaleszenz ([Abb. 2]).
Abb. 2 a bis c Indikationen für eine Ellenbogenprothese. Implantatversagen (a), chronische Luxation (b), C3-Fraktur des Ellenbogens (c).
Grundvoraussetzung bei allen Patienten ist eine gute Compliance, ein funktionsfähiger
Beuge- und Streckapparat sowie ein Patientenalter möglichst über 60 Jahre. Andere
Versorgungsmöglichkeiten wie Resektions- oder Interpositionsarthroplastiken oder selten
eine primäre Arthrodese des Ellenbogens sollten in die Überlegungen zur Indikationsstellung
mit einbezogen werden und dem Patienten im Rahmen der Aufklärung als Behandlungsalternativen
dargelegt werden. Die Wahl der Operationsmethode ist von der zugrunde liegenden Pathologie,
der Erfahrung des Operateurs und von dem funktionellen Anspruch des Patienten abhängig.
Die endoprothetische Versorgung ist jedoch sicherlich keine Standardtherapie und sollte
Ausnahmefällen vorbehalten sein. Die Gelenkrekonstruktion mit anschließender übungsstabiler
Osteosynthese stellt weiterhin den Goldstandard dar.
Im Rahmen von Frakturversorgungen ist die Verwendung einer teilgekoppelten Totalprothese
der allgemein akzeptierte Standard. Nur hierdurch ist eine sichere postoperative Stabilität
des Gelenks zu erreichen. In Ausnahmefällen kann, bei stabilen Bandverhältnissen oder
sicherer Rekonstruktionsmöglichkeit, der isolierte Ersatz des distalen Humerus im
Sinne einer Hemiprothese erwogen werden. Aktuell bietet nur das Modell „Latitude“
diese Option. Hier sind kurzfristig gute klinische Ergebnisse, jedoch eine hohe Komplikationsrate
beschrieben. Mittelfristige oder sogar Langzeitergebnisse liegen bisher nicht vor.
Es wurde kürzlich auch ein „off label use“ der Kudo/iBP-Prothese als Hemiprothese
beschrieben. Die Verwendung als isolierter distaler Humerusersatz wird von den Studienautoren
bei schlechten Ergebnissen jedoch nicht empfohlen.
Bei Revisionseingriffen oder bei Reimplantationen nach septischem Prothesenausbau
ist die Verwendung einer teilgekoppelten Prothese obligat, da hier von einer nicht
ausreichenden Bandstabilität des Gelenks auszugehen ist [1], [3], [4], [5], [7], [10], [13], [14].
Kontraindikationen
Als absolute Kontraindikationen für eine Ellenbogenprothese gelten offene Wunden,
floride Weicheil- und Gelenkinfekte sowie offene Frakturen Grad II und III nach Gustilo/Anderson
im Rahmen einer primären Implantation. Auch Funktionsstörungen des Beuge- und/oder
Streckapparats durch muskuläre oder nervale Störungen sowie präoperativ vorbestehende
ausgeprägte Kontrakturen des Ellenbogens gestatten keinen künstlichen Gelenkersatz.
Die Verwendung eines Fixateur externe als primäre Stabilisierung nach dem Unfallereignis
sollte nach Möglichkeit vermieden werden, wenn eine Prothesenversorgung für den Patienten
infrage kommt. Es ist sonst durch Pininfekte mit einem höheren Infektionsrisiko des
Implantats sowie mit einem gesteigerten Risiko für periprothetische Frakturen oder
einem Zementaustritt im Bereich der Pinlöcher nach Fixateurentfernung zu rechnen.
Soweit aufgrund der Weichteilverhältnisse vertretbar, ist eine Gipsruhigstellung vorzuziehen.
Relative Kontraindikationen sind ein infektberuhigter Zustand nach einer postoperativen
Infektion bzw. septischem Prothesen-/Implantatausbau und ehemals offene Frakturen
mit nun konsolidierten Weichteilverhältnissen. Bei Patienten unter 60 Jahren sollte
eine Implantation nur nach sehr strenger Indikationsstellung erfolgen. Aufgrund des
jungen Alters ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer technisch schwierigen Wechseloperation
zu rechnen. Darüber hinaus ist der funktionelle Anspruch jüngerer Patienten in der
Regel deutlich höher. Viele berufliche und sportliche Tätigkeiten sind mit einer Ellenbogenprothese
nicht mehr möglich. Wichtig bei der Entscheidungsfindung ist ebenfalls die Compliance
des Patienten.
Der Arm mit einer implantierten Ellenbogenprothese sollte zur Vermeidung starker mechanischer
Belastungen und einer dadurch erhöhten Lockerungsrate mit nicht mehr als 3–5 kg belastet
werden.
Ist eine Mitarbeit des Patienten nicht sicher zu gewährleisten, sollte eine andere
Therapieoption angewendet werden [3], [13], [14].
