Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2012; 44(4): 154-161
DOI: 10.1055/s-0032-1314729
Forschung
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Ketogene Diät: Mehr Schaden als Nutzen?

Stellungnahme zum Schreiben von Frau Prof. Kämmerer
Ludwig Manfred Jacob
,
Nicole Weis
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Publikationsdatum:
19. Dezember 2012 (online)

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Prof. Kämmerer hat in einem Schreiben an die Herausgeber der DZO (s. S. 152) sowie auf ihrer Homepage www.keto-bei-krebs.de massive Anschuldigungen gegen die Autoren Dr. med. Ludwig Manfred Jacob und Dr. med. Nicole Weis erhoben. Der Artikel „Krebszellen mögen Zucker, aber noch mehr lieben sie Fett und tierisches Eiweiß“ [12] beurteilt die ketogene Diät gegen Krebs sehr kritisch. Das Laienbuch „Krebszellen lieben Zucker – Patienten brauchen Fett“ mit Frau Prof. Kämmerer als Koautorin [14] bezeichnet sich selbst als „das neue Standardwerk zur ketogenen Ernährung bei Krebserkrankungen“, es beschreibt interessante Zusammenhänge – nur leider aus eindimensionaler, ernährungswissenschaftlich absurder Perspektive (alle Kohlenhydrate sind schlecht, Fett und Protein sind gut).

Die Empfehlungen des Buches richten sich an Laien und werden ohne Differenzierung und Hinweis auf Tumorart, Tumorstadium sowie Stoffwechsel- und Ernährungszustand des Patienten pauschal für alle Krebskranken gegeben, ohne eine epidemiologische oder klinische Evidenz zu haben.

Sicher gibt es stark glukosevergärende, hochaggressive Tumore, bei denen es eine gewisse Evidenz für eine Kohlenhydratrestriktion gibt. Die Ernährungsempfehlungen sollten aber ernährungswissenschaftlich durchdacht sein und den Gehalt an Ballaststoffen, Mineralstoffen, Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen, potenziell ungesunden Inhaltsstoffen sowie die Insulinwirkung (vgl. Insulin-Index) berücksichtigen. Hier würden stärkearmes Gemüse, gesunde Fette (nicht Schweinespeck) und Hülsenfrüchte an erster Stelle stehen und die glykämische Last sowie die Insulinwirkung wären die entscheidenden Auswahlkriterien, nicht der Kohlenhydratgehalt.

Das Buch jedoch klärt nicht auf, dass die Mehrzahl der Krebsarten sehr wohl in der Lage ist, alle Makronährstoffe bestens zu metabolisieren. In einem Review von Barger und Plas [4] werden alle Thesen unseres Artikels zum Tumorstoffwechsel bestätigt und die diversen Stoffwechselwege von Krebszellen (Glykolyse, Glutaminolyse, Fettsäureoxidation) ausführlich erörtert. Präklinische Studien legen auch nahe, dass Tumore sogar Ketonkörper als Energiequelle verwerten können [6], [17]. Während Patienten mit hochaggressiven, oft stärker glykolytischen Tumoren in onkologischer Betreuung sind und wohl kaum dieses Buch lesen, werden insbesondere Personen, die Krebs vorbeugen möchten oder langsam wachsende Tumore mit hoher FAS-Aktivität und Fettsäureoxidation, wie z. B. die meisten Prostata- und Mammakarzinome, dieses Laienbuch lesen und sich auf eine Ernährung einlassen, die auf Dauer der Gesundheit schaden und Krebs fördern kann. Zu begrüßen, aber auch selbstverständlich ist der Hinweis im Buch, dass ein Krebskranker bei einer solchen extremen Diät seinen Arzt konsultieren soll. Bekanntlich ist aber eine gesunde Ernährung leider immer noch nicht Teil der ärztlichen Ausbildung.

Das kritisierte Buch steht im kompletten und direkten Widerspruch zu bisherigen Erkenntnissen über eine gesunde Ernährung, zu medizinischen Leitlinien (z. B. S3 bei Prostatakrebs), zu den ausdrücklichen Empfehlungen des World Cancer Research Fund (WCRF) und American Institute for Cancer Research als den renommiertesten Antikrebsorganisationen der Welt sowie zu den Empfehlungen und Warnungen der American Heart Association. Die Buchautoren enden ihren Brief an die DZO folgendermaßen:

„Unerklärlich ist für uns auf jeden Fall, wie dieser Artikel mit seinen groben sachlichen Fehlern den Begutachtungsprozess der Fachzeitschrift DZO durchlaufen kann.“

Die unausgegorenen Empfehlungen in dem kritisierten Buch können höchstens Grundlage für eine wissenschaftliche Diskussion sein, aber sollten keinesfalls an krebskranke Laien und Nicht-Ernährungswissenschaftler gerichtet werden, die sie nicht nachprüfen und korrekt einordnen können. Doch genau dies geschieht: Frau Prof. Kämmerer und Koautoren machen mit ihrem Buch eine extreme und ungesunde Ernährungsweise ohne klinische Evidenz einem breiten Laienpublikum zugänglich. Diese Vorgehensweise vor dem Vorliegen eindeutiger klinischer Belege ist im Sinne des Patientenschutzes ethisch höchst bedenklich. Die drei Autoren sollten mit ihrer massiven Bewerbung eines potenziell gesundheitsschädlichen, nicht evidenzbasierten Konzepts bei krebskranken Menschen zumindest so lange warten, bis sie klare klinische Langzeitbelege für ihre Thesen vorzulegen haben und dann diese Erkenntnisse auf eine differenzierte Weise präsentieren. Die Ergebnisse der bisher einzigen klinischen Studie von Prof. Kämmerer belegt die geringe Compliance, zahlreiche Nebenwirkungen und spricht sicher nicht für eine ketogene Diät [22].

Die von Prof. Kämmerer angebrachte Kritik lässt darauf schließen, dass ernährungswissenschaftliches und biochemisches Grundwissen in Bezug auf die menschlichen Stoffwechselvorgänge ebenso wie die Kenntnisse der belegten epidemiologischen Zusammenhänge nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren werden die Schlussfolgerungen von Studien direkt ins Gegenteil verdreht. Dies geschieht wiederum auf der Webpage www.keto-bei-krebs.de, die sich an ein Laienpublikum richtet, welches den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen kann.