Kontraindikationen sind offene Wunden, Infekte, Schwäche des Beuge- oder Streckapparats,
Patientenalter < 60 Jahre sowie ein hoher funktioneller Anspruch. Nur durch eine strenge
Indikationsstellung und Patientenselektion sind ein gutes postoperatives Outcome und
eine Zufriedenheit des Patienten zu gewährleisten.
Präoperative Planung und Vorbereitung
Präoperative Planung und Vorbereitung
Als Grundvoraussetzung ist eine konventionelle Röntgendiagnostik des Ellenbogens und
der angrenzenden Knochenstrukturen, bei langstieligen Prothesen zusätzlich des gesamten
Humerus, in 2 Ebenen anzusehen. Als Vorbereitung kann eine Planung der Prothese und
der zu erwartenden Implantatgröße mithilfe von Planungsschablonen erfolgen. Im Rahmen
der Frakturversorgung sollte die Indikationsstellung für eine präoperative Computertomografie
eher großzügig gestellt werden, um eine möglichst gute Beurteilung der Fraktursituation
zu ermöglichen. Die Kernspintomografie spielt im Rahmen der primären Verletzungsversorgung
keine Rolle.
Wichtig ist eine genaue präoperative Beurteilung der Weichteile, der Muskel- und Nervenfunktion,
der Gelenkstabilität sowie der Durchblutungssituation.
Bei der Aufklärung des Patienten sollte auf die allgemeinen Risiken einer Operation
sowie die im Folgenden erwähnten prothesenspezifischen Komplikationen hingewiesen
werden. Es kann zu einem Implantatversagen oder zu einer Lockerung mit nachfolgender
Wechseloperation kommen. Wichtig ist auch der explizite Hinweis auf ein, zwar meist
funktionell nicht störendes, aber fast immer persistierendes Extensionsdefizit von
ca. 20°. Weitere Komplikationen sind periprothetische Frakturen sowie heterotope Ossifikationen
mit nachfolgender schmerzhafter Bewegungseinschränkung. Auch die Aufklärung über die
lebenslange Gewichtslimitierung sowie eine deutliche Einschränkung von beruflichen
und sportlichen Tätigkeiten muss erfolgen. Mögliche alternative Behandlungsmethoden
müssen ebenfalls erwähnt werden [3], [13], [14].
Operative Technik
Lagerung des Patienten in Rückenlage oder alternativ in Seitenlage bei jeweils Abdeckung
mit freier Beweglichkeit des Armes. Das Anbringen einer Blutdruckmanschette am Oberarm
als Blutsperre sowie ein rechtzeitiger präoperativer Beginn einer Antibiotikaprophylaxe,
z. B. mit einem Cephalosporin der 2. Generation, ist obligat.
Ist die abschließende Indikation zur Prothesenimplantation im Rahmen der Frakturversorgung
bei Beginn der OP noch nicht endgültig geklärt, sollte zunächst keine Olekranonosteotomie
durchgeführt werden. Es empfiehlt sich zunächst ein Zugang nach Alonso-Llames („triceps-on“).
Es können hierbei das Gelenk gut eingesehen und die Frakturmorphologie beurteilt werden.
Falls eine Rekonstruktion des Gelenks möglich ist, kann eine Olekranonosteotomie mit
anschließender Frakturversorgung erfolgen. Fällt der Enschluss zur Prothese, stellt
ein Fortfahren mit einem Zugang nach Bryan-Morrey den Standard dar. Prinzipiell ist
eine Prothesenimplantation auch nach einer Olekranonosteotomie möglich, jedoch schwieriger
und mit einem hohen Komplikationsrisiko verbunden. Die Implantation der Prothese richtet
sich nach dem jeweilig verwendeten Prothesenmodell. Es sei hierbei auf die OP-Anleitungen
der jeweiligen Hersteller verwiesen.
Nach Einlage einer intraartikulären Redondrainage erfolgt abschließend die Refixation
des abgelösten Trizepsansatzes durch transossäre Nähte mit einem nicht resorbierbaren
Faden (z. B. FiberWire). Es empfiehlt sich das Knoten in 90° Beugestellung, um eine
zu starke Spannung und postoperative Bewegungseinschränkung zu vermeiden. Nach Einlage
einer subkutanen Redondrainage schichtweiser Wundverschluss und Kompressionswickelung
des Armes [3], [9], [13], [14], [15].
Wundpflaster sollten bei der stark ausgeprägten postoperativen Schwellneigung zur
Vermeidung von Spannungsblasen in den ersten Tagen nicht verwendet werden.
Nachbehandlung
Zur Reduktion der Infektionsgefahr sollte standardmäßig eine perioperative Antibiotikaprophylaxe
erfolgen. Direkt postoperativ kann mit einer schmerzabhängigen, funktionellen (passiven)
Beübung der Beweglichkeit begonnen werden. Hierfür kann die präoperative Anlage eines
Schmerzkatheters erwogen werden. Die Pro- und Supination kann frei erfolgen. Es sind
sowohl selbstständige Bewegungsübungen auf einer Motorschiene als auch eine Therapie
unter physiotherapeutischer Anleitung zu empfehlen. Begleitend sollten abschwellende
Maßnahme wie Kryotherapie und eine Hochlagerung erfolgen.
Bei teilgekoppelten Modellen ist bei der primären Stabilität keine zusätzliche Verwendung
einer Schienung notwendig. Gegebenenfalls kann in den ersten postoperativen Tagen
eine ventrale (Gips-)Lagerungsschiene in Streckstellung zur Nacht verordnet werden,
um langfristig ein Streckdefizit zu vermindern.
Postoperativ sollte zur Vermeidung von heterotopen Ossifikationen die Gabe von NSAR
unter Magenprotektion für ca. 4 Wochen erfolgen. Um den intraoperativ abpräparierten
Streckapparat zu schonen und eine feste Einheilung zu ermöglichen, sollte in den ersten
4 Wochen die Belastung auf 1–2 kg limitiert werden. Langfristig sollten keine Gewichte
über 4–5 kg gehoben oder getragen sowie keine repetitiven Bewegungen mit mehr als
1 kg durchgeführt werden. Auch alle Schlag- und Wurfsportarten und Betätigungen mit
hoher Beanspruchung des Ellenbogens in Sport und Beruf sind zu unterlassen. Nur so
kann das Risiko einer Auslockerung der Prothese langfristig vermindert werden.
Neben der postoperativen Röntgenaufnahme sollen als Verlaufskontrolle und zur Identifikation
einer beginnenden Prothesenlockerung 6 Wochen postoperativ sowie einmal jährlich Röntgenverlaufskontrollen
erfolgen [3], [8], [13], [14].
Komplikationen
Intraoperativ kann es zu Verletzungen umgebender Strukturen kommen. Meist ist hierbei
der N. ulnaris betroffen. In der Regel handelt es sich jedoch nur um vorübergehende
Irritationen ohne bleibende Schäden. Eine Verlagerung des Nervs als Standard bei jeder
Implantation ist daher aus unserer Sicht und aus eigenen Erfahrungen in unserer Klinik
nicht notwendig. Postoperative Hämatome oder Serome sollten, wie nach allen Prothesenimplantationen,
konsequent behandelt und früh chirurgisch revidiert werden. Auftretende Früh- oder
Spätinfekte der Ellenbogenprothesen werden nach den allgemeinen Prinzipien der septischen
Chirurgie therapiert.
Nach initial großen Problemen mit der Prothesenstandzeit konnte, durch ein verändertes
Prothesendesign, die Lockerungsrate auf ca. 3–5 % nach 5 Jahren verringert werden.
Läsionen des Trizepsansatzes bis hin zum kompletten Abriss sind möglich, häufiger
kommt es jedoch zu eine Trizepsschwäche. Bei einem isolierten Ersatz des distalen
Humerus kann es zusätzlich zu Instabilitäten oder sogar zu einer Luxation kommen.
Mechanische Probleme wie z. B. Verschleiß des Polyethyleninlays oder ein Prothesenbruch
stellen bei den neuen Implantaten eher seltene Komplikationen dar.
Im weiteren Verlauf ist mit dem Auftreten von heterotopen Ossifikationen, daraus resultierenden
Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu rechnen. Bei allen Prothesen kann es auch
zu periprothetischen Frakturen v. a. im Bereich der Ulna kommen. Hierbei ist bei stabiler
Prothese eine Osteosynthese unter Erhalt der Prothese anzustreben. Bei Komponentenlockerung
sollte ein (Teil-)Wechsel der Prothese im Rahmen der osteosynthetischen Versorgung
erfolgen [3], [13], [14].
Der N. ulnaris darf keinen Kontakt zu den Prothesenkomponenten haben und muss in allen
Bewegungsgraden spannungsfrei verlaufen. Ansonsten muss eine Verlagerung des Nervs
erfolgen.
Ergebnisse nach Gelenkersatz
Ergebnisse nach Gelenkersatz
In verschiedenen Studien der letzten Jahre konnte gezeigt werden, dass Patienten mit
einer Verletzungen des Ellenbogens, entgegen früheren Ergebnissen, von einer primären
Ellenbogentotalprothese sehr gut profitieren können ([Abb. 3]). So konnten bessere Werte im Mayo- bzw. DASH-Score, eine bessere Beweglichkeit
sowie kürzere OP-Zeiten und weniger Komplikationen im Vergleich zu einer osteosynthetischen
Versorgung erreicht werden. Bezüglich der Standzeiten von Ellenbogenprothesen zeigten
sich in der größten vorliegenden Studie anhand der Coonrad/Morrey-Prothese mit einem
Nachuntersuchungszeitraum von bis zu 31 Jahren sehr gute Werte. Nach 10 Jahren waren
noch ca. 80 % und nach 20 Jahren ca. 60 % der Prothesen ohne Anzeichen eines Implantatversagens
oder einer Prothesenlockerung [2], [4], [6], [11], [12], [16], [17], [18].
Abb. 3 a bis f Radiologisches und klinisches Ergebnis postoperativ.